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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Das Sklaven- und Vieheigentum.
größere Dienste und Abgaben auferlegt, die bis zum Tode des Häuptlings dauern; der
rechtlose Flüchtling, der mit dem Vieh und der Landparzelle Schutz und Sicherheit
erhält, wird den schwersten Lasten unterworfen. Maine hat wohl Recht, daß die
Stellung der keltischen Equites, welche nach Cäsar auf der Zahl ihrer Schuldner beruhte,
der attischen Eupatriden, der römischen Patricier gegenüber den Klienten auf Derartiges
zurückzuführen sei. Die neueste Hypothese Meitzens, welche auch R. Hildebrand zur
Grundlage seiner ältesten germanischen Social- und Wirtschaftsgeschichte gemacht hat,
daß die Germanen des Tacitus aus einer kleinen Zahl reicher Viehbesitzer und einer
großen ärmerer Ackerbauer bestanden hätten, gehört, wenn sie sich als richtig erweist, in
diesen Zusammenhang. Jedenfalls ist sicher, daß eine starke Ungleichheit des Viehbesitzes
überall die Klassengegensätze vermehrte, daß sie geeignet war, Schuld- und Abhängigkeits-
verhältnisse zu erzeugen, die alte mehr demokratische Gesellschafts- und Wirtschafts-
verfassung zu bedrohen oder aufzulösen.

Wie sollen wir uns aber den ersten Anfang des ungleichen Viehbesitzes denken?
Die Ungleichheit mag vielfach durch Raub bei anderen Stämmen sich gesteigert haben;
aber die Anführer der Viehraubzüge waren eben die Tapfersten, die Klügsten. Und
innerhalb des Stammes gab es keinen solchen Raub. Zufällige Schicksale, Viehsterben
mögen noch so sehr eingegriffen haben; im ganzen müssen aber doch diejenigen größere
Herden bekommen haben, die sie am besten zu behandeln wußten, oder die für höhere
Dienste und Leistungen Viehgaben erhielten, wie Priester, Gefolgsleute, treue Diener.
Wir können uns ohne Rückgriff auf diese persönlichen Unterschiede keine Entstehung der
Besitzungleichheit denken. Sobald sie dann eine Zeit lang bestanden hatte, gab natür-
lich der größere Besitz eine Überlegenheit, eine sociale Stellung, die unabhängig von
persönlichen Eigenschaften sich geltend machen konnte. Alle größeren Viehbesitzer werden
weiterhin bei der Verteilung der Äcker und Weiden größere Teile zugewiesen erhalten
haben. Aber nur psychologische und historische Unkenntnis kann leugnen, daß auch in
dieser Phase der Entwickelung die Bevorzugten die klügsten, die tapfersten, die wirt-
schaftlich höchst stehenden Glieder ihrer Stämme im Durchschnitt waren und lange
blieben. Wir kommen damit zur Grundeigentumsverteilung zurück.

125. Die ältere Grundeigentumsverfassung der Ackerbau- und
Hirtenvölker, einschließlich der antiken
. Alle alten Völker und Stämme
mit Viehbesitz haben bei getrenntem Vieheigentum eine genossenschaftlich organisierte
Pflege und Ernährung des Viehes gehabt (siehe S. 198): den Sippen und
Viehweidegenossenschaften wurden von den Stammesobrigkeiten die Gebiete und Weide-
flächen zugeteilt. Soweit daneben gar kein oder nur ein geringer Ackerbau stattfand,
konnte man den Geschlechtern und Familien es frei überlassen, die nötigen Stellen in
Besitz zu nehmen; sobald Raummangel eintrat, wurde auch hier eine Zuweisung und
Anerkennung des occupierten Feldes durch die Organe des Stammes oder der Sippen
nötig. Je nach der definitiven oder vorübergehenden Seßhaftigkeit, je nach dem Stande
der landwirtschaftlichen Technik (Brennwirtschaft, wilde Feldgraswirtschaft etc.) werden die
Ackerstellen nur als jährliche, oder als mehrjährige oder als Zuweisung auf Lebenszeit
gegolten haben. Der weitaus größte Teil des Gebietes wurde in älteren Zeiten
gemeinsam als Wald und Wiese genutzt, stand also im gemeinsamen Eigentum des
Stammes oder seiner Unterverbände. Lamprecht schätzt die Allmenden des Trierschen
Landes noch im 18. Jahrhundert auf die Hälfte des Gebietes.

Die weitere Entwickelung konnte nun aber sehr verschieden sein. Es kann bei
Bodenüberfluß und wenig straffer Organisation aus solcher Festsetzung der Sippen und
Familien sich ohne Zwischenglied das individuelle oder Familieneigentum an Grund
und Boden dadurch entwickeln, daß eine seit Generationen nicht gestörte Nutzung sich
in die rechtliche Vorstellung eines ausschließlichen Nutzungs- und Verfügungsrechtes der
Inhaber umsetzt, während die Vorstellungen über ein Obereigentum der Gentes und des
Stammes sich verflüchtigen, beziehungsweise einerseits in das Eigentumsrecht des Königs
über gewisse Teile der Gebiete, andererseits in das staatsrechtliche Territorialrecht am
Gebiete sich umbilden. Das ist aber wenigstens für die höher stehenden Rassen und Stämme

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Das Sklaven- und Vieheigentum.
größere Dienſte und Abgaben auferlegt, die bis zum Tode des Häuptlings dauern; der
rechtloſe Flüchtling, der mit dem Vieh und der Landparzelle Schutz und Sicherheit
erhält, wird den ſchwerſten Laſten unterworfen. Maine hat wohl Recht, daß die
Stellung der keltiſchen Equites, welche nach Cäſar auf der Zahl ihrer Schuldner beruhte,
der attiſchen Eupatriden, der römiſchen Patricier gegenüber den Klienten auf Derartiges
zurückzuführen ſei. Die neueſte Hypotheſe Meitzens, welche auch R. Hildebrand zur
Grundlage ſeiner älteſten germaniſchen Social- und Wirtſchaftsgeſchichte gemacht hat,
daß die Germanen des Tacitus aus einer kleinen Zahl reicher Viehbeſitzer und einer
großen ärmerer Ackerbauer beſtanden hätten, gehört, wenn ſie ſich als richtig erweiſt, in
dieſen Zuſammenhang. Jedenfalls iſt ſicher, daß eine ſtarke Ungleichheit des Viehbeſitzes
überall die Klaſſengegenſätze vermehrte, daß ſie geeignet war, Schuld- und Abhängigkeits-
verhältniſſe zu erzeugen, die alte mehr demokratiſche Geſellſchafts- und Wirtſchafts-
verfaſſung zu bedrohen oder aufzulöſen.

Wie ſollen wir uns aber den erſten Anfang des ungleichen Viehbeſitzes denken?
Die Ungleichheit mag vielfach durch Raub bei anderen Stämmen ſich geſteigert haben;
aber die Anführer der Viehraubzüge waren eben die Tapferſten, die Klügſten. Und
innerhalb des Stammes gab es keinen ſolchen Raub. Zufällige Schickſale, Viehſterben
mögen noch ſo ſehr eingegriffen haben; im ganzen müſſen aber doch diejenigen größere
Herden bekommen haben, die ſie am beſten zu behandeln wußten, oder die für höhere
Dienſte und Leiſtungen Viehgaben erhielten, wie Prieſter, Gefolgsleute, treue Diener.
Wir können uns ohne Rückgriff auf dieſe perſönlichen Unterſchiede keine Entſtehung der
Beſitzungleichheit denken. Sobald ſie dann eine Zeit lang beſtanden hatte, gab natür-
lich der größere Beſitz eine Überlegenheit, eine ſociale Stellung, die unabhängig von
perſönlichen Eigenſchaften ſich geltend machen konnte. Alle größeren Viehbeſitzer werden
weiterhin bei der Verteilung der Äcker und Weiden größere Teile zugewieſen erhalten
haben. Aber nur pſychologiſche und hiſtoriſche Unkenntnis kann leugnen, daß auch in
dieſer Phaſe der Entwickelung die Bevorzugten die klügſten, die tapferſten, die wirt-
ſchaftlich höchſt ſtehenden Glieder ihrer Stämme im Durchſchnitt waren und lange
blieben. Wir kommen damit zur Grundeigentumsverteilung zurück.

125. Die ältere Grundeigentumsverfaſſung der Ackerbau- und
Hirtenvölker, einſchließlich der antiken
. Alle alten Völker und Stämme
mit Viehbeſitz haben bei getrenntem Vieheigentum eine genoſſenſchaftlich organiſierte
Pflege und Ernährung des Viehes gehabt (ſiehe S. 198): den Sippen und
Viehweidegenoſſenſchaften wurden von den Stammesobrigkeiten die Gebiete und Weide-
flächen zugeteilt. Soweit daneben gar kein oder nur ein geringer Ackerbau ſtattfand,
konnte man den Geſchlechtern und Familien es frei überlaſſen, die nötigen Stellen in
Beſitz zu nehmen; ſobald Raummangel eintrat, wurde auch hier eine Zuweiſung und
Anerkennung des occupierten Feldes durch die Organe des Stammes oder der Sippen
nötig. Je nach der definitiven oder vorübergehenden Seßhaftigkeit, je nach dem Stande
der landwirtſchaftlichen Technik (Brennwirtſchaft, wilde Feldgraswirtſchaft ꝛc.) werden die
Ackerſtellen nur als jährliche, oder als mehrjährige oder als Zuweiſung auf Lebenszeit
gegolten haben. Der weitaus größte Teil des Gebietes wurde in älteren Zeiten
gemeinſam als Wald und Wieſe genutzt, ſtand alſo im gemeinſamen Eigentum des
Stammes oder ſeiner Unterverbände. Lamprecht ſchätzt die Allmenden des Trierſchen
Landes noch im 18. Jahrhundert auf die Hälfte des Gebietes.

Die weitere Entwickelung konnte nun aber ſehr verſchieden ſein. Es kann bei
Bodenüberfluß und wenig ſtraffer Organiſation aus ſolcher Feſtſetzung der Sippen und
Familien ſich ohne Zwiſchenglied das individuelle oder Familieneigentum an Grund
und Boden dadurch entwickeln, daß eine ſeit Generationen nicht geſtörte Nutzung ſich
in die rechtliche Vorſtellung eines ausſchließlichen Nutzungs- und Verfügungsrechtes der
Inhaber umſetzt, während die Vorſtellungen über ein Obereigentum der Gentes und des
Stammes ſich verflüchtigen, beziehungsweiſe einerſeits in das Eigentumsrecht des Königs
über gewiſſe Teile der Gebiete, andererſeits in das ſtaatsrechtliche Territorialrecht am
Gebiete ſich umbilden. Das iſt aber wenigſtens für die höher ſtehenden Raſſen und Stämme

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[371/0387] Das Sklaven- und Vieheigentum. größere Dienſte und Abgaben auferlegt, die bis zum Tode des Häuptlings dauern; der rechtloſe Flüchtling, der mit dem Vieh und der Landparzelle Schutz und Sicherheit erhält, wird den ſchwerſten Laſten unterworfen. Maine hat wohl Recht, daß die Stellung der keltiſchen Equites, welche nach Cäſar auf der Zahl ihrer Schuldner beruhte, der attiſchen Eupatriden, der römiſchen Patricier gegenüber den Klienten auf Derartiges zurückzuführen ſei. Die neueſte Hypotheſe Meitzens, welche auch R. Hildebrand zur Grundlage ſeiner älteſten germaniſchen Social- und Wirtſchaftsgeſchichte gemacht hat, daß die Germanen des Tacitus aus einer kleinen Zahl reicher Viehbeſitzer und einer großen ärmerer Ackerbauer beſtanden hätten, gehört, wenn ſie ſich als richtig erweiſt, in dieſen Zuſammenhang. Jedenfalls iſt ſicher, daß eine ſtarke Ungleichheit des Viehbeſitzes überall die Klaſſengegenſätze vermehrte, daß ſie geeignet war, Schuld- und Abhängigkeits- verhältniſſe zu erzeugen, die alte mehr demokratiſche Geſellſchafts- und Wirtſchafts- verfaſſung zu bedrohen oder aufzulöſen. Wie ſollen wir uns aber den erſten Anfang des ungleichen Viehbeſitzes denken? Die Ungleichheit mag vielfach durch Raub bei anderen Stämmen ſich geſteigert haben; aber die Anführer der Viehraubzüge waren eben die Tapferſten, die Klügſten. Und innerhalb des Stammes gab es keinen ſolchen Raub. Zufällige Schickſale, Viehſterben mögen noch ſo ſehr eingegriffen haben; im ganzen müſſen aber doch diejenigen größere Herden bekommen haben, die ſie am beſten zu behandeln wußten, oder die für höhere Dienſte und Leiſtungen Viehgaben erhielten, wie Prieſter, Gefolgsleute, treue Diener. Wir können uns ohne Rückgriff auf dieſe perſönlichen Unterſchiede keine Entſtehung der Beſitzungleichheit denken. Sobald ſie dann eine Zeit lang beſtanden hatte, gab natür- lich der größere Beſitz eine Überlegenheit, eine ſociale Stellung, die unabhängig von perſönlichen Eigenſchaften ſich geltend machen konnte. Alle größeren Viehbeſitzer werden weiterhin bei der Verteilung der Äcker und Weiden größere Teile zugewieſen erhalten haben. Aber nur pſychologiſche und hiſtoriſche Unkenntnis kann leugnen, daß auch in dieſer Phaſe der Entwickelung die Bevorzugten die klügſten, die tapferſten, die wirt- ſchaftlich höchſt ſtehenden Glieder ihrer Stämme im Durchſchnitt waren und lange blieben. Wir kommen damit zur Grundeigentumsverteilung zurück. 125. Die ältere Grundeigentumsverfaſſung der Ackerbau- und Hirtenvölker, einſchließlich der antiken. Alle alten Völker und Stämme mit Viehbeſitz haben bei getrenntem Vieheigentum eine genoſſenſchaftlich organiſierte Pflege und Ernährung des Viehes gehabt (ſiehe S. 198): den Sippen und Viehweidegenoſſenſchaften wurden von den Stammesobrigkeiten die Gebiete und Weide- flächen zugeteilt. Soweit daneben gar kein oder nur ein geringer Ackerbau ſtattfand, konnte man den Geſchlechtern und Familien es frei überlaſſen, die nötigen Stellen in Beſitz zu nehmen; ſobald Raummangel eintrat, wurde auch hier eine Zuweiſung und Anerkennung des occupierten Feldes durch die Organe des Stammes oder der Sippen nötig. Je nach der definitiven oder vorübergehenden Seßhaftigkeit, je nach dem Stande der landwirtſchaftlichen Technik (Brennwirtſchaft, wilde Feldgraswirtſchaft ꝛc.) werden die Ackerſtellen nur als jährliche, oder als mehrjährige oder als Zuweiſung auf Lebenszeit gegolten haben. Der weitaus größte Teil des Gebietes wurde in älteren Zeiten gemeinſam als Wald und Wieſe genutzt, ſtand alſo im gemeinſamen Eigentum des Stammes oder ſeiner Unterverbände. Lamprecht ſchätzt die Allmenden des Trierſchen Landes noch im 18. Jahrhundert auf die Hälfte des Gebietes. Die weitere Entwickelung konnte nun aber ſehr verſchieden ſein. Es kann bei Bodenüberfluß und wenig ſtraffer Organiſation aus ſolcher Feſtſetzung der Sippen und Familien ſich ohne Zwiſchenglied das individuelle oder Familieneigentum an Grund und Boden dadurch entwickeln, daß eine ſeit Generationen nicht geſtörte Nutzung ſich in die rechtliche Vorſtellung eines ausſchließlichen Nutzungs- und Verfügungsrechtes der Inhaber umſetzt, während die Vorſtellungen über ein Obereigentum der Gentes und des Stammes ſich verflüchtigen, beziehungsweiſe einerſeits in das Eigentumsrecht des Königs über gewiſſe Teile der Gebiete, andererſeits in das ſtaatsrechtliche Territorialrecht am Gebiete ſich umbilden. Das iſt aber wenigſtens für die höher ſtehenden Raſſen und Stämme 24*

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/387>, abgerufen am 27.04.2024.