SECTIO LII. Erinnerung der von GOTT erweckten/ zur vor- sichtigkeit. Worinnen diese bestehe. Die welt nicht ohne noth zu reitzen.
JCh erkenne mich allen menschen, aber dem grade nach denjenigen allemal am meisten verbunden, denen die sache GOttes am eifrigsten angelegen ist, und derselbe auch sein werck in ihnen vor andern kräfftig treibet. Er erwecke noch immer mehrere, die von dem schlaf der sicherheit und unachtsamkeit aufstehen, daß sie erkennen, was ihnen das einige operae pretium sey, warum wir in der welt sind, um alsdenn solches auch den einigen zweck des gantzen lebens seyn zu lassen, indem indessen die welt auf unterschiedliche, gröber oder subtilere weise ihre lüste su- chet, und ihre wege gehet: sonderlich aber ermuntere er zu solcher lebendigen erkänt- nüß stets mehrere unter denenjenigen, welche er künfftig zu dienern seiner gemeinde bestimmet hat, und lasse zu seiner zeit (ach daß es bald geschehe!) durch dieselbe das- jenige wiederum eingebracht und ersetzet werden, was besorglich bisher zuweiln blinde leiter versäumet und verderbet haben. Er erfülle aber auch die hertzen derje- nigen, die er bereits gerühret und auferwecket hat, mit dem geiste der weißheit und klugheit, daß sie wissen in diesen mißlichen zeiten vorsichtig zu wandeln, welche vor- sichtigkeit wol in diesem hauptsächlich bestehen mag, daß sie zwar nichts des nöthig- sten guten unterlassen, vielweniger iemal etwas böses und wider das gewissen zu thun sich verleiten lassen, aber in verrichtung des guten allezeit alle umstände wol er- wegen, um sich und andere vor denenjenigen, derer jetzt aller orten so viel sind, vor de- nen man sich böses als gutes zu thun, mit der welt mitzumachen als sich ihrer sünden zu entbrechen, weniger fürchten muß, nicht vor der zeit schwerere leiden u. hindernüß beyzuziehen: sondern solches dahin, so viel möglich ist, zu versparen, wann die welt, wie es noch kommen kan, so böse werden wird, daß sie nicht nur fromme schäl ansehe, sondern sie zu dem bösen allerdings nöthige (von welchem grad der boßheit der heili- ge GOtt auch bis daher die meisten auch böse zurücke gehalten hat, aber besorglich auch den zaum noch bis dahin schiessen lassen wird.) Jndem alsdann freylich der krieg gleichsam öffentlich muß declariret und der welt gunst gantz hinden angesetzt seyn: so lang es aber bis dahin noch nicht kommet, müssen wir uns allein hüten, sie nicht gleichsam selbst gegen uns zu reitzen, und noch so viel ruhe von ihr geniessen, als uns
GOtt
Das ſiebende Capitel.
SECTIO LII. Erinnerung der von GOTT erweckten/ zur vor- ſichtigkeit. Worinnen dieſe beſtehe. Die welt nicht ohne noth zu reitzen.
JCh erkenne mich allen menſchen, aber dem grade nach denjenigen allemal am meiſten verbunden, denen die ſache GOttes am eifrigſten angelegen iſt, und derſelbe auch ſein werck in ihnen vor andern kraͤfftig treibet. Er erwecke noch immer mehrere, die von dem ſchlaf der ſicherheit und unachtſamkeit aufſtehen, daß ſie erkennen, was ihnen das einige operæ pretium ſey, warum wir in der welt ſind, um alsdenn ſolches auch den einigen zweck des gantzen lebens ſeyn zu laſſen, indem indeſſen die welt auf unterſchiedliche, groͤber oder ſubtilere weiſe ihre luͤſte ſu- chet, und ihre wege gehet: ſonderlich aber ermuntere er zu ſolcher lebendigen erkaͤnt- nuͤß ſtets mehrere unter denenjenigen, welche er kuͤnfftig zu dienern ſeiner gemeinde beſtimmet hat, und laſſe zu ſeiner zeit (ach daß es bald geſchehe!) durch dieſelbe das- jenige wiederum eingebracht und erſetzet werden, was beſorglich bisher zuweiln blinde leiter verſaͤumet und verderbet haben. Er erfuͤlle aber auch die hertzen derje- nigen, die er bereits geruͤhret und auferwecket hat, mit dem geiſte der weißheit und klugheit, daß ſie wiſſen in dieſen mißlichen zeiten vorſichtig zu wandeln, welche vor- ſichtigkeit wol in dieſem hauptſaͤchlich beſtehen mag, daß ſie zwar nichts des noͤthig- ſten guten unterlaſſen, vielweniger iemal etwas boͤſes und wider das gewiſſen zu thun ſich verleiten laſſen, aber in verrichtung des guten allezeit alle umſtaͤnde wol er- wegen, um ſich und andere vor denenjenigen, derer jetzt aller orten ſo viel ſind, vor de- nen man ſich boͤſes als gutes zu thun, mit der welt mitzumachen als ſich ihrer ſuͤnden zu entbrechen, weniger fuͤrchten muß, nicht vor der zeit ſchwerere leiden u. hindernuͤß beyzuziehen: ſondern ſolches dahin, ſo viel moͤglich iſt, zu verſparen, wann die welt, wie es noch kom̃en kan, ſo boͤſe werden wird, daß ſie nicht nur fromme ſchaͤl anſehe, ſondern ſie zu dem boͤſen allerdings noͤthige (von welchem grad der boßheit der heili- ge GOtt auch bis daher die meiſten auch boͤſe zuruͤcke gehalten hat, aber beſorglich auch den zaum noch bis dahin ſchieſſen laſſen wird.) Jndem alsdann freylich der krieg gleichſam oͤffentlich muß declariret und der welt gunſt gantz hinden angeſetzt ſeyn: ſo lang es aber bis dahin noch nicht kom̃et, muͤſſen wir uns allein huͤten, ſie nicht gleichſam ſelbſt gegen uns zu reitzen, und noch ſo viel ruhe von ihr genieſſen, als uns
GOtt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0670"n="658"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Das ſiebende Capitel.</hi></fw><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq"><hirendition="#g">SECTIO LII</hi>.</hi><lb/>
Erinnerung der von GOTT erweckten/ zur vor-<lb/>ſichtigkeit. Worinnen dieſe beſtehe. Die welt nicht<lb/>
ohne noth zu reitzen.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">J</hi>Ch erkenne mich allen menſchen, aber dem grade nach denjenigen allemal<lb/>
am meiſten verbunden, denen die ſache GOttes am eifrigſten angelegen iſt,<lb/>
und derſelbe auch ſein werck in ihnen vor andern kraͤfftig treibet. Er erwecke<lb/>
noch immer mehrere, die von dem ſchlaf der ſicherheit und unachtſamkeit aufſtehen,<lb/>
daß ſie erkennen, was ihnen das einige <hirendition="#aq">operæ pretium</hi>ſey, warum wir in der welt<lb/>ſind, um alsdenn ſolches auch den einigen zweck des gantzen lebens ſeyn zu laſſen,<lb/>
indem indeſſen die welt auf unterſchiedliche, groͤber oder ſubtilere weiſe ihre luͤſte ſu-<lb/>
chet, und ihre wege gehet: ſonderlich aber ermuntere er zu ſolcher lebendigen erkaͤnt-<lb/>
nuͤß ſtets mehrere unter denenjenigen, welche er kuͤnfftig zu dienern ſeiner gemeinde<lb/>
beſtimmet hat, und laſſe zu ſeiner zeit (ach daß es bald geſchehe!) durch dieſelbe das-<lb/>
jenige wiederum eingebracht und erſetzet werden, was beſorglich bisher zuweiln<lb/>
blinde leiter verſaͤumet und verderbet haben. Er erfuͤlle aber auch die hertzen derje-<lb/>
nigen, die er bereits geruͤhret und auferwecket hat, mit dem geiſte der weißheit und<lb/>
klugheit, daß ſie wiſſen in dieſen mißlichen zeiten vorſichtig zu wandeln, welche vor-<lb/>ſichtigkeit wol in dieſem hauptſaͤchlich beſtehen mag, daß ſie zwar nichts des noͤthig-<lb/>ſten guten unterlaſſen, vielweniger iemal etwas boͤſes und wider das gewiſſen zu<lb/>
thun ſich verleiten laſſen, aber in verrichtung des guten allezeit alle umſtaͤnde wol er-<lb/>
wegen, um ſich und andere vor denenjenigen, derer jetzt aller orten ſo viel ſind, vor de-<lb/>
nen man ſich boͤſes als gutes zu thun, mit der welt mitzumachen als ſich ihrer ſuͤnden<lb/>
zu entbrechen, weniger fuͤrchten muß, nicht vor der zeit ſchwerere leiden u. hindernuͤß<lb/>
beyzuziehen: ſondern ſolches dahin, ſo viel moͤglich iſt, zu verſparen, wann die welt,<lb/>
wie es noch kom̃en kan, ſo boͤſe werden wird, daß ſie nicht nur fromme ſchaͤl anſehe,<lb/>ſondern ſie zu dem boͤſen allerdings noͤthige (von welchem grad der boßheit der heili-<lb/>
ge GOtt auch bis daher die meiſten auch boͤſe zuruͤcke gehalten hat, aber beſorglich<lb/>
auch den zaum noch bis dahin ſchieſſen laſſen wird.) Jndem alsdann freylich der<lb/>
krieg gleichſam oͤffentlich muß <hirendition="#aq">declarir</hi>et und der welt gunſt gantz hinden angeſetzt<lb/>ſeyn: ſo lang es aber bis dahin noch nicht kom̃et, muͤſſen wir uns allein huͤten, ſie nicht<lb/>
gleichſam ſelbſt gegen uns zu reitzen, und noch ſo viel ruhe von ihr genieſſen, als uns<lb/><fwplace="bottom"type="catch">GOtt</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[658/0670]
Das ſiebende Capitel.
SECTIO LII.
Erinnerung der von GOTT erweckten/ zur vor-
ſichtigkeit. Worinnen dieſe beſtehe. Die welt nicht
ohne noth zu reitzen.
JCh erkenne mich allen menſchen, aber dem grade nach denjenigen allemal
am meiſten verbunden, denen die ſache GOttes am eifrigſten angelegen iſt,
und derſelbe auch ſein werck in ihnen vor andern kraͤfftig treibet. Er erwecke
noch immer mehrere, die von dem ſchlaf der ſicherheit und unachtſamkeit aufſtehen,
daß ſie erkennen, was ihnen das einige operæ pretium ſey, warum wir in der welt
ſind, um alsdenn ſolches auch den einigen zweck des gantzen lebens ſeyn zu laſſen,
indem indeſſen die welt auf unterſchiedliche, groͤber oder ſubtilere weiſe ihre luͤſte ſu-
chet, und ihre wege gehet: ſonderlich aber ermuntere er zu ſolcher lebendigen erkaͤnt-
nuͤß ſtets mehrere unter denenjenigen, welche er kuͤnfftig zu dienern ſeiner gemeinde
beſtimmet hat, und laſſe zu ſeiner zeit (ach daß es bald geſchehe!) durch dieſelbe das-
jenige wiederum eingebracht und erſetzet werden, was beſorglich bisher zuweiln
blinde leiter verſaͤumet und verderbet haben. Er erfuͤlle aber auch die hertzen derje-
nigen, die er bereits geruͤhret und auferwecket hat, mit dem geiſte der weißheit und
klugheit, daß ſie wiſſen in dieſen mißlichen zeiten vorſichtig zu wandeln, welche vor-
ſichtigkeit wol in dieſem hauptſaͤchlich beſtehen mag, daß ſie zwar nichts des noͤthig-
ſten guten unterlaſſen, vielweniger iemal etwas boͤſes und wider das gewiſſen zu
thun ſich verleiten laſſen, aber in verrichtung des guten allezeit alle umſtaͤnde wol er-
wegen, um ſich und andere vor denenjenigen, derer jetzt aller orten ſo viel ſind, vor de-
nen man ſich boͤſes als gutes zu thun, mit der welt mitzumachen als ſich ihrer ſuͤnden
zu entbrechen, weniger fuͤrchten muß, nicht vor der zeit ſchwerere leiden u. hindernuͤß
beyzuziehen: ſondern ſolches dahin, ſo viel moͤglich iſt, zu verſparen, wann die welt,
wie es noch kom̃en kan, ſo boͤſe werden wird, daß ſie nicht nur fromme ſchaͤl anſehe,
ſondern ſie zu dem boͤſen allerdings noͤthige (von welchem grad der boßheit der heili-
ge GOtt auch bis daher die meiſten auch boͤſe zuruͤcke gehalten hat, aber beſorglich
auch den zaum noch bis dahin ſchieſſen laſſen wird.) Jndem alsdann freylich der
krieg gleichſam oͤffentlich muß declariret und der welt gunſt gantz hinden angeſetzt
ſeyn: ſo lang es aber bis dahin noch nicht kom̃et, muͤſſen wir uns allein huͤten, ſie nicht
gleichſam ſelbſt gegen uns zu reitzen, und noch ſo viel ruhe von ihr genieſſen, als uns
GOtt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 658. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/670>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.