weil ihre allzu reizbare Seele alsdann anhaltend leide, und vielen Hang zur Melancholie verrathe.
Jakob W***r.
Im angenehmen Zillerthale der Grafschaft Ti- rol lebte vor ungefähr fünfzehn Jahren Jakob W -- r, ein feuriger, muthiger und schöner Jüngling. Sein Vater hatte ihm ein nicht allzu geringes Vermögen hinterlassen, welches er durch kluge und nützliche Spekulation zu vermehren suchte. Da er nur baares Geld und keine Grundstücke besaß, so pachtete er den gräflich- F -- schen Maier- hof, und ward bald in der ganzen Gegend als der beste und klügste Oekonom bekannt. Wenn er daheim war, so beschäftigte er sich mit seinem Viehe, Wiesen und Aeckern, suchte jedes dersel- ben zu verbessern, und war immer glücklich ge- nug, seine Absicht geschwind zu erreichen, wenn's aber zu Hause -- was öfters geschah -- an häu- figer Beschäftigung mangelte, so zog er gerne über's Feld, war bei jedem Freischießen, bei den meisten ländlichen Gelagen zugegen, und behaup- tete auch auf beiden den ersten Rang, selten fehl- te er den Mittelpunkt der Scheibe, selten über- traf ihn ein Tänzer, selten gewann ein ande- rer, wenn er sich unter den Kegel- und Karten-
weil ihre allzu reizbare Seele alsdann anhaltend leide, und vielen Hang zur Melancholie verrathe.
Jakob W***r.
Im angenehmen Zillerthale der Grafſchaft Ti- rol lebte vor ungefaͤhr fuͤnfzehn Jahren Jakob W — r, ein feuriger, muthiger und ſchoͤner Juͤngling. Sein Vater hatte ihm ein nicht allzu geringes Vermoͤgen hinterlaſſen, welches er durch kluge und nuͤtzliche Spekulation zu vermehren ſuchte. Da er nur baares Geld und keine Grundſtuͤcke beſaß, ſo pachtete er den graͤflich- F — ſchen Maier- hof, und ward bald in der ganzen Gegend als der beſte und kluͤgſte Oekonom bekannt. Wenn er daheim war, ſo beſchaͤftigte er ſich mit ſeinem Viehe, Wieſen und Aeckern, ſuchte jedes derſel- ben zu verbeſſern, und war immer gluͤcklich ge- nug, ſeine Abſicht geſchwind zu erreichen, wenn's aber zu Hauſe — was oͤfters geſchah — an haͤu- figer Beſchaͤftigung mangelte, ſo zog er gerne uͤber's Feld, war bei jedem Freiſchießen, bei den meiſten laͤndlichen Gelagen zugegen, und behaup- tete auch auf beiden den erſten Rang, ſelten fehl- te er den Mittelpunkt der Scheibe, ſelten uͤber- traf ihn ein Taͤnzer, ſelten gewann ein ande- rer, wenn er ſich unter den Kegel- und Karten-
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weil ihre allzu reizbare Seele alsdann anhaltend
leide, und vielen Hang zur Melancholie verrathe.
Jakob W***r.
Im angenehmen Zillerthale der Grafſchaft Ti-
rol lebte vor ungefaͤhr fuͤnfzehn Jahren Jakob
W — r, ein feuriger, muthiger und ſchoͤner
Juͤngling. Sein Vater hatte ihm ein nicht allzu
geringes Vermoͤgen hinterlaſſen, welches er durch
kluge und nuͤtzliche Spekulation zu vermehren ſuchte.
Da er nur baares Geld und keine Grundſtuͤcke beſaß,
ſo pachtete er den graͤflich- F — ſchen Maier-
hof, und ward bald in der ganzen Gegend als
der beſte und kluͤgſte Oekonom bekannt. Wenn
er daheim war, ſo beſchaͤftigte er ſich mit ſeinem
Viehe, Wieſen und Aeckern, ſuchte jedes derſel-
ben zu verbeſſern, und war immer gluͤcklich ge-
nug, ſeine Abſicht geſchwind zu erreichen, wenn's
aber zu Hauſe — was oͤfters geſchah — an haͤu-
figer Beſchaͤftigung mangelte, ſo zog er gerne
uͤber's Feld, war bei jedem Freiſchießen, bei den
meiſten laͤndlichen Gelagen zugegen, und behaup-
tete auch auf beiden den erſten Rang, ſelten fehl-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/115>, abgerufen am 04.03.2025.
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