Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


unbefangner Unschuld und nach Außen gewendeter
kindlicher Neugier an der ernsten Feier im Tempel
fast gar keinen Antheil. Je länger man die ganz
einfache Komposition dieses köstlichen Bildes an-
schaut, je erfreulicher zeigt sie sich; ich möchte
sagen, daß keines den Blick so unabwendbar fesselt
als dieses. Zum Schlusse dieser Beschreibung kann
ich nur Göthe's Worte wiederholen:

"Von den Flechtbreiten auf dem verwitterten,
"zerbröckelten Ruingestein, von den Grashalmen
"die auf dem vermoderten Strohdach wachsen, bis
"zu den goldnen, juwelenreichen Bechergeschenken,
"vom Gewand zum Antliz, von der Nähe zur
"Ferne, alles ist mit gleicher Sorgfalt behandelt,
"und keine Stelle dieser Tafeln, die nicht durchs
"Vergrößerungsglas gewänne."

Herzog Karls des Kühnen Porträt auf dem
Mittelbilde bestimmt glücklicher Weise die Zeit der
Entstehung dieses unschätzbaren Kunstwerks. Un-
verkennbar ähnlich, ganz den Beinamen verdienend,
steht die jugendliche Heldengestalt in einem Alter
von fünf und zwanzig bis sieben und zwanzig Jahren,


unbefangner Unſchuld und nach Außen gewendeter
kindlicher Neugier an der ernſten Feier im Tempel
faſt gar keinen Antheil. Je länger man die ganz
einfache Kompoſition dieſes köſtlichen Bildes an-
ſchaut, je erfreulicher zeigt ſie ſich; ich möchte
ſagen, daß keines den Blick ſo unabwendbar feſſelt
als dieſes. Zum Schluſſe dieſer Beſchreibung kann
ich nur Göthe's Worte wiederholen:

„Von den Flechtbreiten auf dem verwitterten,
„zerbröckelten Ruingeſtein, von den Grashalmen
„die auf dem vermoderten Strohdach wachſen, bis
„zu den goldnen, juwelenreichen Bechergeſchenken,
„vom Gewand zum Antliz, von der Nähe zur
„Ferne, alles iſt mit gleicher Sorgfalt behandelt,
„und keine Stelle dieſer Tafeln, die nicht durchs
„Vergrößerungsglas gewänne.“

Herzog Karls des Kühnen Porträt auf dem
Mittelbilde beſtimmt glücklicher Weiſe die Zeit der
Entſtehung dieſes unſchätzbaren Kunſtwerks. Un-
verkennbar ähnlich, ganz den Beinamen verdienend,
ſteht die jugendliche Heldengeſtalt in einem Alter
von fünf und zwanzig bis ſieben und zwanzig Jahren,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="42"/><lb/>
unbefangner Un&#x017F;chuld und nach Außen gewendeter<lb/>
kindlicher Neugier an der ern&#x017F;ten Feier im Tempel<lb/>
fa&#x017F;t gar keinen Antheil. Je länger man die ganz<lb/>
einfache Kompo&#x017F;ition die&#x017F;es kö&#x017F;tlichen Bildes an-<lb/>
&#x017F;chaut, je erfreulicher zeigt &#x017F;ie &#x017F;ich; ich möchte<lb/>
&#x017F;agen, daß keines den Blick &#x017F;o unabwendbar fe&#x017F;&#x017F;elt<lb/>
als die&#x017F;es. Zum Schlu&#x017F;&#x017F;e die&#x017F;er Be&#x017F;chreibung kann<lb/>
ich nur Göthe's Worte wiederholen:</p><lb/>
        <p>
          <cit>
            <quote>&#x201E;Von den Flechtbreiten auf dem verwitterten,<lb/>
&#x201E;zerbröckelten Ruinge&#x017F;tein, von den Grashalmen<lb/>
&#x201E;die auf dem vermoderten Strohdach wach&#x017F;en, bis<lb/>
&#x201E;zu den goldnen, juwelenreichen Becherge&#x017F;chenken,<lb/>
&#x201E;vom Gewand zum Antliz, von der Nähe zur<lb/>
&#x201E;Ferne, alles i&#x017F;t mit gleicher Sorgfalt behandelt,<lb/>
&#x201E;und keine Stelle die&#x017F;er Tafeln, die nicht durchs<lb/>
&#x201E;Vergrößerungsglas gewänne.&#x201C;</quote>
          </cit>
        </p><lb/>
        <p>Herzog Karls des Kühnen Porträt auf dem<lb/>
Mittelbilde be&#x017F;timmt glücklicher Wei&#x017F;e die Zeit der<lb/>
Ent&#x017F;tehung die&#x017F;es un&#x017F;chätzbaren Kun&#x017F;twerks. Un-<lb/>
verkennbar ähnlich, ganz den Beinamen verdienend,<lb/>
&#x017F;teht die jugendliche Heldenge&#x017F;talt in einem Alter<lb/>
von fünf und zwanzig bis &#x017F;ieben und zwanzig Jahren,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0054] unbefangner Unſchuld und nach Außen gewendeter kindlicher Neugier an der ernſten Feier im Tempel faſt gar keinen Antheil. Je länger man die ganz einfache Kompoſition dieſes köſtlichen Bildes an- ſchaut, je erfreulicher zeigt ſie ſich; ich möchte ſagen, daß keines den Blick ſo unabwendbar feſſelt als dieſes. Zum Schluſſe dieſer Beſchreibung kann ich nur Göthe's Worte wiederholen: „Von den Flechtbreiten auf dem verwitterten, „zerbröckelten Ruingeſtein, von den Grashalmen „die auf dem vermoderten Strohdach wachſen, bis „zu den goldnen, juwelenreichen Bechergeſchenken, „vom Gewand zum Antliz, von der Nähe zur „Ferne, alles iſt mit gleicher Sorgfalt behandelt, „und keine Stelle dieſer Tafeln, die nicht durchs „Vergrößerungsglas gewänne.“ Herzog Karls des Kühnen Porträt auf dem Mittelbilde beſtimmt glücklicher Weiſe die Zeit der Entſtehung dieſes unſchätzbaren Kunſtwerks. Un- verkennbar ähnlich, ganz den Beinamen verdienend, ſteht die jugendliche Heldengeſtalt in einem Alter von fünf und zwanzig bis ſieben und zwanzig Jahren,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/54
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/54>, abgerufen am 26.04.2024.