Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

So
ret auch eine Sonnengebuhrt; auch das Bey-
wörtelein sonnicht.

"Lamech steht auf der Burg im Gespräch mit
Sonnengebohrnen etc.
"Und er fragt unruhig darnach bey den Son-
negebuhrten. e.d. Noah, 311 S. u. f.
Sonne räumt die Mittagszimmer;

d. i. es wird
Mittag.
Wie viel Begriffe liegen nicht in dieser
Redensart? Denken wir nicht erstlich an die
Sonne? dann an die Zimmer, die gegen
Mittag gelegen sind?
dann an eine Magd, die
gleichsam, als einen Auskehricht, die Sonne
aus der Stube räumet.
Aber auf ein Wort!
wird in den andern Zimmern nicht auch Mit-
tag?
Das heißt recht, den Tag mit Mulden
austragen!
Noch eines von räumen. Dieses
Wort ward mit aus, ein, weg verbunden.
Durch die Abkürzung oder Enthauptung des armen
Wortes entstehet eine bezauberte Zweydeutigkeit;
indem man nicht weis, ob die Sonne die Zim-
mer aus-
oder ein- oder weggeräumet habe.

"Als des Tages die Sonne die Mittagszim-
mer geräumet. Noah, 40 S.

Was andere, z. E. französische Schriftsteller und
Dichter, von den unsrigen auf eine sehr kenntliche
Art unterscheidet, ist die Aufmerksamkeit, die sie
anwenden, die eigentlichsten Umstände, zur Er-
läuterung und Erhöhung ihres Vorhabens, in ei-
ner Beschreibung zu wählen und abzusondern.
Die natürlichen Umstände stellen sich von sich selbst
dar; also haben sie nichts erstaunendes, nichts be-

sonders.

So
ret auch eine Sonnengebuhrt; auch das Bey-
woͤrtelein ſonnicht.

Lamech ſteht auf der Burg im Geſpraͤch mit
Sonnengebohrnen ꝛc.
“Und er fragt unruhig darnach bey den Son-
negebuhrten. e.d. Noah, 311 S. u. f.
Sonne raͤumt die Mittagszimmer;

d. i. es wird
Mittag.
Wie viel Begriffe liegen nicht in dieſer
Redensart? Denken wir nicht erſtlich an die
Sonne? dann an die Zimmer, die gegen
Mittag gelegen ſind?
dann an eine Magd, die
gleichſam, als einen Auskehricht, die Sonne
aus der Stube raͤumet.
Aber auf ein Wort!
wird in den andern Zimmern nicht auch Mit-
tag?
Das heißt recht, den Tag mit Mulden
austragen!
Noch eines von raͤumen. Dieſes
Wort ward mit aus, ein, weg verbunden.
Durch die Abkuͤrzung oder Enthauptung des armen
Wortes entſtehet eine bezauberte Zweydeutigkeit;
indem man nicht weis, ob die Sonne die Zim-
mer aus-
oder ein- oder weggeraͤumet habe.

“Als des Tages die Sonne die Mittagszim-
mer geraͤumet. Noah, 40 S.

Was andere, z. E. franzoͤſiſche Schriftſteller und
Dichter, von den unſrigen auf eine ſehr kenntliche
Art unterſcheidet, iſt die Aufmerkſamkeit, die ſie
anwenden, die eigentlichſten Umſtaͤnde, zur Er-
laͤuterung und Erhoͤhung ihres Vorhabens, in ei-
ner Beſchreibung zu waͤhlen und abzuſondern.
Die natuͤrlichen Umſtaͤnde ſtellen ſich von ſich ſelbſt
dar; alſo haben ſie nichts erſtaunendes, nichts be-

ſonders.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0422" n="396"/><fw place="top" type="header">So</fw><lb/>
ret auch eine <hi rendition="#fr">Sonnengebuhrt;</hi> auch das Bey-<lb/>
wo&#x0364;rtelein <hi rendition="#fr">&#x017F;onnicht.</hi></p><lb/>
            <cit>
              <quote>&#x201C;<hi rendition="#fr">Lamech</hi> &#x017F;teht auf der Burg im Ge&#x017F;pra&#x0364;ch mit<lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">Sonnengebohrnen &#xA75B;c.</hi></hi><lb/>
&#x201C;Und er fragt unruhig darnach bey den <hi rendition="#fr">Son-<lb/><hi rendition="#et">negebuhrten. e.d. Noah, 311 S. u. f.</hi></hi></quote>
              <bibl/>
            </cit>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>Sonne ra&#x0364;umt die Mittagszimmer;</head>
            <p>d. i. <hi rendition="#fr">es wird<lb/>
Mittag.</hi> Wie viel Begriffe liegen nicht in die&#x017F;er<lb/>
Redensart? Denken wir nicht er&#x017F;tlich an die<lb/><hi rendition="#fr">Sonne?</hi> dann an <hi rendition="#fr">die Zimmer, die gegen<lb/>
Mittag gelegen &#x017F;ind?</hi> dann an <hi rendition="#fr">eine Magd,</hi> die<lb/>
gleich&#x017F;am, als einen Auskehricht, <hi rendition="#fr">die Sonne<lb/>
aus der Stube ra&#x0364;umet.</hi> Aber auf ein Wort!<lb/>
wird in den <hi rendition="#fr">andern Zimmern</hi> nicht auch <hi rendition="#fr">Mit-<lb/>
tag?</hi> Das heißt recht, <hi rendition="#fr">den Tag mit Mulden<lb/>
austragen!</hi> Noch eines <hi rendition="#fr">von ra&#x0364;umen.</hi> Die&#x017F;es<lb/>
Wort ward mit <hi rendition="#fr">aus, ein, weg</hi> verbunden.<lb/>
Durch die Abku&#x0364;rzung oder Enthauptung des armen<lb/>
Wortes ent&#x017F;tehet eine bezauberte Zweydeutigkeit;<lb/>
indem man nicht weis, <hi rendition="#fr">ob die Sonne die Zim-<lb/>
mer aus-</hi> oder <hi rendition="#fr">ein-</hi> oder <hi rendition="#fr">weggera&#x0364;umet</hi> habe.</p><lb/>
            <cit>
              <quote>&#x201C;Als des Tages die <hi rendition="#fr">Sonne die Mittagszim-<lb/><hi rendition="#et">mer gera&#x0364;umet. Noah, 40 S.</hi></hi></quote>
              <bibl/>
            </cit><lb/>
            <p>Was andere, z. E. <hi rendition="#fr">franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che</hi> Schrift&#x017F;teller und<lb/>
Dichter, von den un&#x017F;rigen auf eine &#x017F;ehr kenntliche<lb/>
Art unter&#x017F;cheidet, i&#x017F;t die Aufmerk&#x017F;amkeit, die &#x017F;ie<lb/>
anwenden, die eigentlich&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nde, zur Er-<lb/>
la&#x0364;uterung und Erho&#x0364;hung ihres Vorhabens, in ei-<lb/>
ner Be&#x017F;chreibung zu wa&#x0364;hlen und abzu&#x017F;ondern.<lb/>
Die natu&#x0364;rlichen Um&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;tellen &#x017F;ich von &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
dar; al&#x017F;o haben &#x017F;ie nichts er&#x017F;taunendes, nichts be-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;onders.</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0422] So ret auch eine Sonnengebuhrt; auch das Bey- woͤrtelein ſonnicht. “Lamech ſteht auf der Burg im Geſpraͤch mit Sonnengebohrnen ꝛc. “Und er fragt unruhig darnach bey den Son- negebuhrten. e.d. Noah, 311 S. u. f. Sonne raͤumt die Mittagszimmer; d. i. es wird Mittag. Wie viel Begriffe liegen nicht in dieſer Redensart? Denken wir nicht erſtlich an die Sonne? dann an die Zimmer, die gegen Mittag gelegen ſind? dann an eine Magd, die gleichſam, als einen Auskehricht, die Sonne aus der Stube raͤumet. Aber auf ein Wort! wird in den andern Zimmern nicht auch Mit- tag? Das heißt recht, den Tag mit Mulden austragen! Noch eines von raͤumen. Dieſes Wort ward mit aus, ein, weg verbunden. Durch die Abkuͤrzung oder Enthauptung des armen Wortes entſtehet eine bezauberte Zweydeutigkeit; indem man nicht weis, ob die Sonne die Zim- mer aus- oder ein- oder weggeraͤumet habe. “Als des Tages die Sonne die Mittagszim- mer geraͤumet. Noah, 40 S. Was andere, z. E. franzoͤſiſche Schriftſteller und Dichter, von den unſrigen auf eine ſehr kenntliche Art unterſcheidet, iſt die Aufmerkſamkeit, die ſie anwenden, die eigentlichſten Umſtaͤnde, zur Er- laͤuterung und Erhoͤhung ihres Vorhabens, in ei- ner Beſchreibung zu waͤhlen und abzuſondern. Die natuͤrlichen Umſtaͤnde ſtellen ſich von ſich ſelbſt dar; alſo haben ſie nichts erſtaunendes, nichts be- ſonders.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/422
Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/422>, abgerufen am 30.12.2024.