Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Rettungsschlacht.

Bewunderungsvoll blickten der scheidenden Jungfrau
König und Bürger Athens, voll Wehmuth und Schmerz
die Herakliden und Jolaus nach. Aber das Schicksal
erlaubte beiden Theilen nicht, ihren Gedanken und Em¬
pfindungen nachzuhängen. Denn kaum war Makaria ver¬
schwunden, als ein Bote mit freudiger Miene und lautem
Rufe dem Altare zugeraunt kam. "Seyd gegrüßt, ihr
lieben Söhne!" rief er, "sagt mir, wo ist der Greis
Jolaus; ich habe ihm Freudenbotschaft zu bringen!" Jo¬
laus erhub sich vom Altare, aber er konnte den tiefen
Schmerz nicht mit einemmal aus den Zügen verbannen,
so daß der Bote selbst ihn vor allen Dingen nach der
Ursache seiner Traurigkeit fragen mußte. "Ein häusli¬
cher Kummer bedrückt mich," erwiederte der alte Held,
"forsche nicht weiter, sage mir lieber, was dein fröhlicher
Blick Gutes bringt!" -- "Kennst du mich denn nicht mehr,"
sprach jener, "den alten Diener des Hyllus, der ein Sohn
ist des Herkules und der Deianira? Du weißst, daß mein
Herr sich auf der Flucht von euch getrennt hat, um Bun¬
desgenossen zu werben. Nun ist er zur guten Stunde
mit einem mächtigen Heere gekommen, und steht dem Kö¬
nige Eurystheus gerade gegenüber gelagert." Eine freu¬
dige Bewegung durchlief die Schaar der Flüchtlinge, die
den Altar umringt hielten und theilte sich auch den Bür¬
gern mit. Die greise Alkmene selbst lockte diese frohe
Botschaft aus den Frauengemächern des Pallastes hervor,
und der alte Jolaus, auf keine Widerrede achtend, ließ
sich Streitwaffen bringen, und schnallte sich den Harnisch

Die Rettungsſchlacht.

Bewunderungsvoll blickten der ſcheidenden Jungfrau
König und Bürger Athens, voll Wehmuth und Schmerz
die Herakliden und Jolaus nach. Aber das Schickſal
erlaubte beiden Theilen nicht, ihren Gedanken und Em¬
pfindungen nachzuhängen. Denn kaum war Makaria ver¬
ſchwunden, als ein Bote mit freudiger Miene und lautem
Rufe dem Altare zugeraunt kam. „Seyd gegrüßt, ihr
lieben Söhne!“ rief er, „ſagt mir, wo iſt der Greis
Jolaus; ich habe ihm Freudenbotſchaft zu bringen!“ Jo¬
laus erhub ſich vom Altare, aber er konnte den tiefen
Schmerz nicht mit einemmal aus den Zügen verbannen,
ſo daß der Bote ſelbſt ihn vor allen Dingen nach der
Urſache ſeiner Traurigkeit fragen mußte. „Ein häusli¬
cher Kummer bedrückt mich,“ erwiederte der alte Held,
„forſche nicht weiter, ſage mir lieber, was dein fröhlicher
Blick Gutes bringt!“ — „Kennſt du mich denn nicht mehr,“
ſprach jener, „den alten Diener des Hyllus, der ein Sohn
iſt des Herkules und der Deïanira? Du weißſt, daß mein
Herr ſich auf der Flucht von euch getrennt hat, um Bun¬
desgenoſſen zu werben. Nun iſt er zur guten Stunde
mit einem mächtigen Heere gekommen, und ſteht dem Kö¬
nige Euryſtheus gerade gegenüber gelagert.“ Eine freu¬
dige Bewegung durchlief die Schaar der Flüchtlinge, die
den Altar umringt hielten und theilte ſich auch den Bür¬
gern mit. Die greiſe Alkmene ſelbſt lockte dieſe frohe
Botſchaft aus den Frauengemächern des Pallaſtes hervor,
und der alte Jolaus, auf keine Widerrede achtend, ließ
ſich Streitwaffen bringen, und ſchnallte ſich den Harniſch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0421" n="395"/>
          </div>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b #g">Die Rettungs&#x017F;chlacht.</hi><lb/>
            </head>
            <p>Bewunderungsvoll blickten der &#x017F;cheidenden Jungfrau<lb/>
König und Bürger Athens, voll Wehmuth und Schmerz<lb/>
die Herakliden und Jolaus nach. Aber das Schick&#x017F;al<lb/>
erlaubte beiden Theilen nicht, ihren Gedanken und Em¬<lb/>
pfindungen nachzuhängen. Denn kaum war Makaria ver¬<lb/>
&#x017F;chwunden, als ein Bote mit freudiger Miene und lautem<lb/>
Rufe dem Altare zugeraunt kam. &#x201E;Seyd gegrüßt, ihr<lb/>
lieben Söhne!&#x201C; rief er, &#x201E;&#x017F;agt mir, wo i&#x017F;t der Greis<lb/>
Jolaus; ich habe ihm Freudenbot&#x017F;chaft zu bringen!&#x201C; Jo¬<lb/>
laus erhub &#x017F;ich vom Altare, aber er konnte den tiefen<lb/>
Schmerz nicht mit einemmal aus den Zügen verbannen,<lb/>
&#x017F;o daß der Bote &#x017F;elb&#x017F;t ihn vor allen Dingen nach der<lb/>
Ur&#x017F;ache &#x017F;einer Traurigkeit fragen mußte. &#x201E;Ein häusli¬<lb/>
cher Kummer bedrückt mich,&#x201C; erwiederte der alte Held,<lb/>
&#x201E;for&#x017F;che nicht weiter, &#x017F;age mir lieber, was dein fröhlicher<lb/>
Blick Gutes bringt!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Kenn&#x017F;t du mich denn nicht mehr,&#x201C;<lb/>
&#x017F;prach jener, &#x201E;den alten Diener des Hyllus, der ein Sohn<lb/>
i&#x017F;t des Herkules und der De<hi rendition="#aq">ï</hi>anira? Du weiß&#x017F;t, daß mein<lb/>
Herr &#x017F;ich auf der Flucht von euch getrennt hat, um Bun¬<lb/>
desgeno&#x017F;&#x017F;en zu werben. Nun i&#x017F;t er zur guten Stunde<lb/>
mit einem mächtigen Heere gekommen, und &#x017F;teht dem Kö¬<lb/>
nige Eury&#x017F;theus gerade gegenüber gelagert.&#x201C; Eine freu¬<lb/>
dige Bewegung durchlief die Schaar der Flüchtlinge, die<lb/>
den Altar umringt hielten und theilte &#x017F;ich auch den Bür¬<lb/>
gern mit. Die grei&#x017F;e Alkmene &#x017F;elb&#x017F;t lockte die&#x017F;e frohe<lb/>
Bot&#x017F;chaft aus den Frauengemächern des Palla&#x017F;tes hervor,<lb/>
und der alte Jolaus, auf keine Widerrede achtend, ließ<lb/>
&#x017F;ich Streitwaffen bringen, und &#x017F;chnallte &#x017F;ich den Harni&#x017F;ch<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[395/0421] Die Rettungsſchlacht. Bewunderungsvoll blickten der ſcheidenden Jungfrau König und Bürger Athens, voll Wehmuth und Schmerz die Herakliden und Jolaus nach. Aber das Schickſal erlaubte beiden Theilen nicht, ihren Gedanken und Em¬ pfindungen nachzuhängen. Denn kaum war Makaria ver¬ ſchwunden, als ein Bote mit freudiger Miene und lautem Rufe dem Altare zugeraunt kam. „Seyd gegrüßt, ihr lieben Söhne!“ rief er, „ſagt mir, wo iſt der Greis Jolaus; ich habe ihm Freudenbotſchaft zu bringen!“ Jo¬ laus erhub ſich vom Altare, aber er konnte den tiefen Schmerz nicht mit einemmal aus den Zügen verbannen, ſo daß der Bote ſelbſt ihn vor allen Dingen nach der Urſache ſeiner Traurigkeit fragen mußte. „Ein häusli¬ cher Kummer bedrückt mich,“ erwiederte der alte Held, „forſche nicht weiter, ſage mir lieber, was dein fröhlicher Blick Gutes bringt!“ — „Kennſt du mich denn nicht mehr,“ ſprach jener, „den alten Diener des Hyllus, der ein Sohn iſt des Herkules und der Deïanira? Du weißſt, daß mein Herr ſich auf der Flucht von euch getrennt hat, um Bun¬ desgenoſſen zu werben. Nun iſt er zur guten Stunde mit einem mächtigen Heere gekommen, und ſteht dem Kö¬ nige Euryſtheus gerade gegenüber gelagert.“ Eine freu¬ dige Bewegung durchlief die Schaar der Flüchtlinge, die den Altar umringt hielten und theilte ſich auch den Bür¬ gern mit. Die greiſe Alkmene ſelbſt lockte dieſe frohe Botſchaft aus den Frauengemächern des Pallaſtes hervor, und der alte Jolaus, auf keine Widerrede achtend, ließ ſich Streitwaffen bringen, und ſchnallte ſich den Harniſch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/421
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 395. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/421>, abgerufen am 17.11.2024.