Sisyphus, der Sohn des Aeolus, der listigste aller Sterblichen, baute und beherrschte die herrliche Stadt Korinth auf der schmalen Erdzunge zwischen zwei Mee¬ ren und zwei Ländern. Für allerlei Betrug traf ihn in der Unterwelt die Strafe, daß er einen schweren Mar¬ morstein, mit Händen und Füßen angestemmt, von der Ebene eine Anhöhe hinaufwälzen mußte. Wenn er aber schon glaubte, ihn auf den Gipfel gedreht zu haben, so wandte sich die Last um und der tückische Stein rollte wieder in die Tiefe hinunter. So mußte der gepeinigte Verbrecher von neuem und immer von neuem wieder das Felsstück emporwälzen, daß der Angstschweiß von seinen Gliedern floß.
Sein Enkel war Bellerophontes, der Sohn des Ko¬ rintherköniges Glaukus. Wegen eines unvorsätzlichen Mordes flüchtig wandte sich der Jüngling nach Tiryns, wo der Konig Prötus regierte. Von diesem wurde er gütig aufgenommen und von seinem Morde gereinigt. Aber Bellerophontes hatte von den Unsterblichen schöne Gestalt und männliche Tugenden empfangen. Deßwegen entbrannte die Gemahlin des Königes Prötus, Antea, in unreiner Liebe zu ihm, und wollte ihn zum Bösen ver¬ führen. Aber der edelgesinnte Bellerophontes gehorchte
Bellerophontes.
Siſyphus, der Sohn des Aeolus, der liſtigſte aller Sterblichen, baute und beherrſchte die herrliche Stadt Korinth auf der ſchmalen Erdzunge zwiſchen zwei Mee¬ ren und zwei Ländern. Für allerlei Betrug traf ihn in der Unterwelt die Strafe, daß er einen ſchweren Mar¬ morſtein, mit Händen und Füßen angeſtemmt, von der Ebene eine Anhöhe hinaufwälzen mußte. Wenn er aber ſchon glaubte, ihn auf den Gipfel gedreht zu haben, ſo wandte ſich die Laſt um und der tückiſche Stein rollte wieder in die Tiefe hinunter. So mußte der gepeinigte Verbrecher von neuem und immer von neuem wieder das Felsſtück emporwälzen, daß der Angſtſchweiß von ſeinen Gliedern floß.
Sein Enkel war Bellerophontes, der Sohn des Ko¬ rintherköniges Glaukus. Wegen eines unvorſätzlichen Mordes flüchtig wandte ſich der Jüngling nach Tiryns, wo der Konig Prötus regierte. Von dieſem wurde er gütig aufgenommen und von ſeinem Morde gereinigt. Aber Bellerophontes hatte von den Unſterblichen ſchöne Geſtalt und männliche Tugenden empfangen. Deßwegen entbrannte die Gemahlin des Königes Prötus, Antéa, in unreiner Liebe zu ihm, und wollte ihn zum Böſen ver¬ führen. Aber der edelgeſinnte Bellerophontes gehorchte
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0297"n="[271]"/><divn="2"><head><hirendition="#b #g">Bellerophontes.</hi><lb/></head><p>Siſyphus, der Sohn des Aeolus, der liſtigſte aller<lb/>
Sterblichen, baute und beherrſchte die herrliche Stadt<lb/>
Korinth auf der ſchmalen Erdzunge zwiſchen zwei Mee¬<lb/>
ren und zwei Ländern. Für allerlei Betrug traf ihn in<lb/>
der Unterwelt die Strafe, daß er einen ſchweren Mar¬<lb/>
morſtein, mit Händen und Füßen angeſtemmt, von der<lb/>
Ebene eine Anhöhe hinaufwälzen mußte. Wenn er aber<lb/>ſchon glaubte, ihn auf den Gipfel gedreht zu haben, ſo<lb/>
wandte ſich die Laſt um und der tückiſche Stein<lb/>
rollte wieder in die Tiefe hinunter. So mußte der<lb/>
gepeinigte Verbrecher von neuem und immer von neuem<lb/>
wieder das Felsſtück emporwälzen, daß der Angſtſchweiß<lb/>
von ſeinen Gliedern floß.</p><lb/><p>Sein Enkel war Bellerophontes, der Sohn des Ko¬<lb/>
rintherköniges Glaukus. Wegen eines unvorſätzlichen<lb/>
Mordes flüchtig wandte ſich der Jüngling nach Tiryns,<lb/>
wo der Konig Prötus regierte. Von dieſem wurde er<lb/>
gütig aufgenommen und von ſeinem Morde gereinigt.<lb/>
Aber Bellerophontes hatte von den Unſterblichen ſchöne<lb/>
Geſtalt und männliche Tugenden empfangen. Deßwegen<lb/>
entbrannte die Gemahlin des Königes Prötus, Ant<hirendition="#aq">é</hi>a, in<lb/>
unreiner Liebe zu ihm, und wollte ihn zum Böſen ver¬<lb/>
führen. Aber der edelgeſinnte Bellerophontes gehorchte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[271]/0297]
Bellerophontes.
Siſyphus, der Sohn des Aeolus, der liſtigſte aller
Sterblichen, baute und beherrſchte die herrliche Stadt
Korinth auf der ſchmalen Erdzunge zwiſchen zwei Mee¬
ren und zwei Ländern. Für allerlei Betrug traf ihn in
der Unterwelt die Strafe, daß er einen ſchweren Mar¬
morſtein, mit Händen und Füßen angeſtemmt, von der
Ebene eine Anhöhe hinaufwälzen mußte. Wenn er aber
ſchon glaubte, ihn auf den Gipfel gedreht zu haben, ſo
wandte ſich die Laſt um und der tückiſche Stein
rollte wieder in die Tiefe hinunter. So mußte der
gepeinigte Verbrecher von neuem und immer von neuem
wieder das Felsſtück emporwälzen, daß der Angſtſchweiß
von ſeinen Gliedern floß.
Sein Enkel war Bellerophontes, der Sohn des Ko¬
rintherköniges Glaukus. Wegen eines unvorſätzlichen
Mordes flüchtig wandte ſich der Jüngling nach Tiryns,
wo der Konig Prötus regierte. Von dieſem wurde er
gütig aufgenommen und von ſeinem Morde gereinigt.
Aber Bellerophontes hatte von den Unſterblichen ſchöne
Geſtalt und männliche Tugenden empfangen. Deßwegen
entbrannte die Gemahlin des Königes Prötus, Antéa, in
unreiner Liebe zu ihm, und wollte ihn zum Böſen ver¬
führen. Aber der edelgeſinnte Bellerophontes gehorchte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. [271]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/297>, abgerufen am 17.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.