Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

Organisation, welche einen regelmäßigen Bedarf von Mannschaft
für das Heer setzt. Das zweite will dagegen, daß die Steuereinnahme
eine regelmäßige werde. Im ersten Fall fordert man die Vermehrung
wegen der Macht, im zweiten wegen des Reichthums. Man muß nun
sagen, daß die Bevölkerungspolitik, die wir unter den römischen Kaisern
entstehen und seit dem 17. Jahrhundert mit Ludwig XIV wieder auftreten
sehen, eine militärische ist; daß sie aber mit der Mitte des 18. Jahr-
hunderts eine volkswirthschaftliche wird. Bis zum 19. Jahrhundert aber
bleibt in allen einzelnen Maßregeln noch immer der Gedanke maß-
gebend, daß die Verwaltung denn doch durch ihre Maßregeln wirklich
auf die Bewegung der Bevölkerung einen wesentlichen Einfluß nehmen
könne und solle. Erst mit dem 19. Jahrhundert verschwindet diese Hoff-
nung. Es ergibt sich daraus, daß, wie es die Natur der Sache for-
dert, die Bevölkerungspolitik stets dieselben Gebiete beibehält
(Ehen, Kinder, Einwanderung, Auswanderung), daß sie aber ihre
Maßregeln in Princip und Form in Beziehung auf dieselben wesentlich
ändert. Bis zum 19. Jahrhundert will man jene Erscheinungen direkt
erzeugen oder hindern; mit dem 19. Jahrhundert will man sie nur noch
ordnen. Es hat daher die Bevölkerungspolitik in beiden Hauptstadien
ihrer Entwicklung denselben formalen Inhalt, aber einen wesentlich
andern Geist. Und eine richtige Darstellung derselben muß daher die-
sen Unterschied unbedingt festhalten und klar machen. Das ist es eigent-
lich, was wir für unsere Aufgabe halten. Der große Fehler, den
Mohl begeht und dem Gerstner sich gleichfalls nicht entzogen hat,
besteht darin, diesen Unterschied nicht erkannt und festgehalten zu haben.
Dadurch ist ihre Darstellung bei aller Richtigkeit der einzelnen Angaben
das, was man unpraktisch nennt; denn nur die Geschichte ist wahrhaft
praktisch. Namentlich Gerstner verwechselt die obigen Formen der
Bewegung und die volkswirthschaftlichen Gesetze derselben nur zu oft
mit dem, was die Verwaltung ihrerseits in Beziehung auf jene Er-
scheinungen thut oder zu thun hat, und daher ist auch bei ihm die
Darstellung des öffentlichen Rechts keine vollständige. Wir werden im
Einzelnen darauf zurückkommen.

I. Das öffentliche Eherecht.
Begriff und Inhalt desselben.

(Die beiden Gebiete desselben, das Recht der Eheconsense und das Recht der
Ehebeförderung. -- Das historische Princip der Entwicklung dieses Rechts.)

Die Ehe ist die natürliche Quelle aller Bevölkerung. Alle Wünsche
und Maßregeln, welche die Zu- und Abnahme der Bevölkerung betreffen,

Organiſation, welche einen regelmäßigen Bedarf von Mannſchaft
für das Heer ſetzt. Das zweite will dagegen, daß die Steuereinnahme
eine regelmäßige werde. Im erſten Fall fordert man die Vermehrung
wegen der Macht, im zweiten wegen des Reichthums. Man muß nun
ſagen, daß die Bevölkerungspolitik, die wir unter den römiſchen Kaiſern
entſtehen und ſeit dem 17. Jahrhundert mit Ludwig XIV wieder auftreten
ſehen, eine militäriſche iſt; daß ſie aber mit der Mitte des 18. Jahr-
hunderts eine volkswirthſchaftliche wird. Bis zum 19. Jahrhundert aber
bleibt in allen einzelnen Maßregeln noch immer der Gedanke maß-
gebend, daß die Verwaltung denn doch durch ihre Maßregeln wirklich
auf die Bewegung der Bevölkerung einen weſentlichen Einfluß nehmen
könne und ſolle. Erſt mit dem 19. Jahrhundert verſchwindet dieſe Hoff-
nung. Es ergibt ſich daraus, daß, wie es die Natur der Sache for-
dert, die Bevölkerungspolitik ſtets dieſelben Gebiete beibehält
(Ehen, Kinder, Einwanderung, Auswanderung), daß ſie aber ihre
Maßregeln in Princip und Form in Beziehung auf dieſelben weſentlich
ändert. Bis zum 19. Jahrhundert will man jene Erſcheinungen direkt
erzeugen oder hindern; mit dem 19. Jahrhundert will man ſie nur noch
ordnen. Es hat daher die Bevölkerungspolitik in beiden Hauptſtadien
ihrer Entwicklung denſelben formalen Inhalt, aber einen weſentlich
andern Geiſt. Und eine richtige Darſtellung derſelben muß daher die-
ſen Unterſchied unbedingt feſthalten und klar machen. Das iſt es eigent-
lich, was wir für unſere Aufgabe halten. Der große Fehler, den
Mohl begeht und dem Gerſtner ſich gleichfalls nicht entzogen hat,
beſteht darin, dieſen Unterſchied nicht erkannt und feſtgehalten zu haben.
Dadurch iſt ihre Darſtellung bei aller Richtigkeit der einzelnen Angaben
das, was man unpraktiſch nennt; denn nur die Geſchichte iſt wahrhaft
praktiſch. Namentlich Gerſtner verwechſelt die obigen Formen der
Bewegung und die volkswirthſchaftlichen Geſetze derſelben nur zu oft
mit dem, was die Verwaltung ihrerſeits in Beziehung auf jene Er-
ſcheinungen thut oder zu thun hat, und daher iſt auch bei ihm die
Darſtellung des öffentlichen Rechts keine vollſtändige. Wir werden im
Einzelnen darauf zurückkommen.

I. Das öffentliche Eherecht.
Begriff und Inhalt deſſelben.

(Die beiden Gebiete deſſelben, das Recht der Eheconſenſe und das Recht der
Ehebeförderung. — Das hiſtoriſche Princip der Entwicklung dieſes Rechts.)

Die Ehe iſt die natürliche Quelle aller Bevölkerung. Alle Wünſche
und Maßregeln, welche die Zu- und Abnahme der Bevölkerung betreffen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0146" n="124"/>
Organi&#x017F;ation, welche einen <hi rendition="#g">regelmäßigen</hi> Bedarf von Mann&#x017F;chaft<lb/>
für das Heer &#x017F;etzt. Das zweite will dagegen, daß die Steuereinnahme<lb/>
eine regelmäßige werde. Im er&#x017F;ten Fall fordert man die Vermehrung<lb/>
wegen der Macht, im zweiten wegen des Reichthums. Man muß nun<lb/>
&#x017F;agen, daß die Bevölkerungspolitik, die wir unter den römi&#x017F;chen Kai&#x017F;ern<lb/>
ent&#x017F;tehen und &#x017F;eit dem 17. Jahrhundert mit Ludwig <hi rendition="#aq">XIV</hi> wieder auftreten<lb/>
&#x017F;ehen, eine militäri&#x017F;che i&#x017F;t; daß &#x017F;ie aber mit der Mitte des 18. Jahr-<lb/>
hunderts eine volkswirth&#x017F;chaftliche wird. Bis zum 19. Jahrhundert aber<lb/>
bleibt in <hi rendition="#g">allen</hi> einzelnen Maßregeln noch immer der Gedanke maß-<lb/>
gebend, daß die Verwaltung denn doch durch ihre Maßregeln wirklich<lb/>
auf die Bewegung der Bevölkerung einen we&#x017F;entlichen Einfluß nehmen<lb/>
könne und &#x017F;olle. Er&#x017F;t mit dem 19. Jahrhundert ver&#x017F;chwindet die&#x017F;e Hoff-<lb/>
nung. Es ergibt &#x017F;ich daraus, daß, wie es die Natur der Sache for-<lb/>
dert, die Bevölkerungspolitik &#x017F;tets <hi rendition="#g">die&#x017F;elben Gebiete beibehält</hi><lb/>
(Ehen, Kinder, Einwanderung, Auswanderung), daß &#x017F;ie aber ihre<lb/>
Maßregeln in Princip und Form in Beziehung auf die&#x017F;elben we&#x017F;entlich<lb/><hi rendition="#g">ändert</hi>. Bis zum 19. Jahrhundert will man jene Er&#x017F;cheinungen direkt<lb/>
erzeugen oder hindern; mit dem 19. Jahrhundert will man &#x017F;ie nur noch<lb/><hi rendition="#g">ordnen</hi>. Es hat daher die Bevölkerungspolitik in beiden Haupt&#x017F;tadien<lb/>
ihrer Entwicklung den&#x017F;elben formalen Inhalt, aber einen we&#x017F;entlich<lb/>
andern Gei&#x017F;t. Und eine richtige Dar&#x017F;tellung der&#x017F;elben muß daher die-<lb/>
&#x017F;en Unter&#x017F;chied unbedingt fe&#x017F;thalten und klar machen. Das i&#x017F;t es eigent-<lb/>
lich, was wir für <hi rendition="#g">un&#x017F;ere</hi> Aufgabe halten. Der große Fehler, den<lb/><hi rendition="#g">Mohl</hi> begeht und dem <hi rendition="#g">Ger&#x017F;tner</hi> &#x017F;ich gleichfalls nicht entzogen hat,<lb/>
be&#x017F;teht darin, die&#x017F;en Unter&#x017F;chied nicht erkannt und fe&#x017F;tgehalten zu haben.<lb/>
Dadurch i&#x017F;t ihre Dar&#x017F;tellung bei aller Richtigkeit der einzelnen Angaben<lb/>
das, was man unprakti&#x017F;ch nennt; denn nur die Ge&#x017F;chichte i&#x017F;t wahrhaft<lb/>
prakti&#x017F;ch. Namentlich <hi rendition="#g">Ger&#x017F;tner</hi> verwech&#x017F;elt die obigen Formen der<lb/>
Bewegung und die volkswirth&#x017F;chaftlichen Ge&#x017F;etze der&#x017F;elben nur zu oft<lb/>
mit dem, was die Verwaltung ihrer&#x017F;eits in Beziehung auf jene Er-<lb/>
&#x017F;cheinungen thut oder zu thun hat, und daher i&#x017F;t auch bei ihm die<lb/>
Dar&#x017F;tellung des öffentlichen Rechts keine voll&#x017F;tändige. Wir werden im<lb/>
Einzelnen darauf zurückkommen.</p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Das öffentliche Eherecht.</hi> </head><lb/>
                  <div n="7">
                    <head><hi rendition="#g">Begriff und Inhalt de&#x017F;&#x017F;elben</hi>.</head><lb/>
                    <argument>
                      <p> <hi rendition="#c">(Die beiden Gebiete de&#x017F;&#x017F;elben, das Recht der <hi rendition="#g">Ehecon&#x017F;en&#x017F;e</hi> und das Recht der<lb/><hi rendition="#g">Ehebeförderung</hi>. &#x2014; Das hi&#x017F;tori&#x017F;che Princip der Entwicklung die&#x017F;es Rechts.)</hi> </p>
                    </argument><lb/>
                    <p>Die Ehe i&#x017F;t die natürliche Quelle aller Bevölkerung. Alle Wün&#x017F;che<lb/>
und Maßregeln, welche die Zu- und Abnahme der Bevölkerung betreffen,<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0146] Organiſation, welche einen regelmäßigen Bedarf von Mannſchaft für das Heer ſetzt. Das zweite will dagegen, daß die Steuereinnahme eine regelmäßige werde. Im erſten Fall fordert man die Vermehrung wegen der Macht, im zweiten wegen des Reichthums. Man muß nun ſagen, daß die Bevölkerungspolitik, die wir unter den römiſchen Kaiſern entſtehen und ſeit dem 17. Jahrhundert mit Ludwig XIV wieder auftreten ſehen, eine militäriſche iſt; daß ſie aber mit der Mitte des 18. Jahr- hunderts eine volkswirthſchaftliche wird. Bis zum 19. Jahrhundert aber bleibt in allen einzelnen Maßregeln noch immer der Gedanke maß- gebend, daß die Verwaltung denn doch durch ihre Maßregeln wirklich auf die Bewegung der Bevölkerung einen weſentlichen Einfluß nehmen könne und ſolle. Erſt mit dem 19. Jahrhundert verſchwindet dieſe Hoff- nung. Es ergibt ſich daraus, daß, wie es die Natur der Sache for- dert, die Bevölkerungspolitik ſtets dieſelben Gebiete beibehält (Ehen, Kinder, Einwanderung, Auswanderung), daß ſie aber ihre Maßregeln in Princip und Form in Beziehung auf dieſelben weſentlich ändert. Bis zum 19. Jahrhundert will man jene Erſcheinungen direkt erzeugen oder hindern; mit dem 19. Jahrhundert will man ſie nur noch ordnen. Es hat daher die Bevölkerungspolitik in beiden Hauptſtadien ihrer Entwicklung denſelben formalen Inhalt, aber einen weſentlich andern Geiſt. Und eine richtige Darſtellung derſelben muß daher die- ſen Unterſchied unbedingt feſthalten und klar machen. Das iſt es eigent- lich, was wir für unſere Aufgabe halten. Der große Fehler, den Mohl begeht und dem Gerſtner ſich gleichfalls nicht entzogen hat, beſteht darin, dieſen Unterſchied nicht erkannt und feſtgehalten zu haben. Dadurch iſt ihre Darſtellung bei aller Richtigkeit der einzelnen Angaben das, was man unpraktiſch nennt; denn nur die Geſchichte iſt wahrhaft praktiſch. Namentlich Gerſtner verwechſelt die obigen Formen der Bewegung und die volkswirthſchaftlichen Geſetze derſelben nur zu oft mit dem, was die Verwaltung ihrerſeits in Beziehung auf jene Er- ſcheinungen thut oder zu thun hat, und daher iſt auch bei ihm die Darſtellung des öffentlichen Rechts keine vollſtändige. Wir werden im Einzelnen darauf zurückkommen. I. Das öffentliche Eherecht. Begriff und Inhalt deſſelben. (Die beiden Gebiete deſſelben, das Recht der Eheconſenſe und das Recht der Ehebeförderung. — Das hiſtoriſche Princip der Entwicklung dieſes Rechts.) Die Ehe iſt die natürliche Quelle aller Bevölkerung. Alle Wünſche und Maßregeln, welche die Zu- und Abnahme der Bevölkerung betreffen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/146
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/146>, abgerufen am 21.11.2024.