darum, ob die Auswanderung als Mittel gegen die Armuth, also als ein Theil der Armenpflege zweckmäßig sei, woran sich allerdings dann die weiteren Fragen nach demjenigen knüpfen, was denn das Mutterland für die auf diese Weise weggeschafften Armen in ihrer neuen Heimath thun könne; etwa Versorgung derselben mit Lehrern, Geist- lichen u. s. w. Namentlich Mohl ist darin sehr weit gegangen (Zeit- schrift für die gesammte Staatswissenschaft, 1847, S. 320 ff.). Es kann der deutschen Wissenschaft nur zur Ehre gereichen, für die deutsche Aus- wanderung mit so viel Umsicht und Theilnahme das Wort ergriffen zu haben, und wir sehen darin eine Reihe von schätzenswerthen Vorar- beiten für die Zeit, wo diese Dinge praktisch werden können. Wir können dabei nicht umhin, namentlich die Arbeiten Andrees als höchst verdienstvoll hervorzuheben. Die Vorschläge von Vogt (Armenwesen I. Thl. 2. S. 233 f.) sind unverkennbar von einem eben so menschen- freundlichen als wohlwollenden Geiste eingegeben. Sehr gut sind die verschiedenen Fragen behandelt und resumirt von Brater in dem Ar- tikel Auswanderung (Deutsches Staats-Wörterbuch). Allein wir können nicht umhin, zwei leitende Gedanken für dieses ganze Gebiet der Aus- wanderungspolitik festzuhalten. Die administrativ angeordnete oder auch nur veranlaßte Auswanderung der Armen ist ein höchst bedenk- liches, und immer höchst kostspieliges Mittel, und kann unter allen Umständen niemals anders als örtlich richtig beurtheilt und angewendet werden; eine Staatsauswanderung der Armen ist geradezu unthunlich, und es ist umsonst, sich eine solche als praktisch ausführbar denken zu wollen; die Idee, dieselbe durch "Abzugsgelder" von den Bemittelten subventioniren zu wollen, ist ein Widerspruch mit der freien persönlichen Bewegung, und würde selbst, wenn man sie durchführte, nur ein Mi- nimum der Kosten ergeben. Die allgemeine Auswanderungspolitik aber für Deutschland, mag sie sonst Namen, Gestalt und Aufgabe haben, welche sie wolle, kann und wird erst eine praktische Frage sein, wenn einmal eine deutsche Verwaltung sich an eine deutsche Verfassung an- schließen wird.
B. Die Bevölkerungsordnung und die Verwaltung.
(Was man unter der Gestalt und der Ordnung der Bevölkerung zu verstehen hat. Beide erscheinen als Gegenstände der Verwaltung und enthalten die vier folgenden Theile der Bevölkerungsverwaltung.)
Während es die Aufgabe der Bevölkerungspolitik war, das Ver- hältniß der Verwaltung zu den Kräften und Erscheinungen zu entwickeln, durch welche die Bevölkerungen zunehmen und abnehmen, begegnen wir
Stein, die Verwaltungslehre. II. 14
darum, ob die Auswanderung als Mittel gegen die Armuth, alſo als ein Theil der Armenpflege zweckmäßig ſei, woran ſich allerdings dann die weiteren Fragen nach demjenigen knüpfen, was denn das Mutterland für die auf dieſe Weiſe weggeſchafften Armen in ihrer neuen Heimath thun könne; etwa Verſorgung derſelben mit Lehrern, Geiſt- lichen u. ſ. w. Namentlich Mohl iſt darin ſehr weit gegangen (Zeit- ſchrift für die geſammte Staatswiſſenſchaft, 1847, S. 320 ff.). Es kann der deutſchen Wiſſenſchaft nur zur Ehre gereichen, für die deutſche Aus- wanderung mit ſo viel Umſicht und Theilnahme das Wort ergriffen zu haben, und wir ſehen darin eine Reihe von ſchätzenswerthen Vorar- beiten für die Zeit, wo dieſe Dinge praktiſch werden können. Wir können dabei nicht umhin, namentlich die Arbeiten Andrees als höchſt verdienſtvoll hervorzuheben. Die Vorſchläge von Vogt (Armenweſen I. Thl. 2. S. 233 f.) ſind unverkennbar von einem eben ſo menſchen- freundlichen als wohlwollenden Geiſte eingegeben. Sehr gut ſind die verſchiedenen Fragen behandelt und reſumirt von Brater in dem Ar- tikel Auswanderung (Deutſches Staats-Wörterbuch). Allein wir können nicht umhin, zwei leitende Gedanken für dieſes ganze Gebiet der Aus- wanderungspolitik feſtzuhalten. Die adminiſtrativ angeordnete oder auch nur veranlaßte Auswanderung der Armen iſt ein höchſt bedenk- liches, und immer höchſt koſtſpieliges Mittel, und kann unter allen Umſtänden niemals anders als örtlich richtig beurtheilt und angewendet werden; eine Staatsauswanderung der Armen iſt geradezu unthunlich, und es iſt umſonſt, ſich eine ſolche als praktiſch ausführbar denken zu wollen; die Idee, dieſelbe durch „Abzugsgelder“ von den Bemittelten ſubventioniren zu wollen, iſt ein Widerſpruch mit der freien perſönlichen Bewegung, und würde ſelbſt, wenn man ſie durchführte, nur ein Mi- nimum der Koſten ergeben. Die allgemeine Auswanderungspolitik aber für Deutſchland, mag ſie ſonſt Namen, Geſtalt und Aufgabe haben, welche ſie wolle, kann und wird erſt eine praktiſche Frage ſein, wenn einmal eine deutſche Verwaltung ſich an eine deutſche Verfaſſung an- ſchließen wird.
B. Die Bevölkerungsordnung und die Verwaltung.
(Was man unter der Geſtalt und der Ordnung der Bevölkerung zu verſtehen hat. Beide erſcheinen als Gegenſtände der Verwaltung und enthalten die vier folgenden Theile der Bevölkerungsverwaltung.)
Während es die Aufgabe der Bevölkerungspolitik war, das Ver- hältniß der Verwaltung zu den Kräften und Erſcheinungen zu entwickeln, durch welche die Bevölkerungen zunehmen und abnehmen, begegnen wir
Stein, die Verwaltungslehre. II. 14
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darum, ob die Auswanderung als Mittel gegen die Armuth, alſo
als ein Theil der Armenpflege zweckmäßig ſei, woran ſich allerdings
dann die weiteren Fragen nach demjenigen knüpfen, was denn das
Mutterland für die auf dieſe Weiſe weggeſchafften Armen in ihrer neuen
Heimath thun könne; etwa Verſorgung derſelben mit Lehrern, Geiſt-
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ſchrift für die geſammte Staatswiſſenſchaft, 1847, S. 320 ff.). Es kann
der deutſchen Wiſſenſchaft nur zur Ehre gereichen, für die deutſche Aus-
wanderung mit ſo viel Umſicht und Theilnahme das Wort ergriffen zu
haben, und wir ſehen darin eine Reihe von ſchätzenswerthen Vorar-
beiten für die Zeit, wo dieſe Dinge praktiſch werden können. Wir
können dabei nicht umhin, namentlich die Arbeiten Andrees als höchſt
verdienſtvoll hervorzuheben. Die Vorſchläge von Vogt (Armenweſen I.
Thl. 2. S. 233 f.) ſind unverkennbar von einem eben ſo menſchen-
freundlichen als wohlwollenden Geiſte eingegeben. Sehr gut ſind die
verſchiedenen Fragen behandelt und reſumirt von Brater in dem Ar-
tikel Auswanderung (Deutſches Staats-Wörterbuch). Allein wir können
nicht umhin, zwei leitende Gedanken für dieſes ganze Gebiet der Aus-
wanderungspolitik feſtzuhalten. Die adminiſtrativ angeordnete oder
auch nur veranlaßte Auswanderung der Armen iſt ein höchſt bedenk-
liches, und immer höchſt koſtſpieliges Mittel, und kann unter allen
Umſtänden niemals anders als örtlich richtig beurtheilt und angewendet
werden; eine Staatsauswanderung der Armen iſt geradezu unthunlich,
und es iſt umſonſt, ſich eine ſolche als praktiſch ausführbar denken zu
wollen; die Idee, dieſelbe durch „Abzugsgelder“ von den Bemittelten
ſubventioniren zu wollen, iſt ein Widerſpruch mit der freien perſönlichen
Bewegung, und würde ſelbſt, wenn man ſie durchführte, nur ein Mi-
nimum der Koſten ergeben. Die allgemeine Auswanderungspolitik aber
für Deutſchland, mag ſie ſonſt Namen, Geſtalt und Aufgabe haben,
welche ſie wolle, kann und wird erſt eine praktiſche Frage ſein, wenn
einmal eine deutſche Verwaltung ſich an eine deutſche Verfaſſung an-
ſchließen wird.
B. Die Bevölkerungsordnung und die Verwaltung.
(Was man unter der Geſtalt und der Ordnung der Bevölkerung zu
verſtehen hat. Beide erſcheinen als Gegenſtände der Verwaltung und enthalten
die vier folgenden Theile der Bevölkerungsverwaltung.)
Während es die Aufgabe der Bevölkerungspolitik war, das Ver-
hältniß der Verwaltung zu den Kräften und Erſcheinungen zu entwickeln,
durch welche die Bevölkerungen zunehmen und abnehmen, begegnen wir
Stein, die Verwaltungslehre. II. 14
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/231>, abgerufen am 21.02.2025.
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