Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Abth. 2 (unvollständig). Natürlich ist hier das technische Element das wichtigste.
Nur bei der Pferdezucht tritt in dem Landesbeschälwesen außerdem das
militärische Element specifisch hervor, das zu besondern Anstalten und Gesetz-
gebungen Anlaß gibt.

IV. Das Gewerbewesen.
Begriff und Princip.

Das Verständniß des Gewerbewesens als eines selbständigen Ge-
bietes der Verwaltung entsteht erst da, wo man in Begriff und Princip
das Gewerbe von Handel und Industrie scheidet.

Das Gewerbe ist seinem formalen Begriffe nach diejenige Erwerbs-
form, bei welcher das persönliche Capital die Hauptsache, und die
auf einen bestimmten und dauernden Erwerb berechnet ist. Von
der Industrie scheidet es sich formell im Wesentlichen dadurch, daß es
mit dem Werkzeug statt mit der Maschine arbeitet; die neue Entwick-
lung des gewerblichen Lebens überhaupt hat es aber unmöglich gemacht,
künftig noch eine formelle Gränze des Gewerbes festzuhalten. Seine
eigentliche Bedeutung muß daher jetzt von einem allgemeinen Stand-
punkt aus erfaßt werden.

Seinem höheren Wesen nach ist nämlich das Gewerbe die Pro-
duktion des Individuums für das individuelle Bedürfniß. Es
schließt sich daher an das individuelle Leben sowohl der Producenten
als der Consumenten; es setzt individuelle Zwecke und Mittel für den
Consumenten, individuelle Erfahrung und Fähigkeit bei den Producenten
voraus. Es kann daher keine Entwicklung finden, ohne tüchtige Ent-
wicklung der Individualität; ist es aber ausgebildet, so ist es wieder
der Körper der individuellen selbständigen Persönlichkeit. Daher ist
ein Gewerbe unmöglich ohne staatsbürgerliche Freiheit und Selbständig-
keit; daher hat die alte Welt kein rechtes Gewerbe; daher löst sich
mit dem Gewerbe die freie Gesellschaftsordnung von der Geschlechter-
und Ständeordnung ab; daher ist es unfähig, auf den Maßregeln der
Verwaltung zu beruhen, sondern muß in allen seinen Theilen auf sich
selber stehen; daher sind alle rechtlichen und polizeilichen Bestimmungen,
welche in den Betrieb der Gewerbe hineingreifen, nur Uebergangsmaß-
regeln; und alle diese Sätze fassen wir in den einen zusammen: das
höchste Princip des Verwaltungsrechts der Gewerbe ist die höchste ge-
werbliche Freiheit
.

Dennoch hat auch das Gewerbe gewisse Bedingungen, welche durch
dieses Princip des Gewerbes nicht allein erfüllt werden können. Diese
Bedingungen bestehen einerseits in dem Schutze gegen die Gefahren,
welche theils in dem Gewerbe selbst, theils durch das Gewerbe entstehen,

Abth. 2 (unvollſtändig). Natürlich iſt hier das techniſche Element das wichtigſte.
Nur bei der Pferdezucht tritt in dem Landesbeſchälweſen außerdem das
militäriſche Element ſpecifiſch hervor, das zu beſondern Anſtalten und Geſetz-
gebungen Anlaß gibt.

IV. Das Gewerbeweſen.
Begriff und Princip.

Das Verſtändniß des Gewerbeweſens als eines ſelbſtändigen Ge-
bietes der Verwaltung entſteht erſt da, wo man in Begriff und Princip
das Gewerbe von Handel und Induſtrie ſcheidet.

Das Gewerbe iſt ſeinem formalen Begriffe nach diejenige Erwerbs-
form, bei welcher das perſönliche Capital die Hauptſache, und die
auf einen beſtimmten und dauernden Erwerb berechnet iſt. Von
der Induſtrie ſcheidet es ſich formell im Weſentlichen dadurch, daß es
mit dem Werkzeug ſtatt mit der Maſchine arbeitet; die neue Entwick-
lung des gewerblichen Lebens überhaupt hat es aber unmöglich gemacht,
künftig noch eine formelle Gränze des Gewerbes feſtzuhalten. Seine
eigentliche Bedeutung muß daher jetzt von einem allgemeinen Stand-
punkt aus erfaßt werden.

Seinem höheren Weſen nach iſt nämlich das Gewerbe die Pro-
duktion des Individuums für das individuelle Bedürfniß. Es
ſchließt ſich daher an das individuelle Leben ſowohl der Producenten
als der Conſumenten; es ſetzt individuelle Zwecke und Mittel für den
Conſumenten, individuelle Erfahrung und Fähigkeit bei den Producenten
voraus. Es kann daher keine Entwicklung finden, ohne tüchtige Ent-
wicklung der Individualität; iſt es aber ausgebildet, ſo iſt es wieder
der Körper der individuellen ſelbſtändigen Perſönlichkeit. Daher iſt
ein Gewerbe unmöglich ohne ſtaatsbürgerliche Freiheit und Selbſtändig-
keit; daher hat die alte Welt kein rechtes Gewerbe; daher löst ſich
mit dem Gewerbe die freie Geſellſchaftsordnung von der Geſchlechter-
und Ständeordnung ab; daher iſt es unfähig, auf den Maßregeln der
Verwaltung zu beruhen, ſondern muß in allen ſeinen Theilen auf ſich
ſelber ſtehen; daher ſind alle rechtlichen und polizeilichen Beſtimmungen,
welche in den Betrieb der Gewerbe hineingreifen, nur Uebergangsmaß-
regeln; und alle dieſe Sätze faſſen wir in den einen zuſammen: das
höchſte Princip des Verwaltungsrechts der Gewerbe iſt die höchſte ge-
werbliche Freiheit
.

Dennoch hat auch das Gewerbe gewiſſe Bedingungen, welche durch
dieſes Princip des Gewerbes nicht allein erfüllt werden können. Dieſe
Bedingungen beſtehen einerſeits in dem Schutze gegen die Gefahren,
welche theils in dem Gewerbe ſelbſt, theils durch das Gewerbe entſtehen,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0363" n="339"/>
Abth. 2 (unvoll&#x017F;tändig). Natürlich i&#x017F;t hier das techni&#x017F;che Element das wichtig&#x017F;te.<lb/>
Nur bei der <hi rendition="#g">Pferdezucht</hi> tritt in dem Landesbe&#x017F;chälwe&#x017F;en außerdem das<lb/>
militäri&#x017F;che Element &#x017F;pecifi&#x017F;ch hervor, das zu be&#x017F;ondern An&#x017F;talten und Ge&#x017F;etz-<lb/>
gebungen Anlaß gibt.</p>
                  </div>
                </div>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Das Gewerbewe&#x017F;en.</hi> </head><lb/>
                <div n="6">
                  <head>Begriff und Princip.</head><lb/>
                  <p>Das Ver&#x017F;tändniß des Gewerbewe&#x017F;ens als eines &#x017F;elb&#x017F;tändigen Ge-<lb/>
bietes der Verwaltung ent&#x017F;teht er&#x017F;t da, wo man in Begriff und Princip<lb/>
das Gewerbe von Handel und Indu&#x017F;trie <hi rendition="#g">&#x017F;cheidet</hi>.</p><lb/>
                  <p>Das Gewerbe i&#x017F;t &#x017F;einem formalen Begriffe nach diejenige Erwerbs-<lb/>
form, bei welcher das <hi rendition="#g">per&#x017F;önliche</hi> Capital die Haupt&#x017F;ache, und die<lb/>
auf einen <hi rendition="#g">be&#x017F;timmten</hi> und <hi rendition="#g">dauernden</hi> Erwerb berechnet i&#x017F;t. Von<lb/>
der Indu&#x017F;trie &#x017F;cheidet es &#x017F;ich formell im We&#x017F;entlichen dadurch, daß es<lb/>
mit dem Werkzeug &#x017F;tatt mit der Ma&#x017F;chine arbeitet; die neue Entwick-<lb/>
lung des gewerblichen Lebens überhaupt hat es aber unmöglich gemacht,<lb/>
künftig noch eine <hi rendition="#g">formelle</hi> Gränze des Gewerbes fe&#x017F;tzuhalten. Seine<lb/>
eigentliche Bedeutung muß daher jetzt von einem allgemeinen Stand-<lb/>
punkt aus erfaßt werden.</p><lb/>
                  <p>Seinem höheren We&#x017F;en nach i&#x017F;t nämlich das Gewerbe die Pro-<lb/>
duktion des Individuums für das <hi rendition="#g">individuelle</hi> Bedürfniß. Es<lb/>
&#x017F;chließt &#x017F;ich daher an das individuelle Leben &#x017F;owohl der Producenten<lb/>
als der Con&#x017F;umenten; es &#x017F;etzt individuelle Zwecke und Mittel für den<lb/>
Con&#x017F;umenten, individuelle Erfahrung und Fähigkeit bei den Producenten<lb/>
voraus. Es kann daher keine Entwicklung finden, ohne tüchtige Ent-<lb/>
wicklung der Individualität; i&#x017F;t es aber ausgebildet, &#x017F;o i&#x017F;t es wieder<lb/>
der Körper der individuellen &#x017F;elb&#x017F;tändigen Per&#x017F;önlichkeit. <hi rendition="#g">Daher</hi> i&#x017F;t<lb/>
ein Gewerbe unmöglich ohne &#x017F;taatsbürgerliche Freiheit und Selb&#x017F;tändig-<lb/>
keit; <hi rendition="#g">daher</hi> hat die alte Welt kein rechtes Gewerbe; daher löst &#x017F;ich<lb/>
mit dem Gewerbe die freie Ge&#x017F;ell&#x017F;chaftsordnung von der Ge&#x017F;chlechter-<lb/>
und Ständeordnung ab; daher i&#x017F;t es unfähig, auf den Maßregeln der<lb/>
Verwaltung zu beruhen, &#x017F;ondern muß in allen &#x017F;einen Theilen auf &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elber &#x017F;tehen; daher &#x017F;ind alle rechtlichen und polizeilichen Be&#x017F;timmungen,<lb/>
welche in den Betrieb der Gewerbe hineingreifen, nur Uebergangsmaß-<lb/>
regeln; und alle die&#x017F;e Sätze fa&#x017F;&#x017F;en wir in den einen zu&#x017F;ammen: das<lb/>
höch&#x017F;te Princip des Verwaltungsrechts der Gewerbe i&#x017F;t die höch&#x017F;te <hi rendition="#g">ge-<lb/>
werbliche Freiheit</hi>.</p><lb/>
                  <p>Dennoch hat auch das Gewerbe gewi&#x017F;&#x017F;e Bedingungen, welche durch<lb/>
die&#x017F;es Princip des Gewerbes nicht allein erfüllt werden können. Die&#x017F;e<lb/>
Bedingungen be&#x017F;tehen einer&#x017F;eits in dem <hi rendition="#g">Schutze</hi> gegen die Gefahren,<lb/>
welche theils in dem Gewerbe &#x017F;elb&#x017F;t, theils durch das Gewerbe ent&#x017F;tehen,<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[339/0363] Abth. 2 (unvollſtändig). Natürlich iſt hier das techniſche Element das wichtigſte. Nur bei der Pferdezucht tritt in dem Landesbeſchälweſen außerdem das militäriſche Element ſpecifiſch hervor, das zu beſondern Anſtalten und Geſetz- gebungen Anlaß gibt. IV. Das Gewerbeweſen. Begriff und Princip. Das Verſtändniß des Gewerbeweſens als eines ſelbſtändigen Ge- bietes der Verwaltung entſteht erſt da, wo man in Begriff und Princip das Gewerbe von Handel und Induſtrie ſcheidet. Das Gewerbe iſt ſeinem formalen Begriffe nach diejenige Erwerbs- form, bei welcher das perſönliche Capital die Hauptſache, und die auf einen beſtimmten und dauernden Erwerb berechnet iſt. Von der Induſtrie ſcheidet es ſich formell im Weſentlichen dadurch, daß es mit dem Werkzeug ſtatt mit der Maſchine arbeitet; die neue Entwick- lung des gewerblichen Lebens überhaupt hat es aber unmöglich gemacht, künftig noch eine formelle Gränze des Gewerbes feſtzuhalten. Seine eigentliche Bedeutung muß daher jetzt von einem allgemeinen Stand- punkt aus erfaßt werden. Seinem höheren Weſen nach iſt nämlich das Gewerbe die Pro- duktion des Individuums für das individuelle Bedürfniß. Es ſchließt ſich daher an das individuelle Leben ſowohl der Producenten als der Conſumenten; es ſetzt individuelle Zwecke und Mittel für den Conſumenten, individuelle Erfahrung und Fähigkeit bei den Producenten voraus. Es kann daher keine Entwicklung finden, ohne tüchtige Ent- wicklung der Individualität; iſt es aber ausgebildet, ſo iſt es wieder der Körper der individuellen ſelbſtändigen Perſönlichkeit. Daher iſt ein Gewerbe unmöglich ohne ſtaatsbürgerliche Freiheit und Selbſtändig- keit; daher hat die alte Welt kein rechtes Gewerbe; daher löst ſich mit dem Gewerbe die freie Geſellſchaftsordnung von der Geſchlechter- und Ständeordnung ab; daher iſt es unfähig, auf den Maßregeln der Verwaltung zu beruhen, ſondern muß in allen ſeinen Theilen auf ſich ſelber ſtehen; daher ſind alle rechtlichen und polizeilichen Beſtimmungen, welche in den Betrieb der Gewerbe hineingreifen, nur Uebergangsmaß- regeln; und alle dieſe Sätze faſſen wir in den einen zuſammen: das höchſte Princip des Verwaltungsrechts der Gewerbe iſt die höchſte ge- werbliche Freiheit. Dennoch hat auch das Gewerbe gewiſſe Bedingungen, welche durch dieſes Princip des Gewerbes nicht allein erfüllt werden können. Dieſe Bedingungen beſtehen einerſeits in dem Schutze gegen die Gefahren, welche theils in dem Gewerbe ſelbſt, theils durch das Gewerbe entſtehen,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/363
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/363>, abgerufen am 19.11.2024.