Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803.

Bild:
<< vorherige Seite

Es würde anmasslich seyn, wenn ich Dir eine grosse
Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon
jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen
kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur un¬
gefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon
wieder fertig abzusegeln.

Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, aus¬
genommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen
meiner letzten sechs Dreyer. Ich habe nicht das In¬
troduktionstalent und im Allgemeinen auch nicht viel
Lust mich so genannten grossen Männern zu nahen.
Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist
des Willkommens selten gewiss; trifft sie vielleicht sel¬
ten zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen
gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder
ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte.
Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm,
wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man
ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig.
Man erwartet oder verlangt vielleicht sogar von einem
berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönli¬
chen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen
Büchern gleich kommen oder ihn noch übertreffen;
und man bedenkt nicht, dass das Buch die Quintes¬
senz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und dass die
gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen
gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Ge¬
burtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,


Es würde anmaſslich seyn, wenn ich Dir eine groſse
Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon
jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen
kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur un¬
gefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon
wieder fertig abzusegeln.

Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, aus¬
genommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen
meiner letzten sechs Dreyer. Ich habe nicht das In¬
troduktionstalent und im Allgemeinen auch nicht viel
Lust mich so genannten groſsen Männern zu nahen.
Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist
des Willkommens selten gewiſs; trifft sie vielleicht sel¬
ten zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen
gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder
ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte.
Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm,
wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man
ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig.
Man erwartet oder verlangt vielleicht sogar von einem
berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönli¬
chen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen
Büchern gleich kommen oder ihn noch übertreffen;
und man bedenkt nicht, daſs das Buch die Quintes¬
senz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und daſs die
gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen
gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Ge¬
burtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0474" n="[446]"/>
      <div>
        <dateline> <hi rendition="#right"><hi rendition="#g">Paris</hi>.</hi> </dateline><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s würde anma&#x017F;slich seyn, wenn ich Dir eine gro&#x017F;se<lb/>
Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon<lb/>
jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen<lb/>
kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur un¬<lb/>
gefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon<lb/>
wieder fertig abzusegeln.</p><lb/>
        <p>Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, aus¬<lb/>
genommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen<lb/>
meiner letzten sechs Dreyer. Ich habe nicht das In¬<lb/>
troduktionstalent und im Allgemeinen auch nicht viel<lb/>
Lust mich so genannten gro&#x017F;sen Männern zu nahen.<lb/>
Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist<lb/>
des Willkommens selten gewi&#x017F;s; trifft sie vielleicht sel¬<lb/>
ten zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen<lb/>
gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder<lb/>
ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte.<lb/>
Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm,<lb/>
wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man<lb/>
ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig.<lb/>
Man erwartet oder verlangt vielleicht sogar von einem<lb/>
berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönli¬<lb/>
chen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen<lb/>
Büchern gleich kommen oder ihn noch übertreffen;<lb/>
und man bedenkt nicht, da&#x017F;s das Buch die Quintes¬<lb/>
senz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und da&#x017F;s die<lb/>
gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen<lb/>
gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Ge¬<lb/>
burtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[446]/0474] Paris. Es würde anmaſslich seyn, wenn ich Dir eine groſse Abhandlung über Paris schreiben wollte, da Du davon jeden Monat in allen Journalen ein Dutzend lesen kannst. Mein Aufenthalt ist zu kurz; ich bin nur un¬ gefähr vierzehn Tage hier und mache mich schon wieder fertig abzusegeln. Nach Paris kam ich ohne alle Empfehlung, aus¬ genommen ein Papierchen an einen Kaufmann wegen meiner letzten sechs Dreyer. Ich habe nicht das In¬ troduktionstalent und im Allgemeinen auch nicht viel Lust mich so genannten groſsen Männern zu nahen. Man opfert seine Zeit, raubt ihnen die ihrige und ist des Willkommens selten gewiſs; trifft sie vielleicht sel¬ ten zur schönen Stunde, und hätte mehr von ihnen gehabt, wenn man das erste beste ihrer Bücher oder ihre öffentlichen Verhandlungen vorgenommen hätte. Das ist der Fall im Allgemeinen; es wäre schlimm, wenn es nicht Ausnahmen gäbe. Mich däucht, man ist in dieser Rücksicht auch zuweilen sehr unbillig. Man erwartet oder verlangt vielleicht sogar von einem berühmten Schriftsteller, er solle in seiner persönli¬ chen Erscheinung dem Geist und dem Witz in seinen Büchern gleich kommen oder ihn noch übertreffen; und man bedenkt nicht, daſs das Buch die Quintes¬ senz seiner angestrengtesten Arbeiten ist und daſs die gesellschaftliche Unterhaltung ein sonderbares Ansehen gewinnen würde, wenn der Mann beständig so in Ge¬ burtsnoth seyn sollte. Die Zumuthung wäre grausam,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/474
Zitationshilfe: Seume, Johann Gottfried: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802. Braunschweig u. a., 1803, S. [446]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/seume_syrakus_1803/474>, abgerufen am 22.12.2024.