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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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Verlegenheit, dort hinten standen zwei Gläser; augenblicklich
kam das Kind zurück und stellte Schüsselchen und Glas auf
den Tisch.

"Recht so, du weißt dir zu helfen; aber wo willst du
sitzen?" Auf dem einzigen Stuhl saß der Großvater selbst.
Heidi schoß pfeilschnell zum Heerd hin, brachte den kleinen
Dreifuß zurück und setzte sich drauf.

"Einen Sitz hast du wenigstens, das ist wahr, nur ein
wenig weit unten", sagte der Großvater; aber von meinem
Stuhl wärst auch zu kurz, auf den Tisch zu langen; jetzt
mußt aber einmal Etwas haben, so komm'!" Damit stand
er auf, füllte das Schüsselchen mit Milch, stellte es auf den
Stuhl, und rutschte den ganz nah an den Dreifuß hin, so
daß das Heidi nun einen Tisch vor sich hatte. Der Gro߬
vater legte ein großes Stück Brod und ein Stück von dem
goldenen Käse darauf und sagte: "Jetzt iß!" Er selbst
setzte sich nun auf die Ecke des Tisches und begann sein
Mittagsmahl. Heidi ergriff sein Schüsselchen und trank
und trank ohne Aufenthalt, denn der ganze Durst seiner
langen Reise war ihm wieder aufgestiegen. Jetzt that es
einen langen Athemzug, denn im Eifer des Trinkens hatte
es lange den Athem nicht holen können, und stellte sein
Schüsselchen hin.

"Gefällt dir die Milch?" fragte der Großvater.

"Ich habe noch gar nie so gute Milch getrunken", ant¬
wortete Heidi.

Verlegenheit, dort hinten ſtanden zwei Gläſer; augenblicklich
kam das Kind zurück und ſtellte Schüſſelchen und Glas auf
den Tiſch.

„Recht ſo, du weißt dir zu helfen; aber wo willſt du
ſitzen?“ Auf dem einzigen Stuhl ſaß der Großvater ſelbſt.
Heidi ſchoß pfeilſchnell zum Heerd hin, brachte den kleinen
Dreifuß zurück und ſetzte ſich drauf.

„Einen Sitz haſt du wenigſtens, das iſt wahr, nur ein
wenig weit unten“, ſagte der Großvater; aber von meinem
Stuhl wärſt auch zu kurz, auf den Tiſch zu langen; jetzt
mußt aber einmal Etwas haben, ſo komm'!“ Damit ſtand
er auf, füllte das Schüſſelchen mit Milch, ſtellte es auf den
Stuhl, und rutſchte den ganz nah an den Dreifuß hin, ſo
daß das Heidi nun einen Tiſch vor ſich hatte. Der Gro߬
vater legte ein großes Stück Brod und ein Stück von dem
goldenen Käſe darauf und ſagte: „Jetzt iß!“ Er ſelbſt
ſetzte ſich nun auf die Ecke des Tiſches und begann ſein
Mittagsmahl. Heidi ergriff ſein Schüſſelchen und trank
und trank ohne Aufenthalt, denn der ganze Durſt ſeiner
langen Reiſe war ihm wieder aufgeſtiegen. Jetzt that es
einen langen Athemzug, denn im Eifer des Trinkens hatte
es lange den Athem nicht holen können, und ſtellte ſein
Schüſſelchen hin.

„Gefällt dir die Milch?“ fragte der Großvater.

„Ich habe noch gar nie ſo gute Milch getrunken“, ant¬
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[26/0036] Verlegenheit, dort hinten ſtanden zwei Gläſer; augenblicklich kam das Kind zurück und ſtellte Schüſſelchen und Glas auf den Tiſch. „Recht ſo, du weißt dir zu helfen; aber wo willſt du ſitzen?“ Auf dem einzigen Stuhl ſaß der Großvater ſelbſt. Heidi ſchoß pfeilſchnell zum Heerd hin, brachte den kleinen Dreifuß zurück und ſetzte ſich drauf. „Einen Sitz haſt du wenigſtens, das iſt wahr, nur ein wenig weit unten“, ſagte der Großvater; aber von meinem Stuhl wärſt auch zu kurz, auf den Tiſch zu langen; jetzt mußt aber einmal Etwas haben, ſo komm'!“ Damit ſtand er auf, füllte das Schüſſelchen mit Milch, ſtellte es auf den Stuhl, und rutſchte den ganz nah an den Dreifuß hin, ſo daß das Heidi nun einen Tiſch vor ſich hatte. Der Gro߬ vater legte ein großes Stück Brod und ein Stück von dem goldenen Käſe darauf und ſagte: „Jetzt iß!“ Er ſelbſt ſetzte ſich nun auf die Ecke des Tiſches und begann ſein Mittagsmahl. Heidi ergriff ſein Schüſſelchen und trank und trank ohne Aufenthalt, denn der ganze Durſt ſeiner langen Reiſe war ihm wieder aufgeſtiegen. Jetzt that es einen langen Athemzug, denn im Eifer des Trinkens hatte es lange den Athem nicht holen können, und ſtellte ſein Schüſſelchen hin. „Gefällt dir die Milch?“ fragte der Großvater. „Ich habe noch gar nie ſo gute Milch getrunken“, ant¬ wortete Heidi.

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/36>, abgerufen am 26.04.2024.