Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

enthält die Grundsätze, nach denen der Einzelne berufen und berechtigt
wird, die mangelnde Persönlichkeit zu ersetzen; das bürgerliche Recht
die einzelnen Folgen, welche diese Vertretung sowohl im Verkehr mit
Dritten als im Verhältniß zu dem Vertreter erzeugt. Die historische
Entwicklung der Rechtswissenschaft hat es mit sich gebracht, daß die
wissenschaftliche Behandlung aller drei Gebiete nie als ein Ganzes auf-
gefaßt worden ist, und daß man den Inhalt derselben stets ausschließlich
als einen Theil des Privatrechts angesehen hat; trotzdem daß ander-
seits die Gesetzgebung über Verlassenschaft und Concurswesen ihren ganz
selbständigen Weg gegangen sind. Erst das Verständniß der inneren
Verwaltung wird diesem großen Gebiete als dem Schlußpunkt der Sorge
für das persönliche Leben des Einzelnen seinen richtigen Platz und damit
seine Behandlung anweisen. Vor der Hand muß man den Inhalt dieses
Rechts theils im Privatrecht, theils im sogenannten außergerichtlichen
Verfahren suchen, auf die wir hier verweisen dürfen.

B.
Die Verwaltung und das geistige Leben.

(Das Bildungswesen.)

Begriff der Bildung und des Bildungswesens.

Das zweite große Gebiet der Verwaltung des persönlichen Lebens
ist gegeben durch das zweite Element aller Persönlichkeit, den Geist und
seine Entwicklung.

Den bestimmten Zustand der geistigen Entwicklung des Einzelnen
als die Gesammtsumme der von ihm erworbenen geistigen Güter nennen
wir die Bildung. Es ist kein Zweifel, daß die Bildung den höchsten
Werth für jeden Einzelnen hat; sie ist zugleich die Bedingung und die
Consequenz alles Fortschrittes; ihr Maß und ihre Tiefe sind das Maß
und der Werth des Einzelnen überhaupt. Sie hat daher ihre eigenen
Gesetze und ihre eigenen Gebiete, und erfüllt das ganze menschliche Da-
sein mit ihrem geistigen Inhalt. Allein auch in dieser Bildung ist der
Mensch kein alleinstehendes Wesen. Es hängt auch hier von allen andern
ab, und wirkt mit ihr auf alle andern ein. Diese Gemeinschaft der
[ - 2 Zeichen fehlen]ldung nennen wir die Gesittung; die Gesittung ist die Bildung
aller Einzelnen als die wichtigste Thatsache des öffentlichen Lebens.
Damit aber ergibt sich, daß der Einzelne weder dazu bestimmt noch
auch dazu fähig ist, seine Bildung für sich allein zu erwerben oder zu
behal[ - 2 Zeichen fehlen]n. Wie die wichtigsten Bedingungen derselben, so liegen auch

enthält die Grundſätze, nach denen der Einzelne berufen und berechtigt
wird, die mangelnde Perſönlichkeit zu erſetzen; das bürgerliche Recht
die einzelnen Folgen, welche dieſe Vertretung ſowohl im Verkehr mit
Dritten als im Verhältniß zu dem Vertreter erzeugt. Die hiſtoriſche
Entwicklung der Rechtswiſſenſchaft hat es mit ſich gebracht, daß die
wiſſenſchaftliche Behandlung aller drei Gebiete nie als ein Ganzes auf-
gefaßt worden iſt, und daß man den Inhalt derſelben ſtets ausſchließlich
als einen Theil des Privatrechts angeſehen hat; trotzdem daß ander-
ſeits die Geſetzgebung über Verlaſſenſchaft und Concursweſen ihren ganz
ſelbſtändigen Weg gegangen ſind. Erſt das Verſtändniß der inneren
Verwaltung wird dieſem großen Gebiete als dem Schlußpunkt der Sorge
für das perſönliche Leben des Einzelnen ſeinen richtigen Platz und damit
ſeine Behandlung anweiſen. Vor der Hand muß man den Inhalt dieſes
Rechts theils im Privatrecht, theils im ſogenannten außergerichtlichen
Verfahren ſuchen, auf die wir hier verweiſen dürfen.

B.
Die Verwaltung und das geiſtige Leben.

(Das Bildungsweſen.)

Begriff der Bildung und des Bildungsweſens.

Das zweite große Gebiet der Verwaltung des perſönlichen Lebens
iſt gegeben durch das zweite Element aller Perſönlichkeit, den Geiſt und
ſeine Entwicklung.

Den beſtimmten Zuſtand der geiſtigen Entwicklung des Einzelnen
als die Geſammtſumme der von ihm erworbenen geiſtigen Güter nennen
wir die Bildung. Es iſt kein Zweifel, daß die Bildung den höchſten
Werth für jeden Einzelnen hat; ſie iſt zugleich die Bedingung und die
Conſequenz alles Fortſchrittes; ihr Maß und ihre Tiefe ſind das Maß
und der Werth des Einzelnen überhaupt. Sie hat daher ihre eigenen
Geſetze und ihre eigenen Gebiete, und erfüllt das ganze menſchliche Da-
ſein mit ihrem geiſtigen Inhalt. Allein auch in dieſer Bildung iſt der
Menſch kein alleinſtehendes Weſen. Es hängt auch hier von allen andern
ab, und wirkt mit ihr auf alle andern ein. Dieſe Gemeinſchaft der
[ – 2 Zeichen fehlen]ldung nennen wir die Geſittung; die Geſittung iſt die Bildung
aller Einzelnen als die wichtigſte Thatſache des öffentlichen Lebens.
Damit aber ergibt ſich, daß der Einzelne weder dazu beſtimmt noch
auch dazu fähig iſt, ſeine Bildung für ſich allein zu erwerben oder zu
behal[ – 2 Zeichen fehlen]n. Wie die wichtigſten Bedingungen derſelben, ſo liegen auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0131" n="107"/>
enthält die Grund&#x017F;ätze, nach denen der Einzelne berufen und berechtigt<lb/>
wird, die mangelnde Per&#x017F;önlichkeit zu er&#x017F;etzen; das bürgerliche Recht<lb/>
die einzelnen Folgen, welche die&#x017F;e Vertretung &#x017F;owohl im Verkehr mit<lb/>
Dritten als im Verhältniß zu dem Vertreter erzeugt. Die hi&#x017F;tori&#x017F;che<lb/>
Entwicklung der Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft hat es mit &#x017F;ich gebracht, daß die<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftliche Behandlung aller drei Gebiete <hi rendition="#g">nie</hi> als ein Ganzes auf-<lb/>
gefaßt worden i&#x017F;t, und daß man den Inhalt der&#x017F;elben &#x017F;tets aus&#x017F;chließlich<lb/>
als einen Theil des Privatrechts ange&#x017F;ehen hat; trotzdem daß ander-<lb/>
&#x017F;eits die Ge&#x017F;etzgebung über Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft und Concurswe&#x017F;en ihren ganz<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;tändigen Weg gegangen &#x017F;ind. Er&#x017F;t das Ver&#x017F;tändniß der inneren<lb/>
Verwaltung wird die&#x017F;em großen Gebiete als dem Schlußpunkt der Sorge<lb/>
für das per&#x017F;önliche Leben des Einzelnen &#x017F;einen richtigen Platz und damit<lb/>
&#x017F;eine Behandlung anwei&#x017F;en. Vor der Hand muß man den Inhalt die&#x017F;es<lb/>
Rechts theils im Privatrecht, theils im &#x017F;ogenannten außergerichtlichen<lb/>
Verfahren &#x017F;uchen, auf die wir hier verwei&#x017F;en dürfen.</p>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq">B.</hi><lb/><hi rendition="#g">Die Verwaltung und das gei&#x017F;tige Leben</hi>.</head><lb/>
            <p> <hi rendition="#c">(Das Bildungswe&#x017F;en.)</hi> </p><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">Begriff der Bildung und des Bildungswe&#x017F;ens.</hi> </head><lb/>
              <p>Das zweite große Gebiet der Verwaltung des per&#x017F;önlichen Lebens<lb/>
i&#x017F;t gegeben durch das zweite Element aller Per&#x017F;önlichkeit, den Gei&#x017F;t und<lb/>
&#x017F;eine Entwicklung.</p><lb/>
              <p>Den be&#x017F;timmten Zu&#x017F;tand der gei&#x017F;tigen Entwicklung des Einzelnen<lb/>
als die Ge&#x017F;ammt&#x017F;umme der von ihm erworbenen gei&#x017F;tigen Güter nennen<lb/>
wir die <hi rendition="#g">Bildung</hi>. Es i&#x017F;t kein Zweifel, daß die Bildung den höch&#x017F;ten<lb/>
Werth für jeden Einzelnen hat; &#x017F;ie i&#x017F;t zugleich die Bedingung und die<lb/>
Con&#x017F;equenz alles Fort&#x017F;chrittes; ihr Maß und ihre Tiefe &#x017F;ind das Maß<lb/>
und der Werth des Einzelnen überhaupt. Sie hat daher ihre eigenen<lb/>
Ge&#x017F;etze und ihre eigenen Gebiete, und erfüllt das ganze men&#x017F;chliche Da-<lb/>
&#x017F;ein mit ihrem gei&#x017F;tigen Inhalt. Allein auch in die&#x017F;er Bildung i&#x017F;t der<lb/>
Men&#x017F;ch kein allein&#x017F;tehendes We&#x017F;en. Es hängt auch hier von allen andern<lb/>
ab, und wirkt mit ihr auf alle andern ein. Die&#x017F;e Gemein&#x017F;chaft der<lb/><gap unit="chars" quantity="2"/>ldung nennen wir die <hi rendition="#g">Ge&#x017F;ittung</hi>; die Ge&#x017F;ittung i&#x017F;t die Bildung<lb/>
aller Einzelnen als die wichtig&#x017F;te That&#x017F;ache des öffentlichen Lebens.<lb/>
Damit aber ergibt &#x017F;ich, daß der Einzelne weder dazu be&#x017F;timmt noch<lb/>
auch dazu fähig i&#x017F;t, &#x017F;eine Bildung für &#x017F;ich allein zu erwerben oder zu<lb/>
behal<gap unit="chars" quantity="2"/>n. Wie die wichtig&#x017F;ten Bedingungen der&#x017F;elben, &#x017F;o liegen auch<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0131] enthält die Grundſätze, nach denen der Einzelne berufen und berechtigt wird, die mangelnde Perſönlichkeit zu erſetzen; das bürgerliche Recht die einzelnen Folgen, welche dieſe Vertretung ſowohl im Verkehr mit Dritten als im Verhältniß zu dem Vertreter erzeugt. Die hiſtoriſche Entwicklung der Rechtswiſſenſchaft hat es mit ſich gebracht, daß die wiſſenſchaftliche Behandlung aller drei Gebiete nie als ein Ganzes auf- gefaßt worden iſt, und daß man den Inhalt derſelben ſtets ausſchließlich als einen Theil des Privatrechts angeſehen hat; trotzdem daß ander- ſeits die Geſetzgebung über Verlaſſenſchaft und Concursweſen ihren ganz ſelbſtändigen Weg gegangen ſind. Erſt das Verſtändniß der inneren Verwaltung wird dieſem großen Gebiete als dem Schlußpunkt der Sorge für das perſönliche Leben des Einzelnen ſeinen richtigen Platz und damit ſeine Behandlung anweiſen. Vor der Hand muß man den Inhalt dieſes Rechts theils im Privatrecht, theils im ſogenannten außergerichtlichen Verfahren ſuchen, auf die wir hier verweiſen dürfen. B. Die Verwaltung und das geiſtige Leben. (Das Bildungsweſen.) Begriff der Bildung und des Bildungsweſens. Das zweite große Gebiet der Verwaltung des perſönlichen Lebens iſt gegeben durch das zweite Element aller Perſönlichkeit, den Geiſt und ſeine Entwicklung. Den beſtimmten Zuſtand der geiſtigen Entwicklung des Einzelnen als die Geſammtſumme der von ihm erworbenen geiſtigen Güter nennen wir die Bildung. Es iſt kein Zweifel, daß die Bildung den höchſten Werth für jeden Einzelnen hat; ſie iſt zugleich die Bedingung und die Conſequenz alles Fortſchrittes; ihr Maß und ihre Tiefe ſind das Maß und der Werth des Einzelnen überhaupt. Sie hat daher ihre eigenen Geſetze und ihre eigenen Gebiete, und erfüllt das ganze menſchliche Da- ſein mit ihrem geiſtigen Inhalt. Allein auch in dieſer Bildung iſt der Menſch kein alleinſtehendes Weſen. Es hängt auch hier von allen andern ab, und wirkt mit ihr auf alle andern ein. Dieſe Gemeinſchaft der __ldung nennen wir die Geſittung; die Geſittung iſt die Bildung aller Einzelnen als die wichtigſte Thatſache des öffentlichen Lebens. Damit aber ergibt ſich, daß der Einzelne weder dazu beſtimmt noch auch dazu fähig iſt, ſeine Bildung für ſich allein zu erwerben oder zu behal__n. Wie die wichtigſten Bedingungen derſelben, ſo liegen auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/131
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/131>, abgerufen am 22.12.2024.