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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

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auch Menschen seyn, und sich also bürgerlich einige
Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der
Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im
Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht und
führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiter¬
haufen. Einige muthige vernünftige Männer baten
den Erzbischof sein Ansehn zu interponieren, damit
die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Ener¬
gie des Glaubens weigerte sich standhaft gegen die Zu¬
muthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen
wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit le¬
bendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause
zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohl¬
gefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch
Humanität.

Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher
Weg; und so wie man Florenz näher kommt wird
die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von
Monte Cassiano, dem letzten Ort vor Florenz, ist die
schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die
Hauptstadt. Was Leopold für Toskana gethan hat,
wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche
fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in
Rom. Der allgemeine grosse Wohlstand, der durch
die östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt
worden war, wird indess nicht sogleich vertilgt. Hier
sind Segen und Fleiss zusammen. Der neue König
wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht exi¬
stierend an: bloss der römische Hof gewinnt durch
seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der
Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn,

auch Menschen seyn, und sich also bürgerlich einige
Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der
Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im
Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht und
führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiter¬
haufen. Einige muthige vernünftige Männer baten
den Erzbischof sein Ansehn zu interponieren, damit
die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Ener¬
gie des Glaubens weigerte sich standhaft gegen die Zu¬
muthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen
wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit le¬
bendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause
zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohl¬
gefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch
Humanität.

Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher
Weg; und so wie man Florenz näher kommt wird
die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von
Monte Cassiano, dem letzten Ort vor Florenz, ist die
schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die
Hauptstadt. Was Leopold für Toskana gethan hat,
wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche
fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in
Rom. Der allgemeine groſse Wohlstand, der durch
die östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt
worden war, wird indeſs nicht sogleich vertilgt. Hier
sind Segen und Fleiſs zusammen. Der neue König
wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht exi¬
stierend an: bloſs der römische Hof gewinnt durch
seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der
Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn,

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[387 /0415] auch Menschen seyn, und sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht und führte dreyzehn der Elenden lebendig zum Scheiter¬ haufen. Einige muthige vernünftige Männer baten den Erzbischof sein Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Ener¬ gie des Glaubens weigerte sich standhaft gegen die Zu¬ muthungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen wurden zum frommen Schauspiel der Christenheit le¬ bendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohl¬ gefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität. Von Siena nach Florenz ist ein schöner herrlicher Weg; und so wie man Florenz näher kommt wird die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassiano, dem letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von Berg und Thal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana gethan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche fangen hier ihr Regiment eben so wieder an wie in Rom. Der allgemeine groſse Wohlstand, der durch die östreichische hier sehr liberale Regierung erzeugt worden war, wird indeſs nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen und Fleiſs zusammen. Der neue König wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht exi¬ stierend an: bloſs der römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles gethan als ein ungehorsamer Sohn,

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Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 387 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/415>, abgerufen am 26.04.2024.