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Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700.

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SECTIO XXVIII.
fer und gewisser seine wahrheit einsehen/ und darinnen befestiget werden:
sonderlich heilige er auch dessen seele in derselbigen/ und lasse sie nach so vie-
len unruhigen umschweiffen zu einer erwünschten/ freudigen und beständi-
gen ruhe in ihm gelangen: so ich auch von seiner väterlichen güte mich verse-
he/ und ferner zu erbitten nicht unterlassen will. Dabey aber denselben hertz-
lich erinnere/ da er unterschiedlich selbs erfahren/ wie ihm vieles scrupuliren
nicht wenige/ will nicht sagen nur unruhe/ sondern gar gefahr und irrung/ ge-
bracht habe/ seiner selbs zu schonen/ bey dem wort des HErrn genau zu blei-
ben/ und von dessen einfalt/ bey dero wir alles zu unsrer seligkeit und befesti-
gung des glaubens nöthiges finden/ sich nicht in andere tieffe nachsinnung zu
begeben/ dazu davor halte/ daß des gemüths jetziger zustand nicht wol be-
qvem seye. Jch zweiffele nicht/ dieses möge der weg seyn durch göttliche
gnade in eine völlige ruhe zu kommen: sonderlich wo er sich gewehnt/ mit den
Evangelischen materien am meisten umzugehen/ die seiner seelen erst eine
rechte krafft geben/ und seinen glauben also stärcken werden/ daß dadurch die
vorige schwehrmuth/ obwol auch des leibes disposition etwas mit beygetra-
gen haben mag/ wieder auffgehaben werde/ und er einen süssen geschmack sei-
nes heils erlange/ welches wol der kräfftigste grund ist aller beständigen und
auffrichtigen gottseligkeit/ die weit von der aus dem gesetz erzwungenen
frömmigkeit unterschieden ist. 1695.

SECTIO XXIX.
Michtigkeit des articuls von der rechtfertigung.

ES ist mir berichtet worden/ daß vom geliebten bruder ein gerücht aus-
gehe/ ob liesse er sich wider den Articulum justificationis heraus/ und
hätte bereits der Papisten meinung unter viele ausgestreuet. Jch ha-
be aber selbs die falschheit des gemeinen gerichts so offt erfahren/ daß ich auch
deßwegen so viel weniger stracks jedem solchem rumori glauben zustelle/ der
von andern ausgehet/ und daher von gedachtem lieben freund bald selbs
nachricht hoffe/ daß es ohne grund gewesen seye: so vielmehr weil geliebten
bruder nicht zutrauen solle/ daß er in so hochwichtigen sachen der göttlichen
wahrheit/ die er zu untersuchen sich stets befleisset/ fehlen würde/ nachdem
auch in denen wider ihn zu N. N. angestellten inquisitionibus, so viel ich weiß/
nichts wider die orthodoxie auff denselben gebracht worden ist. Weil aber
die liebe/ so viel hertzlicher sie ist/ so viel sorgfältiger auch darüber ist/ wo sie
demjenigen/ welchen sie liebet/ auch die wenigste gefahr vorzustehen be-
fürchtet/ so habe dieses an mich gelangte werth gehalten/ daß deswegen mit
hindansetzung andrer briefe die feder ansetzte/ und geliebten bruder bäte/ mich

auch

SECTIO XXVIII.
fer und gewiſſer ſeine wahrheit einſehen/ und darinnen befeſtiget werden:
ſonderlich heilige er auch deſſen ſeele in derſelbigen/ und laſſe ſie nach ſo vie-
len unruhigen umſchweiffen zu einer erwuͤnſchten/ freudigen und beſtaͤndi-
gen ruhe in ihm gelangen: ſo ich auch von ſeiner vaͤterlichen guͤte mich verſe-
he/ und ferner zu erbitten nicht unterlaſſen will. Dabey aber denſelben hertz-
lich erinnere/ da er unterſchiedlich ſelbs erfahren/ wie ihm vieles ſcrupuliren
nicht wenige/ will nicht ſagen nur unruhe/ ſondern gar gefahr und irrung/ ge-
bracht habe/ ſeiner ſelbs zu ſchonen/ bey dem wort des HErrn genau zu blei-
ben/ und von deſſen einfalt/ bey dero wir alles zu unſrer ſeligkeit und befeſti-
gung des glaubens noͤthiges finden/ ſich nicht in andere tieffe nachſinnung zu
begeben/ dazu davor halte/ daß des gemuͤths jetziger zuſtand nicht wol be-
qvem ſeye. Jch zweiffele nicht/ dieſes moͤge der weg ſeyn durch goͤttliche
gnade in eine voͤllige ruhe zu kommen: ſonderlich wo er ſich gewehnt/ mit den
Evangeliſchen materien am meiſten umzugehen/ die ſeiner ſeelen erſt eine
rechte krafft geben/ und ſeinen glauben alſo ſtaͤrcken werden/ daß dadurch die
vorige ſchwehrmuth/ obwol auch des leibes diſpoſition etwas mit beygetra-
gen haben mag/ wieder auffgehaben werde/ und er einen ſuͤſſen geſchmack ſei-
nes heils erlange/ welches wol der kraͤfftigſte grund iſt aller beſtaͤndigen und
auffrichtigen gottſeligkeit/ die weit von der aus dem geſetz erzwungenen
froͤmmigkeit unterſchieden iſt. 1695.

SECTIO XXIX.
Michtigkeit des articuls von der rechtfertigung.

ES iſt mir berichtet worden/ daß vom geliebten bruder ein geruͤcht aus-
gehe/ ob lieſſe er ſich wider den Articulum juſtificationis heraus/ und
haͤtte bereits der Papiſten meinung unter viele ausgeſtreuet. Jch ha-
be aber ſelbs die falſchheit des gemeinen gerichts ſo offt erfahren/ daß ich auch
deßwegen ſo viel weniger ſtracks jedem ſolchem rumori glauben zuſtelle/ der
von andern ausgehet/ und daher von gedachtem lieben freund bald ſelbs
nachricht hoffe/ daß es ohne grund geweſen ſeye: ſo vielmehr weil geliebten
bruder nicht zutrauen ſolle/ daß er in ſo hochwichtigen ſachen der goͤttlichen
wahrheit/ die er zu unterſuchen ſich ſtets befleiſſet/ fehlen wuͤrde/ nachdem
auch in denen wider ihn zu N. N. angeſtellten inquiſitionibus, ſo viel ich weiß/
nichts wider die orthodoxie auff denſelben gebracht worden iſt. Weil aber
die liebe/ ſo viel hertzlicher ſie iſt/ ſo viel ſorgfaͤltiger auch daruͤber iſt/ wo ſie
demjenigen/ welchen ſie liebet/ auch die wenigſte gefahr vorzuſtehen be-
fuͤrchtet/ ſo habe dieſes an mich gelangte werth gehalten/ daß deswegen mit
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auch
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[183/0199] SECTIO XXVIII. fer und gewiſſer ſeine wahrheit einſehen/ und darinnen befeſtiget werden: ſonderlich heilige er auch deſſen ſeele in derſelbigen/ und laſſe ſie nach ſo vie- len unruhigen umſchweiffen zu einer erwuͤnſchten/ freudigen und beſtaͤndi- gen ruhe in ihm gelangen: ſo ich auch von ſeiner vaͤterlichen guͤte mich verſe- he/ und ferner zu erbitten nicht unterlaſſen will. Dabey aber denſelben hertz- lich erinnere/ da er unterſchiedlich ſelbs erfahren/ wie ihm vieles ſcrupuliren nicht wenige/ will nicht ſagen nur unruhe/ ſondern gar gefahr und irrung/ ge- bracht habe/ ſeiner ſelbs zu ſchonen/ bey dem wort des HErrn genau zu blei- ben/ und von deſſen einfalt/ bey dero wir alles zu unſrer ſeligkeit und befeſti- gung des glaubens noͤthiges finden/ ſich nicht in andere tieffe nachſinnung zu begeben/ dazu davor halte/ daß des gemuͤths jetziger zuſtand nicht wol be- qvem ſeye. Jch zweiffele nicht/ dieſes moͤge der weg ſeyn durch goͤttliche gnade in eine voͤllige ruhe zu kommen: ſonderlich wo er ſich gewehnt/ mit den Evangeliſchen materien am meiſten umzugehen/ die ſeiner ſeelen erſt eine rechte krafft geben/ und ſeinen glauben alſo ſtaͤrcken werden/ daß dadurch die vorige ſchwehrmuth/ obwol auch des leibes diſpoſition etwas mit beygetra- gen haben mag/ wieder auffgehaben werde/ und er einen ſuͤſſen geſchmack ſei- nes heils erlange/ welches wol der kraͤfftigſte grund iſt aller beſtaͤndigen und auffrichtigen gottſeligkeit/ die weit von der aus dem geſetz erzwungenen froͤmmigkeit unterſchieden iſt. 1695. SECTIO XXIX. Michtigkeit des articuls von der rechtfertigung. ES iſt mir berichtet worden/ daß vom geliebten bruder ein geruͤcht aus- gehe/ ob lieſſe er ſich wider den Articulum juſtificationis heraus/ und haͤtte bereits der Papiſten meinung unter viele ausgeſtreuet. Jch ha- be aber ſelbs die falſchheit des gemeinen gerichts ſo offt erfahren/ daß ich auch deßwegen ſo viel weniger ſtracks jedem ſolchem rumori glauben zuſtelle/ der von andern ausgehet/ und daher von gedachtem lieben freund bald ſelbs nachricht hoffe/ daß es ohne grund geweſen ſeye: ſo vielmehr weil geliebten bruder nicht zutrauen ſolle/ daß er in ſo hochwichtigen ſachen der goͤttlichen wahrheit/ die er zu unterſuchen ſich ſtets befleiſſet/ fehlen wuͤrde/ nachdem auch in denen wider ihn zu N. N. angeſtellten inquiſitionibus, ſo viel ich weiß/ nichts wider die orthodoxie auff denſelben gebracht worden iſt. Weil aber die liebe/ ſo viel hertzlicher ſie iſt/ ſo viel ſorgfaͤltiger auch daruͤber iſt/ wo ſie demjenigen/ welchen ſie liebet/ auch die wenigſte gefahr vorzuſtehen be- fuͤrchtet/ ſo habe dieſes an mich gelangte werth gehalten/ daß deswegen mit hindanſetzung andrer briefe die feder anſetzte/ und geliebten bruder baͤte/ mich auch

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Zitationshilfe: Spener, Philipp Jakob: Theologische Bedencken. Bd. 1. Halle (Saale), 1700, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spener_bedencken01_1700/199>, abgerufen am 23.11.2024.