Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715.

Bild:
<< vorherige Seite

ARTIC. II. SECTIO XLI.
gesänge dergleichen art aufgesetzt/ die ohne beysetzung seines namens unter
dem titul Helikon in Nürnberg gedruckt sind. Daraus wären viele zu ge-
brauchen/ oder da der stylus fast zu hoch/ könte ein ander christlicher Poet
aus seinen stattlichen erfindungen anlaß nehmen/ solche aufzusetzen/ die zu
gemeinen brauch begreifflich wären. 9. Diese wären meine gedancken
über diese materie/ da mir lieb seyn solle/ wo dieselbige zu bewerckstelligung
gutes vorhabens etwas beytragen solten: indessen damit nichts vorge-
schrieben/ sondern alles eigener fernern christlichen überlegung und ent-
schluß überlassen haben will. Der HErr HErr/ dem alles lob gebühret/
richte auch alles zu dessen zwecks erreichung/ segne alle dahin zielende vor-
nehmen/ sonderlich erfülle er unsere hertzen/ so oft wir uns auch zum singen
vor sein angesicht stellen/ mit derjenigen krafft des geistes/ daß alles was
wir singen wollen/ erst lebendig in unsern seelen seyn/ und diese mit himmli-
schen feuer entzündet werden mögen/ damit was wir alsdann mit der zun-
ge singen/ ein süsser thon vielmehr in seinen als der menschen ohren/ im him-
mel als auf erden/ schalle/ als ein wahres vorspiel jener ewigen harmonie
werde/ hingegen aller orten das unandächtige geplerr der lieder aufhöre/
und dieser wahren frucht des geistes platz gebe.

SECTIO XLI.
Was ein Schulmann zu thun hat wegen der so
genanten heiligen Christs-aufzüge/ music bey den
Papisten und comödien in den schulen.

WAs anlangt die vorgestellte materie von den larvis natalitiis und
mehr beygefügten/ lässet die zeit nicht zu/ weitläufftiges beden-
cken abzufassen. Jch erkläre aber meine meynung auf die fra-
ge kurtz.

1. Auf die abschaffung der Christ-Comoedien wird mit recht gedrungen/
wegen der abgötterey und ärgernüß der jugend/ bey dero sehr gefährlich/
solche ungleiche gedancken von GOTT ihnen in den zarten jahren zu machen.
Es hat Herr Grabovius in einem sonderlichen tractätlein solches gar fein ge-
wiesen. So haben wir meiste prediger in Franckfurt allezeit auf der cantzel
wider solches unwesen geredet/ und ob zwar nicht die völlige abschaffung er-
halten/ gleichwol gemacht/ daß Christliche hauß-väter solches nicht bey
sich geschehen lassen: Ja einmal ein burgermeister abends selbs herum ge-
ritten/ und die vagirende so genante Christ-kindlein gestöhret. Es hat
auch die leute sehr geschrecket/ als einmal ein unglück vorging/ davon ei-
ner
s s 2

ARTIC. II. SECTIO XLI.
geſaͤnge dergleichen art aufgeſetzt/ die ohne beyſetzung ſeines namens unter
dem titul Helikon in Nuͤrnberg gedruckt ſind. Daraus waͤren viele zu ge-
brauchen/ oder da der ſtylus faſt zu hoch/ koͤnte ein ander chriſtlicher Poet
aus ſeinen ſtattlichen erfindungen anlaß nehmen/ ſolche aufzuſetzen/ die zu
gemeinen brauch begreifflich waͤren. 9. Dieſe waͤren meine gedancken
uͤber dieſe materie/ da mir lieb ſeyn ſolle/ wo dieſelbige zu bewerckſtelligung
gutes vorhabens etwas beytragen ſolten: indeſſen damit nichts vorge-
ſchrieben/ ſondern alles eigener fernern chriſtlichen uͤberlegung und ent-
ſchluß uͤberlaſſen haben will. Der HErr HErr/ dem alles lob gebuͤhret/
richte auch alles zu deſſen zwecks erreichung/ ſegne alle dahin zielende vor-
nehmen/ ſonderlich erfuͤlle er unſere hertzen/ ſo oft wir uns auch zum ſingen
vor ſein angeſicht ſtellen/ mit derjenigen krafft des geiſtes/ daß alles was
wir ſingen wollen/ erſt lebendig in unſern ſeelen ſeyn/ und dieſe mit himmli-
ſchen feuer entzuͤndet werden moͤgen/ damit was wir alsdann mit der zun-
ge ſingen/ ein ſuͤſſer thon vielmehr in ſeinen als der menſchen ohren/ im him-
mel als auf erden/ ſchalle/ als ein wahres vorſpiel jener ewigen harmonie
werde/ hingegen aller orten das unandaͤchtige geplerr der lieder aufhoͤre/
und dieſer wahren frucht des geiſtes platz gebe.

SECTIO XLI.
Was ein Schulmann zu thun hat wegen der ſo
genanten heiligen Chriſts-aufzuͤge/ muſic bey den
Papiſten und comoͤdien in den ſchulen.

WAs anlangt die vorgeſtellte materie von den larvis natalitiis und
mehr beygefuͤgten/ laͤſſet die zeit nicht zu/ weitlaͤufftiges beden-
cken abzufaſſen. Jch erklaͤre aber meine meynung auf die fra-
ge kurtz.

1. Auf die abſchaffung der Chriſt-Comœdien wird mit recht gedrungen/
wegen der abgoͤtterey und aͤrgernuͤß der jugend/ bey dero ſehr gefaͤhrlich/
ſolche ungleiche gedancken von GOTT ihnen in den zarten jahren zu machen.
Es hat Herr Grabovius in einem ſonderlichen tractaͤtlein ſolches gar fein ge-
wieſen. So haben wir meiſte prediger in Franckfurt allezeit auf der cantzel
wider ſolches unweſen geredet/ und ob zwar nicht die voͤllige abſchaffung er-
halten/ gleichwol gemacht/ daß Chriſtliche hauß-vaͤter ſolches nicht bey
ſich geſchehen laſſen: Ja einmal ein burgermeiſter abends ſelbs herum ge-
ritten/ und die vagirende ſo genante Chriſt-kindlein geſtoͤhret. Es hat
auch die leute ſehr geſchrecket/ als einmal ein ungluͤck vorging/ davon ei-
ner
ſ s 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0335" n="323"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">ARTIC. II. SECTIO XLI.</hi></hi></fw><lb/>
ge&#x017F;a&#x0364;nge dergleichen art aufge&#x017F;etzt/ die ohne bey&#x017F;etzung &#x017F;eines namens unter<lb/>
dem <hi rendition="#aq">titul</hi> <hi rendition="#fr">Helikon</hi> in Nu&#x0364;rnberg gedruckt &#x017F;ind. Daraus wa&#x0364;ren viele zu ge-<lb/>
brauchen/ oder da der <hi rendition="#aq">&#x017F;tylus</hi> fa&#x017F;t zu hoch/ ko&#x0364;nte ein ander chri&#x017F;tlicher <hi rendition="#aq">Poet</hi><lb/>
aus &#x017F;einen &#x017F;tattlichen erfindungen anlaß nehmen/ &#x017F;olche aufzu&#x017F;etzen/ die zu<lb/>
gemeinen brauch begreifflich wa&#x0364;ren. 9. Die&#x017F;e wa&#x0364;ren meine gedancken<lb/>
u&#x0364;ber die&#x017F;e <hi rendition="#aq">mater</hi>ie/ da mir lieb &#x017F;eyn &#x017F;olle/ wo die&#x017F;elbige zu bewerck&#x017F;telligung<lb/>
gutes vorhabens etwas beytragen &#x017F;olten: inde&#x017F;&#x017F;en damit nichts vorge-<lb/>
&#x017F;chrieben/ &#x017F;ondern alles eigener fernern chri&#x017F;tlichen u&#x0364;berlegung und ent-<lb/>
&#x017F;chluß u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en haben will. Der HErr HErr/ dem alles lob gebu&#x0364;hret/<lb/>
richte auch alles zu de&#x017F;&#x017F;en zwecks erreichung/ &#x017F;egne alle dahin zielende vor-<lb/>
nehmen/ &#x017F;onderlich erfu&#x0364;lle er un&#x017F;ere hertzen/ &#x017F;o oft wir uns auch zum &#x017F;ingen<lb/>
vor &#x017F;ein ange&#x017F;icht &#x017F;tellen/ mit derjenigen krafft des gei&#x017F;tes/ daß alles was<lb/>
wir &#x017F;ingen wollen/ er&#x017F;t lebendig in un&#x017F;ern &#x017F;eelen &#x017F;eyn/ und die&#x017F;e mit himmli-<lb/>
&#x017F;chen feuer entzu&#x0364;ndet werden mo&#x0364;gen/ damit was wir alsdann mit der zun-<lb/>
ge &#x017F;ingen/ ein &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;er thon vielmehr in &#x017F;einen als der men&#x017F;chen ohren/ im him-<lb/>
mel als auf erden/ &#x017F;challe/ als ein wahres vor&#x017F;piel jener ewigen harmonie<lb/>
werde/ hingegen aller orten das unanda&#x0364;chtige geplerr der lieder aufho&#x0364;re/<lb/>
und die&#x017F;er wahren frucht des gei&#x017F;tes platz gebe.</p>
            <dateline>1697.</dateline>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SECTIO</hi> XLI.</hi><lb/>
Was ein Schulmann zu thun hat wegen der &#x017F;o<lb/>
genanten heiligen Chri&#x017F;ts-aufzu&#x0364;ge/ mu&#x017F;ic bey den<lb/>
Papi&#x017F;ten und como&#x0364;dien in den &#x017F;chulen.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#in">W</hi>As anlangt die vorge&#x017F;tellte <hi rendition="#aq">materi</hi>e von den <hi rendition="#aq">larvis natalitiis</hi> und<lb/>
mehr beygefu&#x0364;gten/ la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et die zeit nicht zu/ weitla&#x0364;ufftiges beden-<lb/>
cken abzufa&#x017F;&#x017F;en. Jch erkla&#x0364;re aber meine meynung auf die fra-<lb/>
ge kurtz.</p><lb/>
            <list>
              <item>1. Auf die ab&#x017F;chaffung der Chri&#x017F;t-<hi rendition="#aq">Com&#x0153;di</hi>en wird mit recht gedrungen/<lb/>
wegen der abgo&#x0364;tterey und a&#x0364;rgernu&#x0364;ß der jugend/ bey dero &#x017F;ehr gefa&#x0364;hrlich/<lb/>
&#x017F;olche ungleiche gedancken von GOTT ihnen in den zarten jahren zu machen.<lb/>
Es hat Herr <hi rendition="#aq">Grabovius</hi> in einem &#x017F;onderlichen tracta&#x0364;tlein &#x017F;olches gar fein ge-<lb/>
wie&#x017F;en. So haben wir mei&#x017F;te prediger in Franckfurt allezeit auf der cantzel<lb/>
wider &#x017F;olches unwe&#x017F;en geredet/ und ob zwar nicht die vo&#x0364;llige ab&#x017F;chaffung er-<lb/>
halten/ gleichwol gemacht/ daß Chri&#x017F;tliche hauß-va&#x0364;ter &#x017F;olches nicht bey<lb/>
&#x017F;ich ge&#x017F;chehen la&#x017F;&#x017F;en: Ja einmal ein burgermei&#x017F;ter abends &#x017F;elbs herum ge-<lb/>
ritten/ und die <hi rendition="#aq">vagir</hi>ende &#x017F;o genante Chri&#x017F;t-kindlein ge&#x017F;to&#x0364;hret. Es hat<lb/>
auch die leute &#x017F;ehr ge&#x017F;chrecket/ als einmal ein unglu&#x0364;ck vorging/ davon ei-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">&#x017F; s 2</fw><fw place="bottom" type="catch">ner</fw><lb/></item>
            </list>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[323/0335] ARTIC. II. SECTIO XLI. geſaͤnge dergleichen art aufgeſetzt/ die ohne beyſetzung ſeines namens unter dem titul Helikon in Nuͤrnberg gedruckt ſind. Daraus waͤren viele zu ge- brauchen/ oder da der ſtylus faſt zu hoch/ koͤnte ein ander chriſtlicher Poet aus ſeinen ſtattlichen erfindungen anlaß nehmen/ ſolche aufzuſetzen/ die zu gemeinen brauch begreifflich waͤren. 9. Dieſe waͤren meine gedancken uͤber dieſe materie/ da mir lieb ſeyn ſolle/ wo dieſelbige zu bewerckſtelligung gutes vorhabens etwas beytragen ſolten: indeſſen damit nichts vorge- ſchrieben/ ſondern alles eigener fernern chriſtlichen uͤberlegung und ent- ſchluß uͤberlaſſen haben will. Der HErr HErr/ dem alles lob gebuͤhret/ richte auch alles zu deſſen zwecks erreichung/ ſegne alle dahin zielende vor- nehmen/ ſonderlich erfuͤlle er unſere hertzen/ ſo oft wir uns auch zum ſingen vor ſein angeſicht ſtellen/ mit derjenigen krafft des geiſtes/ daß alles was wir ſingen wollen/ erſt lebendig in unſern ſeelen ſeyn/ und dieſe mit himmli- ſchen feuer entzuͤndet werden moͤgen/ damit was wir alsdann mit der zun- ge ſingen/ ein ſuͤſſer thon vielmehr in ſeinen als der menſchen ohren/ im him- mel als auf erden/ ſchalle/ als ein wahres vorſpiel jener ewigen harmonie werde/ hingegen aller orten das unandaͤchtige geplerr der lieder aufhoͤre/ und dieſer wahren frucht des geiſtes platz gebe. 1697. SECTIO XLI. Was ein Schulmann zu thun hat wegen der ſo genanten heiligen Chriſts-aufzuͤge/ muſic bey den Papiſten und comoͤdien in den ſchulen. WAs anlangt die vorgeſtellte materie von den larvis natalitiis und mehr beygefuͤgten/ laͤſſet die zeit nicht zu/ weitlaͤufftiges beden- cken abzufaſſen. Jch erklaͤre aber meine meynung auf die fra- ge kurtz. 1. Auf die abſchaffung der Chriſt-Comœdien wird mit recht gedrungen/ wegen der abgoͤtterey und aͤrgernuͤß der jugend/ bey dero ſehr gefaͤhrlich/ ſolche ungleiche gedancken von GOTT ihnen in den zarten jahren zu machen. Es hat Herr Grabovius in einem ſonderlichen tractaͤtlein ſolches gar fein ge- wieſen. So haben wir meiſte prediger in Franckfurt allezeit auf der cantzel wider ſolches unweſen geredet/ und ob zwar nicht die voͤllige abſchaffung er- halten/ gleichwol gemacht/ daß Chriſtliche hauß-vaͤter ſolches nicht bey ſich geſchehen laſſen: Ja einmal ein burgermeiſter abends ſelbs herum ge- ritten/ und die vagirende ſo genante Chriſt-kindlein geſtoͤhret. Es hat auch die leute ſehr geſchrecket/ als einmal ein ungluͤck vorging/ davon ei- ner ſ s 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/335
Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 4. 3. Aufl. Halle (Saale), 1715, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken04_1702/335>, abgerufen am 21.12.2024.