setzten sich, noch immer vor Todesangst zitternd, im Vorhofe nieder.
Bestrafung der Mägde.
Odysseus blickte umher, und sah keinen lebenden Feind mehr. Sie lagen hingestreckt in Menge, wie Fische, die der Fischer aus dem Netz geschüttet. Da ließ Odys¬ seus durch seinen Sohn die Schaffnerin berufen. Sie fand ihren Herrn unter den Leichen wie einen Löwen stehen, der Stiere zerrissen hat, dem der Rachen und die Brust von schwarzem Blute triefen, und dessen Auge funkelt. So stand Odysseus, an Händen und Füßen mit Blut bedeckt. Frohlockend jauchzte die Schaffnerin, denn der Anblick war groß und fürchterlich. "Freue dich, Mutter," rief ihr der Held ernsthaft entgegen, "aber jauchze nicht: kein Sterblicher soll über Erschlagene jubeln! Diese hier hat das Gericht der Götter gefället, nicht ich. Jetzt aber nenne mir die Weiber des Palasts: welche mich verachtet haben, welche treu geblieben sind." "Es sind fünfzig Dienerinnen im Hause," antwortete Euryklea, "die wir Kleiderwirken, Wollekämmen, das Hauswesen bestellen gelehrt haben. Von diesen haben sich zwölfe von euch abgewendet, und weder mir, noch Penelope gehorcht, denn dem Sohn überließ die Mutter das Regiment über die Mägde nicht. -- Nun aber laß mich meine schlummernde Herrin erwecken, o König, und ihr die Freudenbotschaft verkünden." "Wecke jene noch nicht," antwortete Odysseus, "sondern schicke mir
ſetzten ſich, noch immer vor Todesangſt zitternd, im Vorhofe nieder.
Beſtrafung der Mägde.
Odyſſeus blickte umher, und ſah keinen lebenden Feind mehr. Sie lagen hingeſtreckt in Menge, wie Fiſche, die der Fiſcher aus dem Netz geſchüttet. Da ließ Odyſ¬ ſeus durch ſeinen Sohn die Schaffnerin berufen. Sie fand ihren Herrn unter den Leichen wie einen Löwen ſtehen, der Stiere zerriſſen hat, dem der Rachen und die Bruſt von ſchwarzem Blute triefen, und deſſen Auge funkelt. So ſtand Odyſſeus, an Händen und Füßen mit Blut bedeckt. Frohlockend jauchzte die Schaffnerin, denn der Anblick war groß und fürchterlich. „Freue dich, Mutter,“ rief ihr der Held ernſthaft entgegen, „aber jauchze nicht: kein Sterblicher ſoll über Erſchlagene jubeln! Dieſe hier hat das Gericht der Götter gefället, nicht ich. Jetzt aber nenne mir die Weiber des Palaſts: welche mich verachtet haben, welche treu geblieben ſind.“ „Es ſind fünfzig Dienerinnen im Hauſe,“ antwortete Euryklea, „die wir Kleiderwirken, Wollekämmen, das Hausweſen beſtellen gelehrt haben. Von dieſen haben ſich zwölfe von euch abgewendet, und weder mir, noch Penelope gehorcht, denn dem Sohn überließ die Mutter das Regiment über die Mägde nicht. — Nun aber laß mich meine ſchlummernde Herrin erwecken, o König, und ihr die Freudenbotſchaft verkünden.“ „Wecke jene noch nicht,“ antwortete Odyſſeus, „ſondern ſchicke mir
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ſetzten ſich, noch immer vor Todesangſt zitternd, im
Vorhofe nieder.
Beſtrafung der Mägde.
Odyſſeus blickte umher, und ſah keinen lebenden
Feind mehr. Sie lagen hingeſtreckt in Menge, wie Fiſche,
die der Fiſcher aus dem Netz geſchüttet. Da ließ Odyſ¬
ſeus durch ſeinen Sohn die Schaffnerin berufen. Sie
fand ihren Herrn unter den Leichen wie einen Löwen
ſtehen, der Stiere zerriſſen hat, dem der Rachen und die
Bruſt von ſchwarzem Blute triefen, und deſſen Auge
funkelt. So ſtand Odyſſeus, an Händen und Füßen
mit Blut bedeckt. Frohlockend jauchzte die Schaffnerin,
denn der Anblick war groß und fürchterlich. „Freue dich,
Mutter,“ rief ihr der Held ernſthaft entgegen, „aber
jauchze nicht: kein Sterblicher ſoll über Erſchlagene
jubeln! Dieſe hier hat das Gericht der Götter gefället,
nicht ich. Jetzt aber nenne mir die Weiber des Palaſts:
welche mich verachtet haben, welche treu geblieben ſind.“
„Es ſind fünfzig Dienerinnen im Hauſe,“ antwortete
Euryklea, „die wir Kleiderwirken, Wollekämmen, das
Hausweſen beſtellen gelehrt haben. Von dieſen haben
ſich zwölfe von euch abgewendet, und weder mir, noch
Penelope gehorcht, denn dem Sohn überließ die Mutter
das Regiment über die Mägde nicht. — Nun aber laß
mich meine ſchlummernde Herrin erwecken, o König,
und ihr die Freudenbotſchaft verkünden.“ „Wecke jene
noch nicht,“ antwortete Odyſſeus, „ſondern ſchicke mir
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 3. Stuttgart, 1840, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen03_1840/289>, abgerufen am 21.11.2024.
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