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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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gegangen sei, ihren Besuch bei Frau von Reichard zu machen. Es verdroß mich fast, daß sie weggegangen war, ohne mir zuvor guten Morgen zu sagen; aber ich besann mich, daß dies jetzt ohnehin aufhören müsse. -- Paul störte hier und da in meinem Zimmer herum und konnte nicht fortkommen. Das ist seine Art so, wenn er etwas auf dem Herzen hat.

Es ist doch Schade, fing er endlich an, daß so ein liebes, gutes Mädchen bei wildfremden Leuten dienen soll. Man dient meist bei fremden Leuten, sagte ich; es ist ein anständiges Haus und ein ziemlich leichter Dienst, wie ich von Gretchen selbst weiß; sie wird mehr zur Gesellschaft einer erwachsenen Tochter als zur Bedienung in dem Hause sein. -- Wer weiß, fuhr Paul fort, was für eine widerwärtige Zierpuppe das ist! Sonst freilich könnte sie von Gretchen lernen, wie sich ein junges Mädchen zu betragen habe, um Gott und aller Welt angenehm zu sein. -- Dir wenigstens, Paul, erwiderte ich lächelnd, ist das Mädchen wirklich sehr angenehm, wie es scheint. -- Ei, das gesteh' ich! war seine Antwort. Und Ihnen, Herr, ist sie's auch; das merkt man wohl. An Ihrer Stelle ließe ich das liebe Kind gar nicht mehr aus dem Hause. -- Aber was willst du denn, Paul, daß ich mit dem Mädchen anfange? Ich werde doch in meinen Jahren nicht noch eine Gouvernante für mich aufnehmen sollen? -- Es wäre vielleicht so übel nicht, erwiderte er lachend; so eine hübsche, junge Gouvernante käme mit uns alten Knaben

gegangen sei, ihren Besuch bei Frau von Reichard zu machen. Es verdroß mich fast, daß sie weggegangen war, ohne mir zuvor guten Morgen zu sagen; aber ich besann mich, daß dies jetzt ohnehin aufhören müsse. — Paul störte hier und da in meinem Zimmer herum und konnte nicht fortkommen. Das ist seine Art so, wenn er etwas auf dem Herzen hat.

Es ist doch Schade, fing er endlich an, daß so ein liebes, gutes Mädchen bei wildfremden Leuten dienen soll. Man dient meist bei fremden Leuten, sagte ich; es ist ein anständiges Haus und ein ziemlich leichter Dienst, wie ich von Gretchen selbst weiß; sie wird mehr zur Gesellschaft einer erwachsenen Tochter als zur Bedienung in dem Hause sein. — Wer weiß, fuhr Paul fort, was für eine widerwärtige Zierpuppe das ist! Sonst freilich könnte sie von Gretchen lernen, wie sich ein junges Mädchen zu betragen habe, um Gott und aller Welt angenehm zu sein. — Dir wenigstens, Paul, erwiderte ich lächelnd, ist das Mädchen wirklich sehr angenehm, wie es scheint. — Ei, das gesteh' ich! war seine Antwort. Und Ihnen, Herr, ist sie's auch; das merkt man wohl. An Ihrer Stelle ließe ich das liebe Kind gar nicht mehr aus dem Hause. — Aber was willst du denn, Paul, daß ich mit dem Mädchen anfange? Ich werde doch in meinen Jahren nicht noch eine Gouvernante für mich aufnehmen sollen? — Es wäre vielleicht so übel nicht, erwiderte er lachend; so eine hübsche, junge Gouvernante käme mit uns alten Knaben

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[0029] gegangen sei, ihren Besuch bei Frau von Reichard zu machen. Es verdroß mich fast, daß sie weggegangen war, ohne mir zuvor guten Morgen zu sagen; aber ich besann mich, daß dies jetzt ohnehin aufhören müsse. — Paul störte hier und da in meinem Zimmer herum und konnte nicht fortkommen. Das ist seine Art so, wenn er etwas auf dem Herzen hat. Es ist doch Schade, fing er endlich an, daß so ein liebes, gutes Mädchen bei wildfremden Leuten dienen soll. Man dient meist bei fremden Leuten, sagte ich; es ist ein anständiges Haus und ein ziemlich leichter Dienst, wie ich von Gretchen selbst weiß; sie wird mehr zur Gesellschaft einer erwachsenen Tochter als zur Bedienung in dem Hause sein. — Wer weiß, fuhr Paul fort, was für eine widerwärtige Zierpuppe das ist! Sonst freilich könnte sie von Gretchen lernen, wie sich ein junges Mädchen zu betragen habe, um Gott und aller Welt angenehm zu sein. — Dir wenigstens, Paul, erwiderte ich lächelnd, ist das Mädchen wirklich sehr angenehm, wie es scheint. — Ei, das gesteh' ich! war seine Antwort. Und Ihnen, Herr, ist sie's auch; das merkt man wohl. An Ihrer Stelle ließe ich das liebe Kind gar nicht mehr aus dem Hause. — Aber was willst du denn, Paul, daß ich mit dem Mädchen anfange? Ich werde doch in meinen Jahren nicht noch eine Gouvernante für mich aufnehmen sollen? — Es wäre vielleicht so übel nicht, erwiderte er lachend; so eine hübsche, junge Gouvernante käme mit uns alten Knaben

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/29>, abgerufen am 26.04.2024.