und mithin nur Wirkungen der Ursachen, aus denen jene statistischen Thatsachen entstehen; und die Frage bleibt, ob dann der Staat als Verwaltung mit diesen Ursachen nichts zu thun haben solle. So weit nun diese Frage auf- tritt, so weit wird sie im Allgemeinen nur dahin beantwortet, wie es die frühere Zeit gethan (s. oben); die Verwaltung soll nicht unmittelbar eingreifen. Allein in der Ungewißheit, ob man dann die Verwaltung ganz ausschließen solle, bleibt man nach Mohls Vorgange dabei, die einzelnen der Bevölkerungspolitik angehörigen Maßregeln zu untersuchen, und mit Recht; nur schiebt man den Schwerpunkt der Sache mehr und mehr aus der Nationalökonomie und der socialen und administrativen Frage hinaus in die Statistik. Die Ergebnisse der letztern sind es, welche für den Kern der Sache seit 20 Jahren als wesent- lich maßgebend erschienen. Die geschmackvollste Arbeit, welche diesen, alle Standpunkte in sich aufnehmenden und jeden einzelnen scharf beleuchtenden, aber zu keinem einheitlichen und organischen Princip für die Verwaltung gelan- genden Standpunkt unserer Zeit wohl am besten und mit großer Umsicht dar- legt, ist ohne Zweifel J. Gerstner, die Bevölkerungslehre (Grundlehre der Staatsverwaltung II. Bd. 1. Abth. 1864). Das Resultat ist, daß die Ver- waltung im Ganzen den Gang der Dinge nicht ändern könne, und ebenso es auch mit Maßregeln für das Ganze nicht versuchen solle; daß dagegen ein- zelne Maßregeln ihren besondern Werth behalten. Wir stimmen dem natürlich bei. Aber der weitere Gesichtspunkt, daß die Bewegung der Bevölkerung von den gesellschaftlichen Ordnungen abhängt, daß die Bevölkerung der Ge- schlechtsordnung stabil ist, daß die ständische Ordnung in dem Grade mehr die Verminderung der Bevölkerung erzeugt, in welchem sie sich strengere Unter- schiede bildet, und daß die staatsbürgerliche Ordnung die Vermehrung der niedern Classe und die Verminderung der höhern bedingt -- alles auf die obigen Faktoren von Arbeit in Maß und Art zurückgeführt -- wird erst künftig die Bevölkerungslehre zu einer organischen Wissenschaft machen, und sie von der Dienstbarkeit befreien, in der sie jetzt zur ziffermäßigen Statistik steht. Quetelet hat das in seinem Systeme social geahnt; möge es uns verstattet sein, diese Anschauung hier zu bestimmter wissenschaftlicher Formel zu gestalten.
Die einzelnen Maßregeln und Aufgaben der Bevölkerungspolitik.
Es wird sich aus der obigen Darstellung ergeben haben, daß der Standpunkt, den die gegenwärtige Verwaltung in Beziehung auf die Bevölkerungspolitik einnimmt, ein wesentlich anderer als der des vori- gen Jahrhunderts ist. Die Verwaltung will keine unmittelbare Einwirkung auf die Bewegung der Bevölkerung; sie soll nur noch die allgemeinen persönlichen und volkswirthschaftlichen Bedingungen, unter denen sich das richtige Maß der Bevölkerung von selbst herstellt, sichern. Die Frage nach der Ueber- und Untervölkerung (wie sie neulich Gerstner genannt hat) ist keine Frage für die Verwaltung, sondern eine statistisch-
und mithin nur Wirkungen der Urſachen, aus denen jene ſtatiſtiſchen Thatſachen entſtehen; und die Frage bleibt, ob dann der Staat als Verwaltung mit dieſen Urſachen nichts zu thun haben ſolle. So weit nun dieſe Frage auf- tritt, ſo weit wird ſie im Allgemeinen nur dahin beantwortet, wie es die frühere Zeit gethan (ſ. oben); die Verwaltung ſoll nicht unmittelbar eingreifen. Allein in der Ungewißheit, ob man dann die Verwaltung ganz ausſchließen ſolle, bleibt man nach Mohls Vorgange dabei, die einzelnen der Bevölkerungspolitik angehörigen Maßregeln zu unterſuchen, und mit Recht; nur ſchiebt man den Schwerpunkt der Sache mehr und mehr aus der Nationalökonomie und der ſocialen und adminiſtrativen Frage hinaus in die Statiſtik. Die Ergebniſſe der letztern ſind es, welche für den Kern der Sache ſeit 20 Jahren als weſent- lich maßgebend erſchienen. Die geſchmackvollſte Arbeit, welche dieſen, alle Standpunkte in ſich aufnehmenden und jeden einzelnen ſcharf beleuchtenden, aber zu keinem einheitlichen und organiſchen Princip für die Verwaltung gelan- genden Standpunkt unſerer Zeit wohl am beſten und mit großer Umſicht dar- legt, iſt ohne Zweifel J. Gerſtner, die Bevölkerungslehre (Grundlehre der Staatsverwaltung II. Bd. 1. Abth. 1864). Das Reſultat iſt, daß die Ver- waltung im Ganzen den Gang der Dinge nicht ändern könne, und ebenſo es auch mit Maßregeln für das Ganze nicht verſuchen ſolle; daß dagegen ein- zelne Maßregeln ihren beſondern Werth behalten. Wir ſtimmen dem natürlich bei. Aber der weitere Geſichtspunkt, daß die Bewegung der Bevölkerung von den geſellſchaftlichen Ordnungen abhängt, daß die Bevölkerung der Ge- ſchlechtsordnung ſtabil iſt, daß die ſtändiſche Ordnung in dem Grade mehr die Verminderung der Bevölkerung erzeugt, in welchem ſie ſich ſtrengere Unter- ſchiede bildet, und daß die ſtaatsbürgerliche Ordnung die Vermehrung der niedern Claſſe und die Verminderung der höhern bedingt — alles auf die obigen Faktoren von Arbeit in Maß und Art zurückgeführt — wird erſt künftig die Bevölkerungslehre zu einer organiſchen Wiſſenſchaft machen, und ſie von der Dienſtbarkeit befreien, in der ſie jetzt zur ziffermäßigen Statiſtik ſteht. Quetelet hat das in ſeinem Système social geahnt; möge es uns verſtattet ſein, dieſe Anſchauung hier zu beſtimmter wiſſenſchaftlicher Formel zu geſtalten.
Die einzelnen Maßregeln und Aufgaben der Bevölkerungspolitik.
Es wird ſich aus der obigen Darſtellung ergeben haben, daß der Standpunkt, den die gegenwärtige Verwaltung in Beziehung auf die Bevölkerungspolitik einnimmt, ein weſentlich anderer als der des vori- gen Jahrhunderts iſt. Die Verwaltung will keine unmittelbare Einwirkung auf die Bewegung der Bevölkerung; ſie ſoll nur noch die allgemeinen perſönlichen und volkswirthſchaftlichen Bedingungen, unter denen ſich das richtige Maß der Bevölkerung von ſelbſt herſtellt, ſichern. Die Frage nach der Ueber- und Untervölkerung (wie ſie neulich Gerſtner genannt hat) iſt keine Frage für die Verwaltung, ſondern eine ſtatiſtiſch-
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und mithin nur Wirkungen der Urſachen, aus denen jene ſtatiſtiſchen Thatſachen
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tritt, ſo weit wird ſie im Allgemeinen nur dahin beantwortet, wie es die frühere
Zeit gethan (ſ. oben); die Verwaltung ſoll nicht unmittelbar eingreifen. Allein
in der Ungewißheit, ob man dann die Verwaltung ganz ausſchließen ſolle,
bleibt man nach Mohls Vorgange dabei, die einzelnen der Bevölkerungspolitik
angehörigen Maßregeln zu unterſuchen, und mit Recht; nur ſchiebt man den
Schwerpunkt der Sache mehr und mehr aus der Nationalökonomie und der
ſocialen und adminiſtrativen Frage hinaus in die Statiſtik. Die Ergebniſſe
der letztern ſind es, welche für den Kern der Sache ſeit 20 Jahren als weſent-
lich maßgebend erſchienen. Die geſchmackvollſte Arbeit, welche dieſen, alle
Standpunkte in ſich aufnehmenden und jeden einzelnen ſcharf beleuchtenden, aber
zu keinem einheitlichen und organiſchen Princip für die Verwaltung gelan-
genden Standpunkt unſerer Zeit wohl am beſten und mit großer Umſicht dar-
legt, iſt ohne Zweifel J. Gerſtner, die Bevölkerungslehre (Grundlehre
der Staatsverwaltung II. Bd. 1. Abth. 1864). Das Reſultat iſt, daß die Ver-
waltung im Ganzen den Gang der Dinge nicht ändern könne, und ebenſo
es auch mit Maßregeln für das Ganze nicht verſuchen ſolle; daß dagegen ein-
zelne Maßregeln ihren beſondern Werth behalten. Wir ſtimmen dem natürlich
bei. Aber der weitere Geſichtspunkt, daß die Bewegung der Bevölkerung von
den geſellſchaftlichen Ordnungen abhängt, daß die Bevölkerung der Ge-
ſchlechtsordnung ſtabil iſt, daß die ſtändiſche Ordnung in dem Grade mehr die
Verminderung der Bevölkerung erzeugt, in welchem ſie ſich ſtrengere Unter-
ſchiede bildet, und daß die ſtaatsbürgerliche Ordnung die Vermehrung der
niedern Claſſe und die Verminderung der höhern bedingt — alles auf
die obigen Faktoren von Arbeit in Maß und Art zurückgeführt — wird erſt
künftig die Bevölkerungslehre zu einer organiſchen Wiſſenſchaft machen, und
ſie von der Dienſtbarkeit befreien, in der ſie jetzt zur ziffermäßigen Statiſtik ſteht.
Quetelet hat das in ſeinem Système social geahnt; möge es uns verſtattet
ſein, dieſe Anſchauung hier zu beſtimmter wiſſenſchaftlicher Formel zu geſtalten.
Die einzelnen Maßregeln und Aufgaben der
Bevölkerungspolitik.
Es wird ſich aus der obigen Darſtellung ergeben haben, daß der
Standpunkt, den die gegenwärtige Verwaltung in Beziehung auf die
Bevölkerungspolitik einnimmt, ein weſentlich anderer als der des vori-
gen Jahrhunderts iſt. Die Verwaltung will keine unmittelbare
Einwirkung auf die Bewegung der Bevölkerung; ſie ſoll nur noch die
allgemeinen perſönlichen und volkswirthſchaftlichen Bedingungen, unter
denen ſich das richtige Maß der Bevölkerung von ſelbſt herſtellt, ſichern.
Die Frage nach der Ueber- und Untervölkerung (wie ſie neulich Gerſtner
genannt hat) iſt keine Frage für die Verwaltung, ſondern eine ſtatiſtiſch-
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 2 (2,1). Stuttgart, 1866, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre02_1866/144>, abgerufen am 21.02.2025.
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