Im schrecklichen siebenjährigen Kriege, welcher halb Deutschland verwüstete, manchem Hausvater seine Haabe, mancher Mutter ihren Sohn raub- te, reiste der junge Wilhelm auf die Universität nach Leipzig. Sein Vater, ein Landpfarrer, war schon längst gestorben, seine noch lebende Mutter hatte ihr Aeusserstes gethan, um ihn auf der Schule zu ernähren, sie konnte ihm jetzt nicht mehr als zehn Thaler und ihren mütterlichen Se- gen mit auf die Reise geben, sie hofte, daß der hofnungsvolle Jüngling durch seine gute, untadel- hafte Aufführung bald Gönner zu Leipzig finden würde, die ihn unterstützen und Vater der ver- laßnen Waise werden sollten. Als er zu Kolditz übernachtete, wurde das Städtchen von feindli- chen Husaren überfallen, sie fanden den jungen Wilhelm, er war schön, jung und wohlgewachsen und wurde am andern Morgen, nebst mehrern jungen Leuten, nach des Feindes Land geführt, um dort als Soldat zu dienen. Seine Gelassen- heit, mit welcher er sich in sein unverdientes Schicksal fügte, sein Eifer, mit welchem er sich im
Wilhelm M***r und Karoline W — g.
Im ſchrecklichen ſiebenjaͤhrigen Kriege, welcher halb Deutſchland verwuͤſtete, manchem Hausvater ſeine Haabe, mancher Mutter ihren Sohn raub- te, reiſte der junge Wilhelm auf die Univerſitaͤt nach Leipzig. Sein Vater, ein Landpfarrer, war ſchon laͤngſt geſtorben, ſeine noch lebende Mutter hatte ihr Aeuſſerſtes gethan, um ihn auf der Schule zu ernaͤhren, ſie konnte ihm jetzt nicht mehr als zehn Thaler und ihren muͤtterlichen Se- gen mit auf die Reiſe geben, ſie hofte, daß der hofnungsvolle Juͤngling durch ſeine gute, untadel- hafte Auffuͤhrung bald Goͤnner zu Leipzig finden wuͤrde, die ihn unterſtuͤtzen und Vater der ver- laßnen Waiſe werden ſollten. Als er zu Kolditz uͤbernachtete, wurde das Staͤdtchen von feindli- chen Huſaren uͤberfallen, ſie fanden den jungen Wilhelm, er war ſchoͤn, jung und wohlgewachſen und wurde am andern Morgen, nebſt mehrern jungen Leuten, nach des Feindes Land gefuͤhrt, um dort als Soldat zu dienen. Seine Gelaſſen- heit, mit welcher er ſich in ſein unverdientes Schickſal fuͤgte, ſein Eifer, mit welchem er ſich im
<TEI><text><body><pbfacs="#f0073"n="59"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="1"><head><hirendition="#c">Wilhelm M***r<lb/>
und<lb/><hirendition="#g">Karoline W — g.</hi></hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p><hirendition="#in">I</hi>m ſchrecklichen ſiebenjaͤhrigen Kriege, welcher<lb/>
halb Deutſchland verwuͤſtete, manchem Hausvater<lb/>ſeine Haabe, mancher Mutter ihren Sohn raub-<lb/>
te, reiſte der junge Wilhelm auf die Univerſitaͤt<lb/>
nach Leipzig. Sein Vater, ein Landpfarrer, war<lb/>ſchon laͤngſt geſtorben, ſeine noch lebende Mutter<lb/>
hatte ihr Aeuſſerſtes gethan, um ihn auf der<lb/>
Schule zu ernaͤhren, ſie konnte ihm jetzt nicht<lb/>
mehr als zehn Thaler und ihren muͤtterlichen Se-<lb/>
gen mit auf die Reiſe geben, ſie hofte, daß der<lb/>
hofnungsvolle Juͤngling durch ſeine gute, untadel-<lb/>
hafte Auffuͤhrung bald Goͤnner zu Leipzig finden<lb/>
wuͤrde, die ihn unterſtuͤtzen und Vater der <choice><sic>ver-<lb/>
laßuen</sic><corr>ver-<lb/>
laßnen</corr></choice> Waiſe werden ſollten. Als er zu Kolditz<lb/>
uͤbernachtete, wurde das Staͤdtchen von feindli-<lb/>
chen Huſaren uͤberfallen, ſie fanden den jungen<lb/>
Wilhelm, er war ſchoͤn, jung und wohlgewachſen<lb/>
und wurde am andern Morgen, nebſt mehrern<lb/>
jungen Leuten, nach des Feindes Land gefuͤhrt,<lb/>
um dort als Soldat zu dienen. Seine Gelaſſen-<lb/>
heit, mit welcher er ſich in ſein unverdientes<lb/>
Schickſal fuͤgte, ſein Eifer, mit welchem er ſich im<lb/></p></div></body></text></TEI>
[59/0073]
Wilhelm M***r
und
Karoline W — g.
Im ſchrecklichen ſiebenjaͤhrigen Kriege, welcher
halb Deutſchland verwuͤſtete, manchem Hausvater
ſeine Haabe, mancher Mutter ihren Sohn raub-
te, reiſte der junge Wilhelm auf die Univerſitaͤt
nach Leipzig. Sein Vater, ein Landpfarrer, war
ſchon laͤngſt geſtorben, ſeine noch lebende Mutter
hatte ihr Aeuſſerſtes gethan, um ihn auf der
Schule zu ernaͤhren, ſie konnte ihm jetzt nicht
mehr als zehn Thaler und ihren muͤtterlichen Se-
gen mit auf die Reiſe geben, ſie hofte, daß der
hofnungsvolle Juͤngling durch ſeine gute, untadel-
hafte Auffuͤhrung bald Goͤnner zu Leipzig finden
wuͤrde, die ihn unterſtuͤtzen und Vater der ver-
laßnen Waiſe werden ſollten. Als er zu Kolditz
uͤbernachtete, wurde das Staͤdtchen von feindli-
chen Huſaren uͤberfallen, ſie fanden den jungen
Wilhelm, er war ſchoͤn, jung und wohlgewachſen
und wurde am andern Morgen, nebſt mehrern
jungen Leuten, nach des Feindes Land gefuͤhrt,
um dort als Soldat zu dienen. Seine Gelaſſen-
heit, mit welcher er ſich in ſein unverdientes
Schickſal fuͤgte, ſein Eifer, mit welchem er ſich im
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/73>, abgerufen am 03.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.