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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Wie viel ist die Uhr, Paul? fragte ich, indem ich aus dem Bette sprang, so leicht wie ein Fahnenjunker, der die erste Parade beziehen soll. -- Gleich sechs, Herr! sagte Paul. -- Was? rief ich. Und warum hast du mich nicht um vier Uhr geweckt, wie ich dir befahl? -- Ei, Herr, erwiderte Paul, Sie schliefen so wunderfest, daß ich Sie noch vor einer Stunde nicht wecken mochte, wo ich schon zum zweiten Male hereinkam. -- Ich glaube, du treibst deine Kurzweil mit mir, alter Träumer. -- Ich träume nicht, Herr. -- Da schläft wohl Gretchen auch noch, fuhr ich nach einer Weile fort, indem ich meine übernächtige Figur im Spiegel betrachtete. -- O, sagte Paul, die treibt sich schon seit anderthalb Stunden im Garten, im Hühnerhof und draußen im Felde herum; das Mädchen ist lauter Leben, und die Wirthschaft scheint recht ihr Element zu sein. Das wäre ein anderes Ding, Herr, als unsere alte Sibylle im Hause. -- Meinst du? sagte ich zerstreut. Aber laß das Frühstück bringen, Paul, und bitte Gretchen, dazu herauf zu kommen.

Ich hatte große Lust, mir selbst ins Gesicht zu lachen, wie ich so vor dem Spiegel da stand, -- sobald Paul aus der Thür war. Das hat ein Liebhaber von zwei und fünfzig Jahren vor einem von zwanzig voraus, sagt' ich, daß er mit Appetit essen und, wenn's glückt, seine acht oder neun Stunden schlafen kann. Ich hätte

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Wie viel ist die Uhr, Paul? fragte ich, indem ich aus dem Bette sprang, so leicht wie ein Fahnenjunker, der die erste Parade beziehen soll. — Gleich sechs, Herr! sagte Paul. — Was? rief ich. Und warum hast du mich nicht um vier Uhr geweckt, wie ich dir befahl? — Ei, Herr, erwiderte Paul, Sie schliefen so wunderfest, daß ich Sie noch vor einer Stunde nicht wecken mochte, wo ich schon zum zweiten Male hereinkam. — Ich glaube, du treibst deine Kurzweil mit mir, alter Träumer. — Ich träume nicht, Herr. — Da schläft wohl Gretchen auch noch, fuhr ich nach einer Weile fort, indem ich meine übernächtige Figur im Spiegel betrachtete. — O, sagte Paul, die treibt sich schon seit anderthalb Stunden im Garten, im Hühnerhof und draußen im Felde herum; das Mädchen ist lauter Leben, und die Wirthschaft scheint recht ihr Element zu sein. Das wäre ein anderes Ding, Herr, als unsere alte Sibylle im Hause. — Meinst du? sagte ich zerstreut. Aber laß das Frühstück bringen, Paul, und bitte Gretchen, dazu herauf zu kommen.

Ich hatte große Lust, mir selbst ins Gesicht zu lachen, wie ich so vor dem Spiegel da stand, — sobald Paul aus der Thür war. Das hat ein Liebhaber von zwei und fünfzig Jahren vor einem von zwanzig voraus, sagt' ich, daß er mit Appetit essen und, wenn's glückt, seine acht oder neun Stunden schlafen kann. Ich hätte

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-16T11:30:04Z)

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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/18>, abgerufen am 01.05.2024.