Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

Bild:
<< vorherige Seite

Punkte erscheinen theils in den großen Sanitätsordnungen des vorigen Jahr-
hunderts, theils in ganz einzelnen Vorschriften. In unserem Jahrhundert
bilden sich auf Grundlage der Wissenschaft namentlich nur die Giftpolizei,
die in Giftsorten und Geheimmittelpolizei sehr genaue und zweckmäßige
Bestimmungen enthält, und andererseits die Begräbniß- und Todten-
polizei mit genauen Vorschriften über Leichenkammern. Daneben hat die
Strafgesetzgebung in der Bestrafung culposer Gefährdungen der Gesund-
heit ein zweites Schutzsystem entwickelt, das namentlich durch Art. 471 des
Code Penal begründet, die Sicherheitspolizei in die Gesundheitspolizei hinüber-
führt. Uebrigens liegt es in der Natur der Sache, daß das Wichtigste dabei
nur von der Thätigkeit der Selbstverwaltung ausgehen kann, die bisher
fast nur in den großen Städten gehörig entwickelt ist, aber hier die eben
so schwierige als wichtige Aufgabe hat, die Gefährdung der Gesundheit der
ärmeren Classen durch billige, aber gefährliche Nahrungsmittel zu begreifen und
zu hindern (s. über das ganze Gebiet Stein, Gesundheitswesen S. 51 ff.).

II. Die Gesundheitspflege.

Die Aufgabe und das Wesen der Gesundheitspflege, der Gesund-
heitspolizei gegenüber selbständig aufgefaßt, besteht darin, einerseits
diejenigen Verhältnisse des Verkehrs im weitesten Sinne zu beseitigen,
welche langsam aber sicher die Gesundheit gefährden und untergraben,
andererseits solche Anstalten und Einrichtungen des öffentlichen Lebens
herzustellen, welche als allgemeine Bedingungen der Sicherung und
Entwicklung der öffentlichen Gesundheit betrachtet werden müssen. Hier
liegt das Gebiet, wo das höhere Verständniß des öffentlichen Werthes
der Gesundheit aller Einzelnen beginnt und wo die Wissenschaft diesem
Verständniß zu Hülfe kommen und Mittel und Wege für das große
Ziel angeben muß. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß das
Gebiet das jüngste und unentwickeltste des ganzen Gesundheitswesens
ist; seine Anerkennung liegt noch mehr im Gefühle als in dem System
der Gesetze und dem der Maßregeln der Verwaltung; es ist klar, daß
gerade hier die Wissenschaft (wesentlich durch ärztliche Vereine) die ge-
fährlichen oder nützlichen Thatsachen und die Principien des Fortschrittes
aufstellen, die Gesetzgebung die leitenden Grundsätze geben und die
Selbstverwaltung sie ausführen soll. Hier ist noch unendlich viel zu
thun; doch sind die Grundlagen des Gebietes bereits angedeutet.

Man kann dieselbe eintheilen in die Gesundheitspflege für die
Erziehung, für das Bau- und Wohnungswesen und für die Ge-
werbe
. Die Gesundheitspflege der Erziehung ist zugleich ein Theil
der gesellschaftlichen Verwaltung; sie erscheint in den Krippen und
Warteschulen, dann in der Sorge für die Schulräume, dann in
der physischen Erziehung des Turnwesens, endlich aber in den,

Punkte erſcheinen theils in den großen Sanitätsordnungen des vorigen Jahr-
hunderts, theils in ganz einzelnen Vorſchriften. In unſerem Jahrhundert
bilden ſich auf Grundlage der Wiſſenſchaft namentlich nur die Giftpolizei,
die in Giftſorten und Geheimmittelpolizei ſehr genaue und zweckmäßige
Beſtimmungen enthält, und andererſeits die Begräbniß- und Todten-
polizei mit genauen Vorſchriften über Leichenkammern. Daneben hat die
Strafgeſetzgebung in der Beſtrafung culpoſer Gefährdungen der Geſund-
heit ein zweites Schutzſyſtem entwickelt, das namentlich durch Art. 471 des
Code Pénal begründet, die Sicherheitspolizei in die Geſundheitspolizei hinüber-
führt. Uebrigens liegt es in der Natur der Sache, daß das Wichtigſte dabei
nur von der Thätigkeit der Selbſtverwaltung ausgehen kann, die bisher
faſt nur in den großen Städten gehörig entwickelt iſt, aber hier die eben
ſo ſchwierige als wichtige Aufgabe hat, die Gefährdung der Geſundheit der
ärmeren Claſſen durch billige, aber gefährliche Nahrungsmittel zu begreifen und
zu hindern (ſ. über das ganze Gebiet Stein, Geſundheitsweſen S. 51 ff.).

II. Die Geſundheitspflege.

Die Aufgabe und das Weſen der Geſundheitspflege, der Geſund-
heitspolizei gegenüber ſelbſtändig aufgefaßt, beſteht darin, einerſeits
diejenigen Verhältniſſe des Verkehrs im weiteſten Sinne zu beſeitigen,
welche langſam aber ſicher die Geſundheit gefährden und untergraben,
andererſeits ſolche Anſtalten und Einrichtungen des öffentlichen Lebens
herzuſtellen, welche als allgemeine Bedingungen der Sicherung und
Entwicklung der öffentlichen Geſundheit betrachtet werden müſſen. Hier
liegt das Gebiet, wo das höhere Verſtändniß des öffentlichen Werthes
der Geſundheit aller Einzelnen beginnt und wo die Wiſſenſchaft dieſem
Verſtändniß zu Hülfe kommen und Mittel und Wege für das große
Ziel angeben muß. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß das
Gebiet das jüngſte und unentwickeltſte des ganzen Geſundheitsweſens
iſt; ſeine Anerkennung liegt noch mehr im Gefühle als in dem Syſtem
der Geſetze und dem der Maßregeln der Verwaltung; es iſt klar, daß
gerade hier die Wiſſenſchaft (weſentlich durch ärztliche Vereine) die ge-
fährlichen oder nützlichen Thatſachen und die Principien des Fortſchrittes
aufſtellen, die Geſetzgebung die leitenden Grundſätze geben und die
Selbſtverwaltung ſie ausführen ſoll. Hier iſt noch unendlich viel zu
thun; doch ſind die Grundlagen des Gebietes bereits angedeutet.

Man kann dieſelbe eintheilen in die Geſundheitspflege für die
Erziehung, für das Bau- und Wohnungsweſen und für die Ge-
werbe
. Die Geſundheitspflege der Erziehung iſt zugleich ein Theil
der geſellſchaftlichen Verwaltung; ſie erſcheint in den Krippen und
Warteſchulen, dann in der Sorge für die Schulräume, dann in
der phyſiſchen Erziehung des Turnweſens, endlich aber in den,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0112" n="88"/>
Punkte er&#x017F;cheinen theils in den großen Sanitätsordnungen des vorigen Jahr-<lb/>
hunderts, theils in ganz einzelnen Vor&#x017F;chriften. In un&#x017F;erem Jahrhundert<lb/>
bilden &#x017F;ich auf Grundlage der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft namentlich nur die <hi rendition="#g">Giftpolizei</hi>,<lb/>
die in Gif<hi rendition="#g">t&#x017F;orten</hi> und <hi rendition="#g">Geheimmittelp</hi>olizei &#x017F;ehr genaue und zweckmäßige<lb/>
Be&#x017F;timmungen enthält, und anderer&#x017F;eits die <hi rendition="#g">Begräbniß</hi>- und <hi rendition="#g">Todten</hi>-<lb/>
polizei mit genauen Vor&#x017F;chriften über <hi rendition="#g">Leichenkammern</hi>. Daneben hat die<lb/><hi rendition="#g">Strafge&#x017F;etzgebung</hi> in der Be&#x017F;trafung culpo&#x017F;er Gefährdungen der Ge&#x017F;und-<lb/>
heit ein zweites Schutz&#x017F;y&#x017F;tem entwickelt, das namentlich durch Art. 471 des<lb/><hi rendition="#aq">Code Pénal</hi> begründet, die Sicherheitspolizei in die Ge&#x017F;undheitspolizei hinüber-<lb/>
führt. Uebrigens liegt es in der Natur der Sache, daß das Wichtig&#x017F;te dabei<lb/>
nur von der Thätigkeit der <hi rendition="#g">Selb&#x017F;tverwaltung</hi> ausgehen kann, die bisher<lb/>
fa&#x017F;t nur in den großen Städten gehörig entwickelt i&#x017F;t, aber hier die eben<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chwierige als wichtige Aufgabe hat, die Gefährdung der Ge&#x017F;undheit der<lb/>
ärmeren Cla&#x017F;&#x017F;en durch billige, aber gefährliche Nahrungsmittel zu begreifen und<lb/>
zu hindern (&#x017F;. über das ganze Gebiet <hi rendition="#g">Stein</hi>, Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;en S. 51 ff.).</p>
                  </div>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Die Ge&#x017F;undheitspflege.</hi> </head><lb/>
                  <p>Die Aufgabe und das We&#x017F;en der Ge&#x017F;undheitspflege, der Ge&#x017F;und-<lb/>
heitspolizei gegenüber &#x017F;elb&#x017F;tändig aufgefaßt, be&#x017F;teht darin, einer&#x017F;eits<lb/>
diejenigen Verhältni&#x017F;&#x017F;e des Verkehrs im weite&#x017F;ten Sinne zu <hi rendition="#g">be&#x017F;eitigen</hi>,<lb/>
welche lang&#x017F;am aber &#x017F;icher die Ge&#x017F;undheit gefährden und untergraben,<lb/>
anderer&#x017F;eits &#x017F;olche An&#x017F;talten und Einrichtungen des öffentlichen Lebens<lb/>
herzu&#x017F;tellen, welche als allgemeine <hi rendition="#g">Bedingungen</hi> der Sicherung und<lb/>
Entwicklung der öffentlichen Ge&#x017F;undheit betrachtet werden mü&#x017F;&#x017F;en. Hier<lb/>
liegt das Gebiet, wo das höhere Ver&#x017F;tändniß des öffentlichen Werthes<lb/>
der Ge&#x017F;undheit aller Einzelnen beginnt und wo die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die&#x017F;em<lb/>
Ver&#x017F;tändniß zu Hülfe kommen und Mittel und Wege für das große<lb/>
Ziel angeben muß. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß das<lb/>
Gebiet das jüng&#x017F;te und unentwickelt&#x017F;te des ganzen Ge&#x017F;undheitswe&#x017F;ens<lb/>
i&#x017F;t; &#x017F;eine Anerkennung liegt noch mehr im Gefühle als in dem Sy&#x017F;tem<lb/>
der Ge&#x017F;etze und dem der Maßregeln der Verwaltung; es i&#x017F;t klar, daß<lb/>
gerade hier die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft (we&#x017F;entlich durch ärztliche Vereine) die ge-<lb/>
fährlichen oder nützlichen That&#x017F;achen und die Principien des Fort&#x017F;chrittes<lb/>
auf&#x017F;tellen, die Ge&#x017F;etzgebung die leitenden Grund&#x017F;ätze geben und die<lb/>
Selb&#x017F;tverwaltung &#x017F;ie ausführen &#x017F;oll. Hier i&#x017F;t noch unendlich viel zu<lb/>
thun; doch &#x017F;ind die Grundlagen des Gebietes bereits angedeutet.</p><lb/>
                  <p>Man kann die&#x017F;elbe eintheilen in die Ge&#x017F;undheitspflege für die<lb/><hi rendition="#g">Erziehung</hi>, für das <hi rendition="#g">Bau</hi>- und <hi rendition="#g">Wohnungsw</hi>e&#x017F;en und für die <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
werbe</hi>. Die Ge&#x017F;undheitspflege der <hi rendition="#g">Erziehung</hi> i&#x017F;t zugleich ein Theil<lb/>
der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Verwaltung; &#x017F;ie er&#x017F;cheint in den <hi rendition="#g">Krippen</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Warte&#x017F;chulen</hi>, dann in der Sorge für die <hi rendition="#g">Schulräume</hi>, dann in<lb/>
der phy&#x017F;i&#x017F;chen Erziehung des <hi rendition="#g">Turnwe&#x017F;ens</hi>, endlich aber in den,<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0112] Punkte erſcheinen theils in den großen Sanitätsordnungen des vorigen Jahr- hunderts, theils in ganz einzelnen Vorſchriften. In unſerem Jahrhundert bilden ſich auf Grundlage der Wiſſenſchaft namentlich nur die Giftpolizei, die in Giftſorten und Geheimmittelpolizei ſehr genaue und zweckmäßige Beſtimmungen enthält, und andererſeits die Begräbniß- und Todten- polizei mit genauen Vorſchriften über Leichenkammern. Daneben hat die Strafgeſetzgebung in der Beſtrafung culpoſer Gefährdungen der Geſund- heit ein zweites Schutzſyſtem entwickelt, das namentlich durch Art. 471 des Code Pénal begründet, die Sicherheitspolizei in die Geſundheitspolizei hinüber- führt. Uebrigens liegt es in der Natur der Sache, daß das Wichtigſte dabei nur von der Thätigkeit der Selbſtverwaltung ausgehen kann, die bisher faſt nur in den großen Städten gehörig entwickelt iſt, aber hier die eben ſo ſchwierige als wichtige Aufgabe hat, die Gefährdung der Geſundheit der ärmeren Claſſen durch billige, aber gefährliche Nahrungsmittel zu begreifen und zu hindern (ſ. über das ganze Gebiet Stein, Geſundheitsweſen S. 51 ff.). II. Die Geſundheitspflege. Die Aufgabe und das Weſen der Geſundheitspflege, der Geſund- heitspolizei gegenüber ſelbſtändig aufgefaßt, beſteht darin, einerſeits diejenigen Verhältniſſe des Verkehrs im weiteſten Sinne zu beſeitigen, welche langſam aber ſicher die Geſundheit gefährden und untergraben, andererſeits ſolche Anſtalten und Einrichtungen des öffentlichen Lebens herzuſtellen, welche als allgemeine Bedingungen der Sicherung und Entwicklung der öffentlichen Geſundheit betrachtet werden müſſen. Hier liegt das Gebiet, wo das höhere Verſtändniß des öffentlichen Werthes der Geſundheit aller Einzelnen beginnt und wo die Wiſſenſchaft dieſem Verſtändniß zu Hülfe kommen und Mittel und Wege für das große Ziel angeben muß. Es liegt daher in der Natur der Sache, daß das Gebiet das jüngſte und unentwickeltſte des ganzen Geſundheitsweſens iſt; ſeine Anerkennung liegt noch mehr im Gefühle als in dem Syſtem der Geſetze und dem der Maßregeln der Verwaltung; es iſt klar, daß gerade hier die Wiſſenſchaft (weſentlich durch ärztliche Vereine) die ge- fährlichen oder nützlichen Thatſachen und die Principien des Fortſchrittes aufſtellen, die Geſetzgebung die leitenden Grundſätze geben und die Selbſtverwaltung ſie ausführen ſoll. Hier iſt noch unendlich viel zu thun; doch ſind die Grundlagen des Gebietes bereits angedeutet. Man kann dieſelbe eintheilen in die Geſundheitspflege für die Erziehung, für das Bau- und Wohnungsweſen und für die Ge- werbe. Die Geſundheitspflege der Erziehung iſt zugleich ein Theil der geſellſchaftlichen Verwaltung; ſie erſcheint in den Krippen und Warteſchulen, dann in der Sorge für die Schulräume, dann in der phyſiſchen Erziehung des Turnweſens, endlich aber in den,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/112
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/112>, abgerufen am 22.12.2024.