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Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861.

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schlafen, denn ich sah, daß seine Augen wie im Fieber
glühten und seine Glieder flogen. "Pah," sagte er,
"schlafen? Ich habe mehr zu thun, als zu schlafen.
Ich weiß nicht, wie lange ich fortbleibe, Alte; aber
ich komme entweder mit ihr zurück oder -- wird's
bald?" schrie er auf den Flur hinaus, "ich will Euch
Beine machen, Ihr verdammten Hallunken!"

So fuhr er ab, ohne auch nur die Kleider ge¬
wechselt zu haben. Er blieb vier Wochen fort; Keiner
wußte, wo er geblieben war. Eines Abends spät
kam er wieder. Die erste Frage, die er an mich
richtete, war: "Hast Du Nachricht von ihr?" -- Er
sah so bleich und verfallen aus, daß ich ihn kaum
wieder erkannte. Seine Augen waren tief in den
Kopf gesunken und blitzten wie glühende Kohlen.
"Ich habe sie nicht gefunden;" sagte er, als wir
Beide in seinem Zimmer allein waren; "gieb mir
Wein, Alte; ich muß das höllische Feuer, das in mir
brennt, ersäufen."

Mich jammerte des unglücklichen Mannes, denn
jetzt erst fühlte ich, wie sehr ich ihn liebte. Ich sagte
ihm Alles, was ich von der Flucht Mariens wußte.
Gegen mein Erwarten blieb er ruhig: "Es kommt
auf eins heraus, sagte er; ob sie gestorben ist oder
nicht; für mich ist sie doch todt; sie konnte nicht an¬

ſchlafen, denn ich ſah, daß ſeine Augen wie im Fieber
glühten und ſeine Glieder flogen. „Pah,“ ſagte er,
„ſchlafen? Ich habe mehr zu thun, als zu ſchlafen.
Ich weiß nicht, wie lange ich fortbleibe, Alte; aber
ich komme entweder mit ihr zurück oder — wird's
bald?“ ſchrie er auf den Flur hinaus, „ich will Euch
Beine machen, Ihr verdammten Hallunken!“

So fuhr er ab, ohne auch nur die Kleider ge¬
wechſelt zu haben. Er blieb vier Wochen fort; Keiner
wußte, wo er geblieben war. Eines Abends ſpät
kam er wieder. Die erſte Frage, die er an mich
richtete, war: „Haſt Du Nachricht von ihr?“ — Er
ſah ſo bleich und verfallen aus, daß ich ihn kaum
wieder erkannte. Seine Augen waren tief in den
Kopf geſunken und blitzten wie glühende Kohlen.
„Ich habe ſie nicht gefunden;“ ſagte er, als wir
Beide in ſeinem Zimmer allein waren; „gieb mir
Wein, Alte; ich muß das hölliſche Feuer, das in mir
brennt, erſäufen.“

Mich jammerte des unglücklichen Mannes, denn
jetzt erſt fühlte ich, wie ſehr ich ihn liebte. Ich ſagte
ihm Alles, was ich von der Flucht Mariens wußte.
Gegen mein Erwarten blieb er ruhig: „Es kommt
auf eins heraus, ſagte er; ob ſie geſtorben iſt oder
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[262/0272] ſchlafen, denn ich ſah, daß ſeine Augen wie im Fieber glühten und ſeine Glieder flogen. „Pah,“ ſagte er, „ſchlafen? Ich habe mehr zu thun, als zu ſchlafen. Ich weiß nicht, wie lange ich fortbleibe, Alte; aber ich komme entweder mit ihr zurück oder — wird's bald?“ ſchrie er auf den Flur hinaus, „ich will Euch Beine machen, Ihr verdammten Hallunken!“ So fuhr er ab, ohne auch nur die Kleider ge¬ wechſelt zu haben. Er blieb vier Wochen fort; Keiner wußte, wo er geblieben war. Eines Abends ſpät kam er wieder. Die erſte Frage, die er an mich richtete, war: „Haſt Du Nachricht von ihr?“ — Er ſah ſo bleich und verfallen aus, daß ich ihn kaum wieder erkannte. Seine Augen waren tief in den Kopf geſunken und blitzten wie glühende Kohlen. „Ich habe ſie nicht gefunden;“ ſagte er, als wir Beide in ſeinem Zimmer allein waren; „gieb mir Wein, Alte; ich muß das hölliſche Feuer, das in mir brennt, erſäufen.“ Mich jammerte des unglücklichen Mannes, denn jetzt erſt fühlte ich, wie ſehr ich ihn liebte. Ich ſagte ihm Alles, was ich von der Flucht Mariens wußte. Gegen mein Erwarten blieb er ruhig: „Es kommt auf eins heraus, ſagte er; ob ſie geſtorben iſt oder nicht; für mich iſt ſie doch todt; ſie konnte nicht an¬

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Zitationshilfe: Spielhagen, Friedrich: Problematische Naturen. Bd. 2. Berlin, 1861, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spielhagen_problematische02_1861/272>, abgerufen am 26.04.2024.