Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

an den Meeresrand sind wir hingedrängt! Unser ganzes
Heil beruht nur auf unserem Arme!" So rief er, und
empfing jeden Feind, der mit einer Fackel sich dem Schiffe
näherte, mit einem Lanzenstich, daß bald zwölf Leichen
vor ihm den Boden deckten.


Tod des Patroklus.

Indeß um das Schiff, auf welchem Ajax stand, auf
Tod und Leben gekämpft wurde, war Patroklus, als er
das Zelt des wunden Eurypylus verlassen, zu seinem
Freunde Achilles geeilt, und als er in dessen Lagerhütte
eintrat, stürzten ihm die Thränen aus den Augen, wie
eine finstre Quelle, die ihr dunkles Wasser aus steilen
Klippen gießt. Mitleidig sah ihn der Pelide an und sprach
zu ihm: "Du weinst ja, wie ein kleines Mädchen, Freund
Patroklus, das der Mutter nachläuft und nimm mich
schreit, und sich lang an ihr Kleid anklammert, bis die
Mutter es aufhebt! Bringst du meinen Myrmidonen,
mir oder dir selbst schlimme Botschaft aus Phthia? Ich
weiß doch, dein Vater Menötius lebt, mein Vater Peleus
lebt! Oder beklagst du vielleicht das Volk von Argos,
daß es so jämmerlich zu Grunde geht, zum Lohn seines
eigenen Frevels? Rede nur immer ehrlich heraus und
laß mich Alles wissen!"

Schwer seufzte bei dieser Frage Patroklus auf, und
sprach endlich: "Zürne mir nicht, erhabenster Held! Aller¬
dings lastet der Gram der Griechen schwer auf meiner
Seele! Alle Tapfersten liegen von Wurf oder Stoß ver¬

an den Meeresrand ſind wir hingedrängt! Unſer ganzes
Heil beruht nur auf unſerem Arme!“ So rief er, und
empfing jeden Feind, der mit einer Fackel ſich dem Schiffe
näherte, mit einem Lanzenſtich, daß bald zwölf Leichen
vor ihm den Boden deckten.


Tod des Patroklus.

Indeß um das Schiff, auf welchem Ajax ſtand, auf
Tod und Leben gekämpft wurde, war Patroklus, als er
das Zelt des wunden Eurypylus verlaſſen, zu ſeinem
Freunde Achilles geeilt, und als er in deſſen Lagerhütte
eintrat, ſtürzten ihm die Thränen aus den Augen, wie
eine finſtre Quelle, die ihr dunkles Waſſer aus ſteilen
Klippen gießt. Mitleidig ſah ihn der Pelide an und ſprach
zu ihm: „Du weinſt ja, wie ein kleines Mädchen, Freund
Patroklus, das der Mutter nachläuft und nimm mich
ſchreit, und ſich lang an ihr Kleid anklammert, bis die
Mutter es aufhebt! Bringſt du meinen Myrmidonen,
mir oder dir ſelbſt ſchlimme Botſchaft aus Phthia? Ich
weiß doch, dein Vater Menötius lebt, mein Vater Peleus
lebt! Oder beklagſt du vielleicht das Volk von Argos,
daß es ſo jämmerlich zu Grunde geht, zum Lohn ſeines
eigenen Frevels? Rede nur immer ehrlich heraus und
laß mich Alles wiſſen!“

Schwer ſeufzte bei dieſer Frage Patroklus auf, und
ſprach endlich: „Zürne mir nicht, erhabenſter Held! Aller¬
dings laſtet der Gram der Griechen ſchwer auf meiner
Seele! Alle Tapferſten liegen von Wurf oder Stoß ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0237" n="215"/>
an den Meeresrand &#x017F;ind wir hingedrängt! Un&#x017F;er ganzes<lb/>
Heil beruht nur auf un&#x017F;erem Arme!&#x201C; So rief er, und<lb/>
empfing jeden Feind, der mit einer Fackel &#x017F;ich dem Schiffe<lb/>
näherte, mit einem Lanzen&#x017F;tich, daß bald zwölf Leichen<lb/>
vor ihm den Boden deckten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Tod des Patroklus.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Indeß um das Schiff, auf welchem Ajax &#x017F;tand, auf<lb/>
Tod und Leben gekämpft wurde, war Patroklus, als er<lb/>
das Zelt des wunden Eurypylus verla&#x017F;&#x017F;en, zu &#x017F;einem<lb/>
Freunde Achilles geeilt, und als er in de&#x017F;&#x017F;en Lagerhütte<lb/>
eintrat, &#x017F;türzten ihm die Thränen aus den Augen, wie<lb/>
eine fin&#x017F;tre Quelle, die ihr dunkles Wa&#x017F;&#x017F;er aus &#x017F;teilen<lb/>
Klippen gießt. Mitleidig &#x017F;ah ihn der Pelide an und &#x017F;prach<lb/>
zu ihm: &#x201E;Du wein&#x017F;t ja, wie ein kleines Mädchen, Freund<lb/>
Patroklus, das der Mutter nachläuft und <hi rendition="#g">nimm mich</hi><lb/>
&#x017F;chreit, und &#x017F;ich lang an ihr Kleid anklammert, bis die<lb/>
Mutter es aufhebt! Bring&#x017F;t du meinen Myrmidonen,<lb/>
mir oder dir &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;chlimme Bot&#x017F;chaft aus Phthia? Ich<lb/>
weiß doch, dein Vater Menötius lebt, mein Vater Peleus<lb/>
lebt! Oder beklag&#x017F;t du vielleicht das Volk von Argos,<lb/>
daß es &#x017F;o jämmerlich zu Grunde geht, zum Lohn &#x017F;eines<lb/>
eigenen Frevels? Rede nur immer ehrlich heraus und<lb/>
laß mich Alles wi&#x017F;&#x017F;en!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Schwer &#x017F;eufzte bei die&#x017F;er Frage Patroklus auf, und<lb/>
&#x017F;prach endlich: &#x201E;Zürne mir nicht, erhaben&#x017F;ter Held! Aller¬<lb/>
dings la&#x017F;tet der Gram der Griechen &#x017F;chwer auf meiner<lb/>
Seele! Alle Tapfer&#x017F;ten liegen von Wurf oder Stoß ver¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[215/0237] an den Meeresrand ſind wir hingedrängt! Unſer ganzes Heil beruht nur auf unſerem Arme!“ So rief er, und empfing jeden Feind, der mit einer Fackel ſich dem Schiffe näherte, mit einem Lanzenſtich, daß bald zwölf Leichen vor ihm den Boden deckten. Tod des Patroklus. Indeß um das Schiff, auf welchem Ajax ſtand, auf Tod und Leben gekämpft wurde, war Patroklus, als er das Zelt des wunden Eurypylus verlaſſen, zu ſeinem Freunde Achilles geeilt, und als er in deſſen Lagerhütte eintrat, ſtürzten ihm die Thränen aus den Augen, wie eine finſtre Quelle, die ihr dunkles Waſſer aus ſteilen Klippen gießt. Mitleidig ſah ihn der Pelide an und ſprach zu ihm: „Du weinſt ja, wie ein kleines Mädchen, Freund Patroklus, das der Mutter nachläuft und nimm mich ſchreit, und ſich lang an ihr Kleid anklammert, bis die Mutter es aufhebt! Bringſt du meinen Myrmidonen, mir oder dir ſelbſt ſchlimme Botſchaft aus Phthia? Ich weiß doch, dein Vater Menötius lebt, mein Vater Peleus lebt! Oder beklagſt du vielleicht das Volk von Argos, daß es ſo jämmerlich zu Grunde geht, zum Lohn ſeines eigenen Frevels? Rede nur immer ehrlich heraus und laß mich Alles wiſſen!“ Schwer ſeufzte bei dieſer Frage Patroklus auf, und ſprach endlich: „Zürne mir nicht, erhabenſter Held! Aller¬ dings laſtet der Gram der Griechen ſchwer auf meiner Seele! Alle Tapferſten liegen von Wurf oder Stoß ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/237
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/237>, abgerufen am 19.12.2024.