Marie war die Köchin eines alten katholischen Pfarrers, er hatte die arme Waise väterlich erzo- gen, sie suchte in der Folge durch treue Dienste zu vergelten, was er so großmüthig an ihr geübt hatte. Sie war jung, schön und artig, ihr guter, unbefleckter Ruf, ihre untadelhafte Aufführung wurde im ganzen Dorfe allgemein erkannt und geehrt, auch der Tadelsüchtigste konnte ihn nicht beflecken, weil der alte Pfarrer schon vollkommen Greis, und übler Verdacht unmöglich war. Ihre natürliche Munterkeit, ihr gefälliger Scherz und Witz war des alten Kranken einzige Zerstreuung, nur sie vermochte es, den Funken der Freude in ihm zu wecken, ihm oft ein sanftes Lächeln ab- zulocken.
Mit den Jahren mehrte sich Ueberlegung und Nachdenken, sie sah trauernd in die Zukunft, und sah nur allzu gut ein, daß ihr Glück, ihre Aussicht mit dem Leben des Pfarrers enden müsse. Sie achtete des Greises Rath, und blickte unter den jungen Purschen des Dorfs nach einem Gat- ten umher, der ihr bald und sicher werden konnte,
weil
Marie A — r.
Marie war die Koͤchin eines alten katholiſchen Pfarrers, er hatte die arme Waiſe vaͤterlich erzo- gen, ſie ſuchte in der Folge durch treue Dienſte zu vergelten, was er ſo großmuͤthig an ihr geuͤbt hatte. Sie war jung, ſchoͤn und artig, ihr guter, unbefleckter Ruf, ihre untadelhafte Auffuͤhrung wurde im ganzen Dorfe allgemein erkannt und geehrt, auch der Tadelſuͤchtigſte konnte ihn nicht beflecken, weil der alte Pfarrer ſchon vollkommen Greis, und uͤbler Verdacht unmoͤglich war. Ihre natuͤrliche Munterkeit, ihr gefaͤlliger Scherz und Witz war des alten Kranken einzige Zerſtreuung, nur ſie vermochte es, den Funken der Freude in ihm zu wecken, ihm oft ein ſanftes Laͤcheln ab- zulocken.
Mit den Jahren mehrte ſich Ueberlegung und Nachdenken, ſie ſah trauernd in die Zukunft, und ſah nur allzu gut ein, daß ihr Gluͤck, ihre Ausſicht mit dem Leben des Pfarrers enden muͤſſe. Sie achtete des Greiſes Rath, und blickte unter den jungen Purſchen des Dorfs nach einem Gat- ten umher, der ihr bald und ſicher werden konnte,
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Marie A — r.
Marie war die Koͤchin eines alten katholiſchen
Pfarrers, er hatte die arme Waiſe vaͤterlich erzo-
gen, ſie ſuchte in der Folge durch treue Dienſte
zu vergelten, was er ſo großmuͤthig an ihr geuͤbt
hatte. Sie war jung, ſchoͤn und artig, ihr guter,
unbefleckter Ruf, ihre untadelhafte Auffuͤhrung
wurde im ganzen Dorfe allgemein erkannt und
geehrt, auch der Tadelſuͤchtigſte konnte ihn nicht
beflecken, weil der alte Pfarrer ſchon vollkommen
Greis, und uͤbler Verdacht unmoͤglich war. Ihre
natuͤrliche Munterkeit, ihr gefaͤlliger Scherz und
Witz war des alten Kranken einzige Zerſtreuung,
nur ſie vermochte es, den Funken der Freude in
ihm zu wecken, ihm oft ein ſanftes Laͤcheln ab-
zulocken.
Mit den Jahren mehrte ſich Ueberlegung und
Nachdenken, ſie ſah trauernd in die Zukunft,
und ſah nur allzu gut ein, daß ihr Gluͤck, ihre
Ausſicht mit dem Leben des Pfarrers enden muͤſſe.
Sie achtete des Greiſes Rath, und blickte unter
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien02_1796/168>, abgerufen am 04.03.2025.
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