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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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keit und blos von fremder Hilfe abhängig, in der Welt zu sein!

Ich wollte antworten; da brachte Paul den Kaffee, welchen mir Gretchen einschenkte. Während ich zerstreut dastand und meine Tasse schlürfte, war sie an das Fortepiano getreten und machte stehend ein paar Gänge auf den Tasten. Wie? rief ich; Sie sind musikalisch? -- Ein wenig, war ihre Antwort; meine Tante liebte die Musik und gab mir selbst Unterricht darin. -- O, spielen Sie doch dem Herrn etwas vor, sagte Paul, ihr einen Stuhl setzend; er hat das gar zu gern. -- Sie spielte einige bekannte Melodieen mit vieler Präcision und Leichtigkeit. Ich schlug eine Sonate auf, die eben auf dem Pulte lag. -- Das ist wohl etwas schwer? sagte sie, lächelnd zu mir aufsehend, aber ich will versuchen, wie weit ich darin fortkomme. -- Sie machte, vorspielend, einige Passagen, fing dann die Sonate zuerst etwas unsicher an, kam aber bald in den Gang und überraschte mich endlich durch die Richtigkeit und den Ausdruck ihres Spieles, das besonders am Ende einige recht glänzende Momente hatte. Bravissimo! rief Paul. -- Wirklich, sehr brav! sagte ich; aber Sie kannten die Sonate schon früher? -- Nein, gab sie zur Antwort; von neuer Musik bekamen wir selten etwas zu sehen. Meine Tante hielt mich vorzüglich an, die Werke von Bach, Scarlatti und Mozart zu spielen, die sie noch von ihrer Jugend her besaß. -- Nun, Gretchen, sagte ich, mit diesem Talent schon allein sind Sie hier nicht

keit und blos von fremder Hilfe abhängig, in der Welt zu sein!

Ich wollte antworten; da brachte Paul den Kaffee, welchen mir Gretchen einschenkte. Während ich zerstreut dastand und meine Tasse schlürfte, war sie an das Fortepiano getreten und machte stehend ein paar Gänge auf den Tasten. Wie? rief ich; Sie sind musikalisch? — Ein wenig, war ihre Antwort; meine Tante liebte die Musik und gab mir selbst Unterricht darin. — O, spielen Sie doch dem Herrn etwas vor, sagte Paul, ihr einen Stuhl setzend; er hat das gar zu gern. — Sie spielte einige bekannte Melodieen mit vieler Präcision und Leichtigkeit. Ich schlug eine Sonate auf, die eben auf dem Pulte lag. — Das ist wohl etwas schwer? sagte sie, lächelnd zu mir aufsehend, aber ich will versuchen, wie weit ich darin fortkomme. — Sie machte, vorspielend, einige Passagen, fing dann die Sonate zuerst etwas unsicher an, kam aber bald in den Gang und überraschte mich endlich durch die Richtigkeit und den Ausdruck ihres Spieles, das besonders am Ende einige recht glänzende Momente hatte. Bravissimo! rief Paul. — Wirklich, sehr brav! sagte ich; aber Sie kannten die Sonate schon früher? — Nein, gab sie zur Antwort; von neuer Musik bekamen wir selten etwas zu sehen. Meine Tante hielt mich vorzüglich an, die Werke von Bach, Scarlatti und Mozart zu spielen, die sie noch von ihrer Jugend her besaß. — Nun, Gretchen, sagte ich, mit diesem Talent schon allein sind Sie hier nicht

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[0037] keit und blos von fremder Hilfe abhängig, in der Welt zu sein! Ich wollte antworten; da brachte Paul den Kaffee, welchen mir Gretchen einschenkte. Während ich zerstreut dastand und meine Tasse schlürfte, war sie an das Fortepiano getreten und machte stehend ein paar Gänge auf den Tasten. Wie? rief ich; Sie sind musikalisch? — Ein wenig, war ihre Antwort; meine Tante liebte die Musik und gab mir selbst Unterricht darin. — O, spielen Sie doch dem Herrn etwas vor, sagte Paul, ihr einen Stuhl setzend; er hat das gar zu gern. — Sie spielte einige bekannte Melodieen mit vieler Präcision und Leichtigkeit. Ich schlug eine Sonate auf, die eben auf dem Pulte lag. — Das ist wohl etwas schwer? sagte sie, lächelnd zu mir aufsehend, aber ich will versuchen, wie weit ich darin fortkomme. — Sie machte, vorspielend, einige Passagen, fing dann die Sonate zuerst etwas unsicher an, kam aber bald in den Gang und überraschte mich endlich durch die Richtigkeit und den Ausdruck ihres Spieles, das besonders am Ende einige recht glänzende Momente hatte. Bravissimo! rief Paul. — Wirklich, sehr brav! sagte ich; aber Sie kannten die Sonate schon früher? — Nein, gab sie zur Antwort; von neuer Musik bekamen wir selten etwas zu sehen. Meine Tante hielt mich vorzüglich an, die Werke von Bach, Scarlatti und Mozart zu spielen, die sie noch von ihrer Jugend her besaß. — Nun, Gretchen, sagte ich, mit diesem Talent schon allein sind Sie hier nicht

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/37>, abgerufen am 27.04.2024.