Kreises annimmt, dennoch aber Gemeinde bleibt, und mithin Kreis- angelegenheiten mit einer Gemeindeverfassung verwaltet. Es kann ferner sein, daß ein Theil der Verwaltungsaufgaben (Kirche, Schule, Wege- wesen etc.) durch selbständige Verwaltungsgemeinden, ein anderer Theil durch die Ortsgemeinden verwaltet wird. Es kann endlich sein, daß diese Verwaltungsaufgaben durch den Kreis und seine Gemeinde zum Theil verwaltet werden, zum Theil durch die Verwaltungsgemeinde, zum Theil durch die Ortsgemeinde. In jedem Falle aber muß eine bestimmte Vertheilung dieser Aufgaben an diese drei Grundformen der örtlichen Selbstverwaltung stattfinden, welche wieder für die Ver- fassung derselben entscheidend wird. Und indem somit diese Verschieden- heit der Gemeinden doch wieder ein Ganzes bildet, sprechen wir von einem System der örtlichen Selbstverwaltung, als von einem System des Gemeindewesens im weiteren Sinne.
Dieß System der örtlichen Selbstverwaltung ist nun in jedem Staate der Welt schon seinen Formen nach verschieden. Und zwar darum, weil die örtlichen Lebensverhältnisse derselben, die der Bildung jenes Systems zum Grunde liegen, selbst wieder verschieden sind. Es ist ein eigenes Studium, diese Gestalt auch nur in ihren Grundzügen darzustellen. Reichhaltiger und individueller wird aber dieselbe, indem man die zwei Elemente hinzufügt, welche einerseits für die äußere, andererseits für die innere Ordnung dieses Systems entscheidend wirken, und aus welchen eigentlich erst der Begriff des Gemeindewesens hervorgeht.
2) Der amtliche Organismus und die gesellschaftliche Ordnung in der örtlichen Selbstverwaltung.
Das System der örtlichen Selbstverwaltung, in der obigen Weise begründet, umfaßt nun, wie man sieht, den ganzen Staat. Indem es für jeden Theil desselben gilt, gilt es eben zugleich für das Ganze. Es ist derjenige Organismus, der das Staatsbürgerthum auf jedem Punkte der wirklichen Thätigkeit der Regierung mit erscheinen, mit ein- greifen läßt. Eben darum aber erscheint dasselbe auch bestimmt von den beiden großen Faktoren des Gesammtlebens, einerseits der persön- lichen Ordnung des Staats, andererseits der gesellschaftlichen Ordnung der Staatsbürger. Der erste Faktor entscheidet über die systematische Ordnung, der zweite über die innere Verfassung der Selbstverwaltung. Und das ist es, wodurch die letztere jenen Charakter der Individualität erhält, der es in den Staaten Europas so sehr auszeichnet.
Kreiſes annimmt, dennoch aber Gemeinde bleibt, und mithin Kreis- angelegenheiten mit einer Gemeindeverfaſſung verwaltet. Es kann ferner ſein, daß ein Theil der Verwaltungsaufgaben (Kirche, Schule, Wege- weſen ꝛc.) durch ſelbſtändige Verwaltungsgemeinden, ein anderer Theil durch die Ortsgemeinden verwaltet wird. Es kann endlich ſein, daß dieſe Verwaltungsaufgaben durch den Kreis und ſeine Gemeinde zum Theil verwaltet werden, zum Theil durch die Verwaltungsgemeinde, zum Theil durch die Ortsgemeinde. In jedem Falle aber muß eine beſtimmte Vertheilung dieſer Aufgaben an dieſe drei Grundformen der örtlichen Selbſtverwaltung ſtattfinden, welche wieder für die Ver- faſſung derſelben entſcheidend wird. Und indem ſomit dieſe Verſchieden- heit der Gemeinden doch wieder ein Ganzes bildet, ſprechen wir von einem Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung, als von einem Syſtem des Gemeindeweſens im weiteren Sinne.
Dieß Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung iſt nun in jedem Staate der Welt ſchon ſeinen Formen nach verſchieden. Und zwar darum, weil die örtlichen Lebensverhältniſſe derſelben, die der Bildung jenes Syſtems zum Grunde liegen, ſelbſt wieder verſchieden ſind. Es iſt ein eigenes Studium, dieſe Geſtalt auch nur in ihren Grundzügen darzuſtellen. Reichhaltiger und individueller wird aber dieſelbe, indem man die zwei Elemente hinzufügt, welche einerſeits für die äußere, andererſeits für die innere Ordnung dieſes Syſtems entſcheidend wirken, und aus welchen eigentlich erſt der Begriff des Gemeindeweſens hervorgeht.
2) Der amtliche Organismus und die geſellſchaftliche Ordnung in der örtlichen Selbſtverwaltung.
Das Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung, in der obigen Weiſe begründet, umfaßt nun, wie man ſieht, den ganzen Staat. Indem es für jeden Theil deſſelben gilt, gilt es eben zugleich für das Ganze. Es iſt derjenige Organismus, der das Staatsbürgerthum auf jedem Punkte der wirklichen Thätigkeit der Regierung mit erſcheinen, mit ein- greifen läßt. Eben darum aber erſcheint daſſelbe auch beſtimmt von den beiden großen Faktoren des Geſammtlebens, einerſeits der perſön- lichen Ordnung des Staats, andererſeits der geſellſchaftlichen Ordnung der Staatsbürger. Der erſte Faktor entſcheidet über die ſyſtematiſche Ordnung, der zweite über die innere Verfaſſung der Selbſtverwaltung. Und das iſt es, wodurch die letztere jenen Charakter der Individualität erhält, der es in den Staaten Europas ſo ſehr auszeichnet.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0461"n="437"/>
Kreiſes annimmt, dennoch aber Gemeinde bleibt, und mithin Kreis-<lb/>
angelegenheiten mit einer Gemeindeverfaſſung verwaltet. Es kann ferner<lb/>ſein, daß ein <hirendition="#g">Theil</hi> der Verwaltungsaufgaben (Kirche, Schule, Wege-<lb/>
weſen ꝛc.) durch ſelbſtändige Verwaltungsgemeinden, ein anderer Theil<lb/>
durch die Ortsgemeinden verwaltet wird. Es kann endlich ſein, daß<lb/>
dieſe Verwaltungsaufgaben durch den Kreis und ſeine Gemeinde zum<lb/>
Theil verwaltet werden, zum Theil durch die Verwaltungsgemeinde,<lb/>
zum Theil durch die Ortsgemeinde. In jedem Falle aber muß eine<lb/>
beſtimmte <hirendition="#g">Vertheilung</hi> dieſer Aufgaben an dieſe drei Grundformen<lb/>
der örtlichen Selbſtverwaltung ſtattfinden, welche wieder für die Ver-<lb/>
faſſung derſelben entſcheidend wird. Und indem ſomit dieſe Verſchieden-<lb/>
heit der Gemeinden doch wieder ein Ganzes bildet, ſprechen wir von<lb/>
einem <hirendition="#g">Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung</hi>, als von einem<lb/>
Syſtem des Gemeindeweſens im weiteren Sinne.</p><lb/><p>Dieß Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung iſt nun in jedem<lb/>
Staate der Welt ſchon ſeinen Formen nach <hirendition="#g">verſchieden</hi>. Und zwar<lb/>
darum, weil die örtlichen Lebensverhältniſſe derſelben, die der Bildung<lb/>
jenes Syſtems zum Grunde liegen, ſelbſt wieder verſchieden ſind. Es<lb/>
iſt ein eigenes Studium, dieſe Geſtalt auch nur in ihren Grundzügen<lb/>
darzuſtellen. Reichhaltiger und individueller wird aber dieſelbe, indem<lb/>
man die zwei Elemente hinzufügt, welche einerſeits für die äußere,<lb/>
andererſeits für die innere Ordnung dieſes Syſtems entſcheidend wirken,<lb/>
und aus welchen eigentlich erſt der Begriff des <hirendition="#g">Gemeindeweſens</hi><lb/>
hervorgeht.</p></div><lb/><divn="5"><head>2) <hirendition="#g">Der amtliche Organismus und die geſellſchaftliche Ordnung<lb/>
in der örtlichen Selbſtverwaltung</hi>.</head><lb/><p>Das Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung, in der obigen Weiſe<lb/>
begründet, umfaßt nun, wie man ſieht, den ganzen Staat. Indem es<lb/>
für jeden Theil deſſelben gilt, gilt es eben zugleich für das Ganze.<lb/>
Es iſt derjenige Organismus, der das Staatsbürgerthum auf jedem<lb/>
Punkte der wirklichen Thätigkeit der Regierung mit erſcheinen, mit ein-<lb/>
greifen läßt. Eben darum aber erſcheint daſſelbe auch beſtimmt von<lb/>
den beiden großen Faktoren des Geſammtlebens, einerſeits der perſön-<lb/>
lichen Ordnung des Staats, andererſeits der geſellſchaftlichen Ordnung<lb/>
der Staatsbürger. Der erſte Faktor entſcheidet über die ſyſtematiſche<lb/>
Ordnung, der zweite über die innere Verfaſſung der Selbſtverwaltung.<lb/>
Und das iſt es, wodurch die letztere jenen Charakter der Individualität<lb/>
erhält, der es in den Staaten Europas ſo ſehr auszeichnet.</p><lb/></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[437/0461]
Kreiſes annimmt, dennoch aber Gemeinde bleibt, und mithin Kreis-
angelegenheiten mit einer Gemeindeverfaſſung verwaltet. Es kann ferner
ſein, daß ein Theil der Verwaltungsaufgaben (Kirche, Schule, Wege-
weſen ꝛc.) durch ſelbſtändige Verwaltungsgemeinden, ein anderer Theil
durch die Ortsgemeinden verwaltet wird. Es kann endlich ſein, daß
dieſe Verwaltungsaufgaben durch den Kreis und ſeine Gemeinde zum
Theil verwaltet werden, zum Theil durch die Verwaltungsgemeinde,
zum Theil durch die Ortsgemeinde. In jedem Falle aber muß eine
beſtimmte Vertheilung dieſer Aufgaben an dieſe drei Grundformen
der örtlichen Selbſtverwaltung ſtattfinden, welche wieder für die Ver-
faſſung derſelben entſcheidend wird. Und indem ſomit dieſe Verſchieden-
heit der Gemeinden doch wieder ein Ganzes bildet, ſprechen wir von
einem Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung, als von einem
Syſtem des Gemeindeweſens im weiteren Sinne.
Dieß Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung iſt nun in jedem
Staate der Welt ſchon ſeinen Formen nach verſchieden. Und zwar
darum, weil die örtlichen Lebensverhältniſſe derſelben, die der Bildung
jenes Syſtems zum Grunde liegen, ſelbſt wieder verſchieden ſind. Es
iſt ein eigenes Studium, dieſe Geſtalt auch nur in ihren Grundzügen
darzuſtellen. Reichhaltiger und individueller wird aber dieſelbe, indem
man die zwei Elemente hinzufügt, welche einerſeits für die äußere,
andererſeits für die innere Ordnung dieſes Syſtems entſcheidend wirken,
und aus welchen eigentlich erſt der Begriff des Gemeindeweſens
hervorgeht.
2) Der amtliche Organismus und die geſellſchaftliche Ordnung
in der örtlichen Selbſtverwaltung.
Das Syſtem der örtlichen Selbſtverwaltung, in der obigen Weiſe
begründet, umfaßt nun, wie man ſieht, den ganzen Staat. Indem es
für jeden Theil deſſelben gilt, gilt es eben zugleich für das Ganze.
Es iſt derjenige Organismus, der das Staatsbürgerthum auf jedem
Punkte der wirklichen Thätigkeit der Regierung mit erſcheinen, mit ein-
greifen läßt. Eben darum aber erſcheint daſſelbe auch beſtimmt von
den beiden großen Faktoren des Geſammtlebens, einerſeits der perſön-
lichen Ordnung des Staats, andererſeits der geſellſchaftlichen Ordnung
der Staatsbürger. Der erſte Faktor entſcheidet über die ſyſtematiſche
Ordnung, der zweite über die innere Verfaſſung der Selbſtverwaltung.
Und das iſt es, wodurch die letztere jenen Charakter der Individualität
erhält, der es in den Staaten Europas ſo ſehr auszeichnet.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/461>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.