Es war ein köstlicher Anblick, den der Schloßhof von Grenwitz in dem Augenblick gewährte, als ihn Oswald durch das finstere Thor betrat, ein Anblick, wol geeignet, ein schmerzlich zuckendes Herz zur Ruhe zu wiegen. Während die höchsten Kuppen der ge¬ waltigen Linden, die auf das Portal des Schlosses zuführten, und die Zinne des Thurmes noch vom rothen Abendlichte angestrahlt waren, lag schon tiefer Schatten unter den Bäumen, neben dem Walle, über dem langen Grase, das überall zwischen den Steinen des Pflasters emporwuchs. Aus den Kronen der Lin¬ den, die mit weißem Blüthenschnee überdeckt waren, strömte ein süßer Duft, der die ganze Atmosphäre erfüllte. Rings umher war es so still, daß man deutlich das geschäftige Summen der Insecten ver¬ nahm; auf dem Rand des Brunnens mit der kopf¬ losen Najade saß ein Vöglein und sang der unter¬
Siebentes Kapitel.
Es war ein köſtlicher Anblick, den der Schloßhof von Grenwitz in dem Augenblick gewährte, als ihn Oswald durch das finſtere Thor betrat, ein Anblick, wol geeignet, ein ſchmerzlich zuckendes Herz zur Ruhe zu wiegen. Während die höchſten Kuppen der ge¬ waltigen Linden, die auf das Portal des Schloſſes zuführten, und die Zinne des Thurmes noch vom rothen Abendlichte angeſtrahlt waren, lag ſchon tiefer Schatten unter den Bäumen, neben dem Walle, über dem langen Graſe, das überall zwiſchen den Steinen des Pflaſters emporwuchs. Aus den Kronen der Lin¬ den, die mit weißem Blüthenſchnee überdeckt waren, ſtrömte ein ſüßer Duft, der die ganze Atmoſphäre erfüllte. Rings umher war es ſo ſtill, daß man deutlich das geſchäftige Summen der Inſecten ver¬ nahm; auf dem Rand des Brunnens mit der kopf¬ loſen Najade ſaß ein Vöglein und ſang der unter¬
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Siebentes Kapitel.
Es war ein köſtlicher Anblick, den der Schloßhof
von Grenwitz in dem Augenblick gewährte, als ihn
Oswald durch das finſtere Thor betrat, ein Anblick,
wol geeignet, ein ſchmerzlich zuckendes Herz zur Ruhe
zu wiegen. Während die höchſten Kuppen der ge¬
waltigen Linden, die auf das Portal des Schloſſes
zuführten, und die Zinne des Thurmes noch vom
rothen Abendlichte angeſtrahlt waren, lag ſchon tiefer
Schatten unter den Bäumen, neben dem Walle, über
dem langen Graſe, das überall zwiſchen den Steinen
des Pflaſters emporwuchs. Aus den Kronen der Lin¬
den, die mit weißem Blüthenſchnee überdeckt waren,
ſtrömte ein ſüßer Duft, der die ganze Atmoſphäre
erfüllte. Rings umher war es ſo ſtill, daß man
deutlich das geſchäftige Summen der Inſecten ver¬
nahm; auf dem Rand des Brunnens mit der kopf¬
loſen Najade ſaß ein Vöglein und ſang der unter¬
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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 3. Berlin, 1861, S. [120]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische03_1861/130>, abgerufen am 17.02.2025.
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