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[Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749.

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entwischen meinem Auge sowol als meinem Nachdenken.
Vielleicht lehren mich die langwierigsten und emsigsten Un-
tersuchungen nichts mehr, als nur künstlicher, und nicht einmal
glücklicher muthmassen. Hier gehet alles ins Unendliche hin-
ein; und so auch die Verwaltung der Welt. Alles verwirret
mich; alles macht mich ungewiß. ---- Doch, was brauche
ich mehr zu wissen, da ich meine Schuldigkeit und die Ober-
herrschaft einer unendlichen Liebe mit einer ungezweifelten
Ueberzeugung erkenne? Diese sind es endlich doch nur allein
wehrt, daß sich alle übrige Einsichten darin endigen. Jch
will es mich daher auch nicht besremden lassen, wenn ich in
Umstände gerathe, davon ich die Folgen und Entwickelungen
nicht voraus sehe. Jch will nur meinen grossen Zweck nie
aus dem Gesichte verlieren, und mich dann mit einer unbe-
wegten Sicherheit den Fügungen desjenigen überlassen, der
alles nach seinem Willen lenket, und dessen Wille immer gut
ist. Von seiner Fürsicht geleitet, werde ich mitten durch die
fürchterlichsten Verwirrungen dieses Lebens glücklich hindurch
gelangen, und alle die Dunkelheiten, die mich vielleicht itzo
umgeben und stutzig machen, werden sich endlich einmal in
Licht und Freude verwandeln.

Aber wann wird dieß geschehen? ---- Jch folge hin
und wieder den Schicksalen in diesem Leben mit meinen Be-
obachtungen bis aus Ende, und ich finde den Knoten nicht
aufgelöset. Erst der Tod endiget hier die Unterdrückung der
Tugend, und dort das stolze Glück des Lasters. ---- Dieß
widerspricht aller meiner Erwartung, die auf die Begriffe von
der Ordnung gegründet war. Können denn die unwandel-
baren Regeln der Billigkeir verstatten, daß einer Sele, die
so ist, wie sie seyn soll, die natürlichen glückseligen Folgen
ihrer innerlichen Richtigkeit, die ihr sonst allein Belohnung
genug seyn würden, durch eine boshafte Gewalt auf immer
geraubt, geschwächt, oder verbittert werden? Schickt es sich,
daß ein rechtschaffenes Gemüth, welches allein glücklich zu

seyn



entwiſchen meinem Auge ſowol als meinem Nachdenken.
Vielleicht lehren mich die langwierigſten und emſigſten Un-
terſuchungen nichts mehr, als nur kuͤnſtlicher, und nicht einmal
gluͤcklicher muthmaſſen. Hier gehet alles ins Unendliche hin-
ein; und ſo auch die Verwaltung der Welt. Alles verwirret
mich; alles macht mich ungewiß. —— Doch, was brauche
ich mehr zu wiſſen, da ich meine Schuldigkeit und die Ober-
herrſchaft einer unendlichen Liebe mit einer ungezweifelten
Ueberzeugung erkenne? Dieſe ſind es endlich doch nur allein
wehrt, daß ſich alle uͤbrige Einſichten darin endigen. Jch
will es mich daher auch nicht beſremden laſſen, wenn ich in
Umſtaͤnde gerathe, davon ich die Folgen und Entwickelungen
nicht voraus ſehe. Jch will nur meinen groſſen Zweck nie
aus dem Geſichte verlieren, und mich dann mit einer unbe-
wegten Sicherheit den Fuͤgungen desjenigen uͤberlaſſen, der
alles nach ſeinem Willen lenket, und deſſen Wille immer gut
iſt. Von ſeiner Fuͤrſicht geleitet, werde ich mitten durch die
fuͤrchterlichſten Verwirrungen dieſes Lebens gluͤcklich hindurch
gelangen, und alle die Dunkelheiten, die mich vielleicht itzo
umgeben und ſtutzig machen, werden ſich endlich einmal in
Licht und Freude verwandeln.

Aber wann wird dieß geſchehen? —— Jch folge hin
und wieder den Schickſalen in dieſem Leben mit meinen Be-
obachtungen bis aus Ende, und ich finde den Knoten nicht
aufgeloͤſet. Erſt der Tod endiget hier die Unterdruͤckung der
Tugend, und dort das ſtolze Gluͤck des Laſters. —— Dieß
widerſpricht aller meiner Erwartung, die auf die Begriffe von
der Ordnung gegruͤndet war. Koͤnnen denn die unwandel-
baren Regeln der Billigkeir verſtatten, daß einer Sele, die
ſo iſt, wie ſie ſeyn ſoll, die natuͤrlichen gluͤckſeligen Folgen
ihrer innerlichen Richtigkeit, die ihr ſonſt allein Belohnung
genug ſeyn wuͤrden, durch eine boshafte Gewalt auf immer
geraubt, geſchwaͤcht, oder verbittert werden? Schickt es ſich,
daß ein rechtſchaffenes Gemuͤth, welches allein gluͤcklich zu

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[20/0030] entwiſchen meinem Auge ſowol als meinem Nachdenken. Vielleicht lehren mich die langwierigſten und emſigſten Un- terſuchungen nichts mehr, als nur kuͤnſtlicher, und nicht einmal gluͤcklicher muthmaſſen. Hier gehet alles ins Unendliche hin- ein; und ſo auch die Verwaltung der Welt. Alles verwirret mich; alles macht mich ungewiß. —— Doch, was brauche ich mehr zu wiſſen, da ich meine Schuldigkeit und die Ober- herrſchaft einer unendlichen Liebe mit einer ungezweifelten Ueberzeugung erkenne? Dieſe ſind es endlich doch nur allein wehrt, daß ſich alle uͤbrige Einſichten darin endigen. Jch will es mich daher auch nicht beſremden laſſen, wenn ich in Umſtaͤnde gerathe, davon ich die Folgen und Entwickelungen nicht voraus ſehe. Jch will nur meinen groſſen Zweck nie aus dem Geſichte verlieren, und mich dann mit einer unbe- wegten Sicherheit den Fuͤgungen desjenigen uͤberlaſſen, der alles nach ſeinem Willen lenket, und deſſen Wille immer gut iſt. Von ſeiner Fuͤrſicht geleitet, werde ich mitten durch die fuͤrchterlichſten Verwirrungen dieſes Lebens gluͤcklich hindurch gelangen, und alle die Dunkelheiten, die mich vielleicht itzo umgeben und ſtutzig machen, werden ſich endlich einmal in Licht und Freude verwandeln. Aber wann wird dieß geſchehen? —— Jch folge hin und wieder den Schickſalen in dieſem Leben mit meinen Be- obachtungen bis aus Ende, und ich finde den Knoten nicht aufgeloͤſet. Erſt der Tod endiget hier die Unterdruͤckung der Tugend, und dort das ſtolze Gluͤck des Laſters. —— Dieß widerſpricht aller meiner Erwartung, die auf die Begriffe von der Ordnung gegruͤndet war. Koͤnnen denn die unwandel- baren Regeln der Billigkeir verſtatten, daß einer Sele, die ſo iſt, wie ſie ſeyn ſoll, die natuͤrlichen gluͤckſeligen Folgen ihrer innerlichen Richtigkeit, die ihr ſonſt allein Belohnung genug ſeyn wuͤrden, durch eine boshafte Gewalt auf immer geraubt, geſchwaͤcht, oder verbittert werden? Schickt es ſich, daß ein rechtſchaffenes Gemuͤth, welches allein gluͤcklich zu ſeyn

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Zitationshilfe: [Spalding, Johann Joachim]: Betrachtung über die Bestimmung des Menschen. 3. Aufl. Berlin, 1749, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spalding_bestimmung_1749/30>, abgerufen am 26.04.2024.