zu geben habe. Daran schließt die Frage nach dem Schulgeld. Es ist naturgemäß entstanden, allein mit unserem Jahrhundert durch den Grundsatz beherrscht, daß die Fähigkeit das Schulgeld zu zahlen nicht die Bedingung des Rechts auf Schulbesuch sein dürfe (Freischüler -- Armenschüler). Aus diesem Grundsatz hat sich dann der höhere Gesichts- punkt entwickelt, daß das Schulgeld überhaupt aufzuheben und der Volksunterricht ganz unentgeldlich sein solle, was an sich richtig, durch das Privatschulwesen wieder sehr bedenklich wird, da sich gerade dadurch der Unterschied zwischen der besitzenden und nicht besitzenden Classe wieder herstellt.
Die obigen Grundsätze gelten wohl jetzt im Wesentlichen in ganz Europa (s. die einzelnen Aufsätze bei Schmid a. a. O. und kurz bei Stein S. 123 ff.). Gegen alles Schulgeld: Gneist, Vortrag in Berlin 1869; besonders Fr. Hof- mann, die öffentliche Schule und das Schulgeld 1869. Oesterreich: Gesetz von 1869, §. 62 ff.
c) Das Privatschulwesen.
Das Privatschulwesen ist das Recht jedes Einzelnen, neben der öffentlichen Schule eine Schule als Privatunternehmen zu gründen. Das Recht darauf ist die Freiheit des Unterrichtswesens, in Deutschland und England von jeher anerkannt, in Frankreich als enseignement libre erst mit der Revolution ausgesprochen. Das Recht ist an sich unzweifelhaft; allein auch die Privatschule bleibt ein öffentliches Institut als organischer Theil des Unterrichtswesens und soll daher der Ober- aufsicht der Regierung unterworfen sein. Die beiden Formen, in denen dieselbe zu Tage tritt, ist zuerst die Forderung einer öffentlichen Lehramtsprüfung für die Privatlehrer, zweitens die Gleichstellung der Privatschule mit der öffentlichen Schule in der Unterordnung unter die Schulorgane der Behörde und der Gemeinde. Diese Grundsätze sind an sich sehr einfach; sie werden erst Gegenstand des heftigsten Kampfes da, wo sich kirchliche Körperschaften des Privatschul- wesens bemächtigen und das enseignement libre als Ausschließung der Oberaufsicht verstehen. Hier ist der Punkt, wo sich das katholische und evangelische Schulwesen so tief scheiden, daß eine äußerliche Ver- mittlung unthunlich erscheint.
Gänzliche Freiheit in England. In Frankreich hat sich dieselbe erst nach der Revolution als enseignement libre ausgebildet; das Gesetz von 1833 be- zieht sich noch wesentlich auf Privatschulen. Das Gesetz von 1850 macht auch die kirchlichen Schulen jeder Oberaufsicht baar. In Deutschland hat die Tüchtigkeit der Volksschule das Privatschulwesen auf die höheren Bildungsstufen beschränkt, und den Grundsatz der Prüfung der Lehrer und Oberaufsicht im Wesentlichen durchgeführt (s. Stein S. 145--147). Oesterreich: Gesetz von 1869, §. 68 ff.
zu geben habe. Daran ſchließt die Frage nach dem Schulgeld. Es iſt naturgemäß entſtanden, allein mit unſerem Jahrhundert durch den Grundſatz beherrſcht, daß die Fähigkeit das Schulgeld zu zahlen nicht die Bedingung des Rechts auf Schulbeſuch ſein dürfe (Freiſchüler — Armenſchüler). Aus dieſem Grundſatz hat ſich dann der höhere Geſichts- punkt entwickelt, daß das Schulgeld überhaupt aufzuheben und der Volksunterricht ganz unentgeldlich ſein ſolle, was an ſich richtig, durch das Privatſchulweſen wieder ſehr bedenklich wird, da ſich gerade dadurch der Unterſchied zwiſchen der beſitzenden und nicht beſitzenden Claſſe wieder herſtellt.
Die obigen Grundſätze gelten wohl jetzt im Weſentlichen in ganz Europa (ſ. die einzelnen Aufſätze bei Schmid a. a. O. und kurz bei Stein S. 123 ff.). Gegen alles Schulgeld: Gneiſt, Vortrag in Berlin 1869; beſonders Fr. Hof- mann, die öffentliche Schule und das Schulgeld 1869. Oeſterreich: Geſetz von 1869, §. 62 ff.
c) Das Privatſchulweſen.
Das Privatſchulweſen iſt das Recht jedes Einzelnen, neben der öffentlichen Schule eine Schule als Privatunternehmen zu gründen. Das Recht darauf iſt die Freiheit des Unterrichtsweſens, in Deutſchland und England von jeher anerkannt, in Frankreich als enseignement libre erſt mit der Revolution ausgeſprochen. Das Recht iſt an ſich unzweifelhaft; allein auch die Privatſchule bleibt ein öffentliches Inſtitut als organiſcher Theil des Unterrichtsweſens und ſoll daher der Ober- aufſicht der Regierung unterworfen ſein. Die beiden Formen, in denen dieſelbe zu Tage tritt, iſt zuerſt die Forderung einer öffentlichen Lehramtsprüfung für die Privatlehrer, zweitens die Gleichſtellung der Privatſchule mit der öffentlichen Schule in der Unterordnung unter die Schulorgane der Behörde und der Gemeinde. Dieſe Grundſätze ſind an ſich ſehr einfach; ſie werden erſt Gegenſtand des heftigſten Kampfes da, wo ſich kirchliche Körperſchaften des Privatſchul- weſens bemächtigen und das enseignement libre als Ausſchließung der Oberaufſicht verſtehen. Hier iſt der Punkt, wo ſich das katholiſche und evangeliſche Schulweſen ſo tief ſcheiden, daß eine äußerliche Ver- mittlung unthunlich erſcheint.
Gänzliche Freiheit in England. In Frankreich hat ſich dieſelbe erſt nach der Revolution als enseignement libre ausgebildet; das Geſetz von 1833 be- zieht ſich noch weſentlich auf Privatſchulen. Das Geſetz von 1850 macht auch die kirchlichen Schulen jeder Oberaufſicht baar. In Deutſchland hat die Tüchtigkeit der Volksſchule das Privatſchulweſen auf die höheren Bildungsſtufen beſchränkt, und den Grundſatz der Prüfung der Lehrer und Oberaufſicht im Weſentlichen durchgeführt (ſ. Stein S. 145—147). Oeſterreich: Geſetz von 1869, §. 68 ff.
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zu geben habe. Daran ſchließt die Frage nach dem Schulgeld. Es
iſt naturgemäß entſtanden, allein mit unſerem Jahrhundert durch den
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die Bedingung des Rechts auf Schulbeſuch ſein dürfe (Freiſchüler —
Armenſchüler). Aus dieſem Grundſatz hat ſich dann der höhere Geſichts-
punkt entwickelt, daß das Schulgeld überhaupt aufzuheben und der
Volksunterricht ganz unentgeldlich ſein ſolle, was an ſich richtig,
durch das Privatſchulweſen wieder ſehr bedenklich wird, da ſich gerade
dadurch der Unterſchied zwiſchen der beſitzenden und nicht beſitzenden
Claſſe wieder herſtellt.
Die obigen Grundſätze gelten wohl jetzt im Weſentlichen in ganz Europa
(ſ. die einzelnen Aufſätze bei Schmid a. a. O. und kurz bei Stein S. 123 ff.).
Gegen alles Schulgeld: Gneiſt, Vortrag in Berlin 1869; beſonders Fr. Hof-
mann, die öffentliche Schule und das Schulgeld 1869. Oeſterreich: Geſetz
von 1869, §. 62 ff.
c) Das Privatſchulweſen.
Das Privatſchulweſen iſt das Recht jedes Einzelnen, neben der
öffentlichen Schule eine Schule als Privatunternehmen zu gründen.
Das Recht darauf iſt die Freiheit des Unterrichtsweſens, in Deutſchland
und England von jeher anerkannt, in Frankreich als enseignement
libre erſt mit der Revolution ausgeſprochen. Das Recht iſt an ſich
unzweifelhaft; allein auch die Privatſchule bleibt ein öffentliches Inſtitut
als organiſcher Theil des Unterrichtsweſens und ſoll daher der Ober-
aufſicht der Regierung unterworfen ſein. Die beiden Formen, in
denen dieſelbe zu Tage tritt, iſt zuerſt die Forderung einer öffentlichen
Lehramtsprüfung für die Privatlehrer, zweitens die Gleichſtellung
der Privatſchule mit der öffentlichen Schule in der Unterordnung unter
die Schulorgane der Behörde und der Gemeinde. Dieſe Grundſätze
ſind an ſich ſehr einfach; ſie werden erſt Gegenſtand des heftigſten
Kampfes da, wo ſich kirchliche Körperſchaften des Privatſchul-
weſens bemächtigen und das enseignement libre als Ausſchließung der
Oberaufſicht verſtehen. Hier iſt der Punkt, wo ſich das katholiſche
und evangeliſche Schulweſen ſo tief ſcheiden, daß eine äußerliche Ver-
mittlung unthunlich erſcheint.
Gänzliche Freiheit in England. In Frankreich hat ſich dieſelbe erſt nach
der Revolution als enseignement libre ausgebildet; das Geſetz von 1833 be-
zieht ſich noch weſentlich auf Privatſchulen. Das Geſetz von 1850 macht auch
die kirchlichen Schulen jeder Oberaufſicht baar. In Deutſchland hat die Tüchtigkeit
der Volksſchule das Privatſchulweſen auf die höheren Bildungsſtufen beſchränkt,
und den Grundſatz der Prüfung der Lehrer und Oberaufſicht im Weſentlichen
durchgeführt (ſ. Stein S. 145—147). Oeſterreich: Geſetz von 1869, §. 68 ff.
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/148>, abgerufen am 16.07.2024.
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