nur Raphaels Logen und Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beyde sind so bekannt, dass ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Si¬ byllen haben eben so herrliche Gruppierungen und sind eben so voll Kraft und Seele.
Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang ge¬ standen und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will mir kein anderer mehr genug thun. So muss Sokrates gewesen seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da liegt. Pytha¬ goras hielt mich nicht so lange fest, als Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vor¬ zimmer die Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurück beben, wenn ich nicht an der andern Wand seinen Parnass sähe, auf welchen er als den Apoll den Kammerdie¬ ner des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die Gallier nichts anta¬ sten, sie hätten denn als Vandalen zerstören müssen:
nur Raphaels Logen und Stanzen und die Sixtinische Kapelle. Beyde sind so bekannt, daſs ich es kaum wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo in zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Si¬ byllen haben eben so herrliche Gruppierungen und sind eben so voll Kraft und Seele.
Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang ge¬ standen und mich immer wieder hingewendet. Nach diesem Sokrates will mir kein anderer mehr genug thun. So muſs Sokrates gewesen seyn, wie dieser hier ist; und so Diogenes, wie dieser da liegt. Pytha¬ goras hielt mich nicht so lange fest, als Archimedes mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und Würde dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vor¬ zimmer die Schlacht: aber ich ging immer wieder zu seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste des Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurück beben, wenn ich nicht an der andern Wand seinen Parnaſs sähe, auf welchen er als den Apoll den Kammerdie¬ ner des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat. Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben als eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo mit der Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger Vorhof des Heiligthums und vielleicht reicher als das Adyton selbst. Hier konnten die Gallier nichts anta¬ sten, sie hätten denn als Vandalen zerstören müssen:
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nur Raphaels Logen und Stanzen und die Sixtinische
Kapelle. Beyde sind so bekannt, daſs ich es kaum
wage Dir ein Wort davon zu sagen. Ein Engländer
soll jetzt das jüngste Gericht von Michel Angelo in
zwölf Blättern stechen. Das erste Blatt ist fertig, und
hat den Beyfall der Kenner. Er sollte dann fortfahren
und die ganze Kapelle nach und nach geben. Die Si¬
byllen haben eben so herrliche Gruppierungen und
sind eben so voll Kraft und Seele.
Vor der Schule Raphaels habe ich stundenlang ge¬
standen und mich immer wieder hingewendet. Nach
diesem Sokrates will mir kein anderer mehr genug
thun. So muſs Sokrates gewesen seyn, wie dieser
hier ist; und so Diogenes, wie dieser da liegt. Pytha¬
goras hielt mich nicht so lange fest, als Archimedes
mit seiner Knabengruppe. In dieser hat vielleicht
der Künstler das vollendetste Ideal von Anmuth und
Würde dargestellt. Ich sahe den Brand und im Vor¬
zimmer die Schlacht: aber ich ging immer wieder zu
seiner Schule. Ich würde vor dem erhabenen Geiste
des Künstlers voll drückender Ehrfurcht zurück beben,
wenn ich nicht an der andern Wand seinen Parnaſs
sähe, auf welchen er als den Apoll den Kammerdie¬
ner des Papstes mit der Kremoneser Geige gesetzt hat.
Aber ich möchte doch lieber etwas angebetet haben
als eine solche Vermenschlichung sehen, den Apollo
mit der Kremoneser Geige. Die Logen fangen an an
der Luftseite stark zu leiden. Sie sind ein würdiger
Vorhof des Heiligthums und vielleicht reicher als das
Adyton selbst. Hier konnten die Gallier nichts anta¬
sten, sie hätten denn als Vandalen zerstören müssen:
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Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. 379 . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/407>, abgerufen am 27.04.2024.
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