Diesen Rechten und Pflichten der Regierung entspricht nun von Seiten des Einzelnen der Gehorsam, der, in sofern seine Gränzen durch das Gesetz gegeben sind, der verfassungsmäßige Gehorsam ist. Der Widerstand ist an und für sich ein Unrecht; dagegen ist das Recht des passiven Widerstandes ein organisches Recht, und der Ein- zelne haftet dabei seinerseits dafür, daß er zu demselben berechtigt war oder nicht.
B.Die Selbstverwaltung.
I. Begriff und Organismus.
Die Selbstverwaltung ist die erste Form, in welcher die Idee der freien Verwaltung als der organisirten und berechtigten Theilnahme der Staatsbürger an der Funktion der Vollziehung im Allgemeinen, in der Verwaltung im Besondern zur Verwirklichung gelangt. Sie entsteht dadurch, daß nicht so sehr der freie und selbstthätige Wille des Einzelnen, als vielmehr die Natur gegebener Verhältnisse jene Theil- nahme erzeugt und nothwendig macht.
Es folgt daraus, daß das System dieser Selbstverwaltung auf dem System eben dieser natürlichen Faktoren beruht, welche sie selbst erzeu- gen. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß die Selbstverwaltung kein einfacher Begriff ist, und daher auch keine einfache Funktion hat und haben kann; zugleich aber auch, daß sie wie ihre natürlichen Grund- lagen den ganzen Staat umschließt, und somit ein zweites organisches System der Vollziehung neben dem der Regierung bildet, aus deren gegenseitigen Berührung dann das Recht beider hervorgeht.
Zwei große Gebiete des wirklichen Lebens sind es nun, mit denen die Vollziehung zu thun hat; und die Selbstverwaltung hat da- her auch im allgemeinsten Sinne zwei Grundformen. Das erste Gebiet ist das der Interessen, das zweite ist das des festen, begränzten Grundbesitzes. Die Organisation der Betheiligung des Staats- bürgerthums an der Vollziehung in Beziehung auf die Interessen nen- nen wir die Vertretungen, in Beziehung auf den örtlich begränzten Grundbesitz die eigentliche Selbstverwaltung. Jede dieser Organi- sationen bildet dann, für ein bestimmtes Gebiet thätig, das was wir den Selbstverwaltungskörper nennen.
Die Organisation aller dieser Selbstverwaltungskörper beruht ge- meinschaftlich auf dem Princip, die Thätigkeit des Einzelnen an den Funktion der Vollziehung zuzulassen, während sie im Ganzen des Staates als selbständige Organe, in ihren höheren Stufen als selbständige Persönlichkeit dastehen. Die Verwirklichung dieses Princips geschieht
Dieſen Rechten und Pflichten der Regierung entſpricht nun von Seiten des Einzelnen der Gehorſam, der, in ſofern ſeine Gränzen durch das Geſetz gegeben ſind, der verfaſſungsmäßige Gehorſam iſt. Der Widerſtand iſt an und für ſich ein Unrecht; dagegen iſt das Recht des paſſiven Widerſtandes ein organiſches Recht, und der Ein- zelne haftet dabei ſeinerſeits dafür, daß er zu demſelben berechtigt war oder nicht.
B.Die Selbſtverwaltung.
I. Begriff und Organismus.
Die Selbſtverwaltung iſt die erſte Form, in welcher die Idee der freien Verwaltung als der organiſirten und berechtigten Theilnahme der Staatsbürger an der Funktion der Vollziehung im Allgemeinen, in der Verwaltung im Beſondern zur Verwirklichung gelangt. Sie entſteht dadurch, daß nicht ſo ſehr der freie und ſelbſtthätige Wille des Einzelnen, als vielmehr die Natur gegebener Verhältniſſe jene Theil- nahme erzeugt und nothwendig macht.
Es folgt daraus, daß das Syſtem dieſer Selbſtverwaltung auf dem Syſtem eben dieſer natürlichen Faktoren beruht, welche ſie ſelbſt erzeu- gen. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß die Selbſtverwaltung kein einfacher Begriff iſt, und daher auch keine einfache Funktion hat und haben kann; zugleich aber auch, daß ſie wie ihre natürlichen Grund- lagen den ganzen Staat umſchließt, und ſomit ein zweites organiſches Syſtem der Vollziehung neben dem der Regierung bildet, aus deren gegenſeitigen Berührung dann das Recht beider hervorgeht.
Zwei große Gebiete des wirklichen Lebens ſind es nun, mit denen die Vollziehung zu thun hat; und die Selbſtverwaltung hat da- her auch im allgemeinſten Sinne zwei Grundformen. Das erſte Gebiet iſt das der Intereſſen, das zweite iſt das des feſten, begränzten Grundbeſitzes. Die Organiſation der Betheiligung des Staats- bürgerthums an der Vollziehung in Beziehung auf die Intereſſen nen- nen wir die Vertretungen, in Beziehung auf den örtlich begränzten Grundbeſitz die eigentliche Selbſtverwaltung. Jede dieſer Organi- ſationen bildet dann, für ein beſtimmtes Gebiet thätig, das was wir den Selbſtverwaltungskörper nennen.
Die Organiſation aller dieſer Selbſtverwaltungskörper beruht ge- meinſchaftlich auf dem Princip, die Thätigkeit des Einzelnen an den Funktion der Vollziehung zuzulaſſen, während ſie im Ganzen des Staates als ſelbſtändige Organe, in ihren höheren Stufen als ſelbſtändige Perſönlichkeit daſtehen. Die Verwirklichung dieſes Princips geſchieht
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0049"n="25"/><p>Dieſen Rechten und Pflichten der Regierung entſpricht nun von<lb/>
Seiten des Einzelnen der <hirendition="#g">Gehorſam</hi>, der, in ſofern ſeine Gränzen<lb/>
durch das Geſetz gegeben ſind, der <hirendition="#g">verfaſſungsmäßige</hi> Gehorſam<lb/>
iſt. Der Widerſtand iſt an und für ſich ein Unrecht; dagegen iſt das<lb/>
Recht des paſſiven Widerſtandes ein organiſches Recht, und der Ein-<lb/>
zelne <hirendition="#g">haftet</hi> dabei ſeinerſeits dafür, daß er zu demſelben berechtigt<lb/>
war oder nicht.</p></div></div><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">B.</hi><hirendition="#g">Die Selbſtverwaltung</hi>.</hi></head><lb/><divn="5"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Begriff und Organismus.</hi></head><lb/><p>Die Selbſtverwaltung iſt die erſte Form, in welcher die Idee der<lb/>
freien Verwaltung als der organiſirten und berechtigten Theilnahme<lb/>
der Staatsbürger an der Funktion der Vollziehung im Allgemeinen,<lb/>
in der Verwaltung im Beſondern zur Verwirklichung gelangt. Sie<lb/>
entſteht dadurch, daß nicht ſo ſehr der freie und ſelbſtthätige Wille des<lb/>
Einzelnen, als vielmehr die Natur gegebener Verhältniſſe jene Theil-<lb/>
nahme erzeugt und nothwendig macht.</p><lb/><p>Es folgt daraus, daß das Syſtem dieſer Selbſtverwaltung auf dem<lb/>
Syſtem eben dieſer natürlichen Faktoren beruht, welche ſie ſelbſt erzeu-<lb/>
gen. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß die Selbſtverwaltung<lb/><hirendition="#g">kein</hi> einfacher Begriff iſt, und daher auch keine einfache Funktion hat<lb/>
und haben kann; zugleich aber auch, daß ſie wie ihre natürlichen Grund-<lb/>
lagen den <hirendition="#g">ganzen</hi> Staat umſchließt, und ſomit ein zweites organiſches<lb/>
Syſtem der Vollziehung neben dem der Regierung bildet, aus deren<lb/>
gegenſeitigen Berührung dann das Recht beider hervorgeht.</p><lb/><p>Zwei große Gebiete des wirklichen Lebens ſind es nun, mit<lb/>
denen die Vollziehung zu thun hat; und die Selbſtverwaltung hat da-<lb/>
her auch im allgemeinſten Sinne zwei Grundformen. Das erſte Gebiet<lb/>
iſt das der <hirendition="#g">Intereſſen</hi>, das zweite iſt das des feſten, begränzten<lb/><hirendition="#g">Grundbeſitzes</hi>. Die Organiſation der Betheiligung des Staats-<lb/>
bürgerthums an der Vollziehung in Beziehung auf die Intereſſen nen-<lb/>
nen wir die <hirendition="#g">Vertretungen</hi>, in Beziehung auf den örtlich begränzten<lb/>
Grundbeſitz die <hirendition="#g">eigentliche</hi> Selbſtverwaltung. Jede dieſer Organi-<lb/>ſationen bildet dann, für ein beſtimmtes Gebiet thätig, das was<lb/>
wir den <hirendition="#g">Selbſtverwaltungskörper</hi> nennen.</p><lb/><p>Die Organiſation aller dieſer Selbſtverwaltungskörper beruht ge-<lb/>
meinſchaftlich auf dem Princip, die Thätigkeit des Einzelnen an den<lb/>
Funktion der Vollziehung zuzulaſſen, während ſie im Ganzen des Staates<lb/>
als ſelbſtändige Organe, in ihren höheren Stufen als ſelbſtändige<lb/>
Perſönlichkeit daſtehen. Die Verwirklichung dieſes Princips geſchieht<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[25/0049]
Dieſen Rechten und Pflichten der Regierung entſpricht nun von
Seiten des Einzelnen der Gehorſam, der, in ſofern ſeine Gränzen
durch das Geſetz gegeben ſind, der verfaſſungsmäßige Gehorſam
iſt. Der Widerſtand iſt an und für ſich ein Unrecht; dagegen iſt das
Recht des paſſiven Widerſtandes ein organiſches Recht, und der Ein-
zelne haftet dabei ſeinerſeits dafür, daß er zu demſelben berechtigt
war oder nicht.
B. Die Selbſtverwaltung.
I. Begriff und Organismus.
Die Selbſtverwaltung iſt die erſte Form, in welcher die Idee der
freien Verwaltung als der organiſirten und berechtigten Theilnahme
der Staatsbürger an der Funktion der Vollziehung im Allgemeinen,
in der Verwaltung im Beſondern zur Verwirklichung gelangt. Sie
entſteht dadurch, daß nicht ſo ſehr der freie und ſelbſtthätige Wille des
Einzelnen, als vielmehr die Natur gegebener Verhältniſſe jene Theil-
nahme erzeugt und nothwendig macht.
Es folgt daraus, daß das Syſtem dieſer Selbſtverwaltung auf dem
Syſtem eben dieſer natürlichen Faktoren beruht, welche ſie ſelbſt erzeu-
gen. Man muß deßhalb davon ausgehen, daß die Selbſtverwaltung
kein einfacher Begriff iſt, und daher auch keine einfache Funktion hat
und haben kann; zugleich aber auch, daß ſie wie ihre natürlichen Grund-
lagen den ganzen Staat umſchließt, und ſomit ein zweites organiſches
Syſtem der Vollziehung neben dem der Regierung bildet, aus deren
gegenſeitigen Berührung dann das Recht beider hervorgeht.
Zwei große Gebiete des wirklichen Lebens ſind es nun, mit
denen die Vollziehung zu thun hat; und die Selbſtverwaltung hat da-
her auch im allgemeinſten Sinne zwei Grundformen. Das erſte Gebiet
iſt das der Intereſſen, das zweite iſt das des feſten, begränzten
Grundbeſitzes. Die Organiſation der Betheiligung des Staats-
bürgerthums an der Vollziehung in Beziehung auf die Intereſſen nen-
nen wir die Vertretungen, in Beziehung auf den örtlich begränzten
Grundbeſitz die eigentliche Selbſtverwaltung. Jede dieſer Organi-
ſationen bildet dann, für ein beſtimmtes Gebiet thätig, das was
wir den Selbſtverwaltungskörper nennen.
Die Organiſation aller dieſer Selbſtverwaltungskörper beruht ge-
meinſchaftlich auf dem Princip, die Thätigkeit des Einzelnen an den
Funktion der Vollziehung zuzulaſſen, während ſie im Ganzen des Staates
als ſelbſtändige Organe, in ihren höheren Stufen als ſelbſtändige
Perſönlichkeit daſtehen. Die Verwirklichung dieſes Princips geſchieht
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/49>, abgerufen am 19.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.