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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701.

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Das vierdte Capitel.
glaubigen person (sihe 1. Cor. 7.) die von der unglaubigen verlassen/ und
damit die ehe gebrochen worden/ da bey der Heydnischen Obrigkeit der aus-
spruch vergebens würde gesucht worden seyn. Was nun zuweilen kan un-
terbleiben/ ist nicht bloß dahin vonnöthen. Womit die oben behauptete
nothwendigkeit nicht auffgehoben/ sondern dahin/ wo man den spruch haben
kan/ restringiret wird. Nun hätte man hie den richterlichen ausspruch for-
dern können/ daß deswegen die unterlassung solchen zu suchen unrecht ist;
Weil aber das factum so bewandt/ daß solcher ohne zweiffel würde dahin
gefallen seyn/ daß Livia von Verre frey/ so war sie nunmehr eine an sich freye
person/ und machte die unterlassung zwahr bey ihr eine sündliche schuld/ nicht
aber eine solche unmöglichkeit/ die die auch folgende ehe zunicht machte. Was
die andere rationem dubitandi anlangt/ gehet sie auch nicht weiter/ als daß
sie zeiget/ daß Livia sich schwehrlich versündiget/ wider ihrer eigenen Con-
fession principia,
mit einem sich einzulassen/ da sie nunmehr zu stätigem coe-
libat,
als lang Verres lebte/ gehalten war: nicht aber daß die vor GOtt an
sich selbs gültige ehe/ nichtig würde: indem eines menschen habender irr-
thum von einer sache deroselben beschaffenheit und wesen nicht auffhebet. A-
ber so viel brachte solcher der Liviae damaliger irrthum mit sich/ (wie es mehr-
mal bey der conscientia erronea zu geschehen pfleget) daß sie auff keiner seit
von sünden frey war/ bliebe sie bey dem mann/ so könte sie die ehe nach ihrer
religion hypothesibus nicht vor eine wahre ehe halten/ und wurde ihr also al-
ler derselben gebrauch wegen widersprechenden gewissens/ nach Pauli regul
Rom. 14/ 23. zur sünde. Verließ sie ihn aber/ wie sie auch gethan/ so ver-
sündigte sie sich wiederum/ daß sie das band zerreissen wolte/ so doch obwol
mit sünden gebunden/ gleichwol bündig war. Stehet also nichts im weg/
die ehe vor wahrhafftig gültig anzusehen.

Q. 5. Ob Livia wiederum dieses bandes mit Sulpitio frey
worden?

JCh antworte wiederum mit ja: nicht zwahr daß ich solche befreyung such-
te 1. in ihrer übereilung/ daß so viel aus der Relation sehe/ zwahr auff
sie getrungen worden/ aber doch nichts erscheinet/ das zeigte/ daß es nicht
ein wahrer Consensus gewesen/ der die ehe machet. Noch 2. in der de-
sertion
auff seiten Liviae, denn ob schon solche ein anfang zu einem ehe-
bruch gewesen/ und sich Livia damit schwehrer als an dem ersten versün-
diget/ war doch die desertio noch nicht so pertinax, als erfordert wird/
daß sie vor einen ehebruch erkant werde. Sondern meine bejahung möch-

te

Das vierdte Capitel.
glaubigen perſon (ſihe 1. Cor. 7.) die von der unglaubigen verlaſſen/ und
damit die ehe gebrochen worden/ da bey der Heydniſchen Obrigkeit der aus-
ſpruch vergebens wuͤrde geſucht worden ſeyn. Was nun zuweilen kan un-
terbleiben/ iſt nicht bloß dahin vonnoͤthen. Womit die oben behauptete
nothwendigkeit nicht auffgehoben/ ſondern dahin/ wo man den ſpruch haben
kan/ reſtringiret wird. Nun haͤtte man hie den richterlichen ausſpruch for-
dern koͤnnen/ daß deswegen die unterlaſſung ſolchen zu ſuchen unrecht iſt;
Weil aber das factum ſo bewandt/ daß ſolcher ohne zweiffel wuͤrde dahin
gefallen ſeyn/ daß Livia von Verre frey/ ſo war ſie nunmehr eine an ſich freye
perſon/ und machte die unterlaſſung zwahr bey ihr eine ſuͤndliche ſchuld/ nicht
aber eine ſolche unmoͤglichkeit/ die die auch folgende ehe zunicht machte. Was
die andere rationem dubitandi anlangt/ gehet ſie auch nicht weiter/ als daß
ſie zeiget/ daß Livia ſich ſchwehrlich verſuͤndiget/ wider ihrer eigenen Con-
feſſion principia,
mit einem ſich einzulaſſen/ da ſie nunmehr zu ſtaͤtigem cœ-
libat,
als lang Verres lebte/ gehalten war: nicht aber daß die vor GOtt an
ſich ſelbs guͤltige ehe/ nichtig wuͤrde: indem eines menſchen habender irr-
thum von einer ſache deroſelben beſchaffenheit und weſen nicht auffhebet. A-
ber ſo viel brachte ſolcher der Liviæ damaliger irrthum mit ſich/ (wie es mehr-
mal bey der conſcientia erronea zu geſchehen pfleget) daß ſie auff keiner ſeit
von ſuͤnden frey war/ bliebe ſie bey dem mann/ ſo koͤnte ſie die ehe nach ihrer
religion hypotheſibus nicht vor eine wahre ehe halten/ und wurde ihr alſo al-
ler derſelben gebrauch wegen widerſprechenden gewiſſens/ nach Pauli regul
Rom. 14/ 23. zur ſuͤnde. Verließ ſie ihn aber/ wie ſie auch gethan/ ſo ver-
ſuͤndigte ſie ſich wiederum/ daß ſie das band zerreiſſen wolte/ ſo doch obwol
mit ſuͤnden gebunden/ gleichwol buͤndig war. Stehet alſo nichts im weg/
die ehe vor wahrhafftig guͤltig anzuſehen.

Q. 5. Ob Livia wiederum dieſes bandes mit Sulpitio frey
worden?

JCh antworte wiederum mit ja: nicht zwahr daß ich ſolche befreyung ſuch-
te 1. in ihrer uͤbereilung/ daß ſo viel aus der Relation ſehe/ zwahr auff
ſie getrungen worden/ aber doch nichts erſcheinet/ das zeigte/ daß es nicht
ein wahrer Conſenſus geweſen/ der die ehe machet. Noch 2. in der de-
ſertion
auff ſeiten Liviæ, denn ob ſchon ſolche ein anfang zu einem ehe-
bruch geweſen/ und ſich Livia damit ſchwehrer als an dem erſten verſuͤn-
diget/ war doch die deſertio noch nicht ſo pertinax, als erfordert wird/
daß ſie vor einen ehebruch erkant werde. Sondern meine bejahung moͤch-

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[608/0616] Das vierdte Capitel. glaubigen perſon (ſihe 1. Cor. 7.) die von der unglaubigen verlaſſen/ und damit die ehe gebrochen worden/ da bey der Heydniſchen Obrigkeit der aus- ſpruch vergebens wuͤrde geſucht worden ſeyn. Was nun zuweilen kan un- terbleiben/ iſt nicht bloß dahin vonnoͤthen. Womit die oben behauptete nothwendigkeit nicht auffgehoben/ ſondern dahin/ wo man den ſpruch haben kan/ reſtringiret wird. Nun haͤtte man hie den richterlichen ausſpruch for- dern koͤnnen/ daß deswegen die unterlaſſung ſolchen zu ſuchen unrecht iſt; Weil aber das factum ſo bewandt/ daß ſolcher ohne zweiffel wuͤrde dahin gefallen ſeyn/ daß Livia von Verre frey/ ſo war ſie nunmehr eine an ſich freye perſon/ und machte die unterlaſſung zwahr bey ihr eine ſuͤndliche ſchuld/ nicht aber eine ſolche unmoͤglichkeit/ die die auch folgende ehe zunicht machte. Was die andere rationem dubitandi anlangt/ gehet ſie auch nicht weiter/ als daß ſie zeiget/ daß Livia ſich ſchwehrlich verſuͤndiget/ wider ihrer eigenen Con- feſſion principia, mit einem ſich einzulaſſen/ da ſie nunmehr zu ſtaͤtigem cœ- libat, als lang Verres lebte/ gehalten war: nicht aber daß die vor GOtt an ſich ſelbs guͤltige ehe/ nichtig wuͤrde: indem eines menſchen habender irr- thum von einer ſache deroſelben beſchaffenheit und weſen nicht auffhebet. A- ber ſo viel brachte ſolcher der Liviæ damaliger irrthum mit ſich/ (wie es mehr- mal bey der conſcientia erronea zu geſchehen pfleget) daß ſie auff keiner ſeit von ſuͤnden frey war/ bliebe ſie bey dem mann/ ſo koͤnte ſie die ehe nach ihrer religion hypotheſibus nicht vor eine wahre ehe halten/ und wurde ihr alſo al- ler derſelben gebrauch wegen widerſprechenden gewiſſens/ nach Pauli regul Rom. 14/ 23. zur ſuͤnde. Verließ ſie ihn aber/ wie ſie auch gethan/ ſo ver- ſuͤndigte ſie ſich wiederum/ daß ſie das band zerreiſſen wolte/ ſo doch obwol mit ſuͤnden gebunden/ gleichwol buͤndig war. Stehet alſo nichts im weg/ die ehe vor wahrhafftig guͤltig anzuſehen. Q. 5. Ob Livia wiederum dieſes bandes mit Sulpitio frey worden? JCh antworte wiederum mit ja: nicht zwahr daß ich ſolche befreyung ſuch- te 1. in ihrer uͤbereilung/ daß ſo viel aus der Relation ſehe/ zwahr auff ſie getrungen worden/ aber doch nichts erſcheinet/ das zeigte/ daß es nicht ein wahrer Conſenſus geweſen/ der die ehe machet. Noch 2. in der de- ſertion auff ſeiten Liviæ, denn ob ſchon ſolche ein anfang zu einem ehe- bruch geweſen/ und ſich Livia damit ſchwehrer als an dem erſten verſuͤn- diget/ war doch die deſertio noch nicht ſo pertinax, als erfordert wird/ daß ſie vor einen ehebruch erkant werde. Sondern meine bejahung moͤch- te

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 2. Halle (Saale), 1701, S. 608. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken02_1701/616>, abgerufen am 21.11.2024.