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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Zweites Buch. Die gesellschaftliche Verfassung der Volkswirtschaft.

Die Sklaverei, wie sie in der späteren römischen Republik und im Anfange des
Principats, neuerdings in den Sklavenplantagen der europäischen Handelsvölker bestand,
war die härteste Form der Arbeitsteilung und das höchste Maß von ausbeutender
Herrschaft des Menschen über den Menschen. Ohne jedes Eigentum, oft ohne jede
Familienfreude, ohne jede Aussicht auf die Zukunft, ohne jeden strafrechtlichen Schutz,
oft schlechter als das Vieh ernährt und behaust, wurde der Sklave gerade so viel
geschlagen und zur härtesten Arbeit gezwungen, wie man rechnete, den größten Gewinn
mit ihm zu machen. Man kalkulierte, ob es billiger sei, einen Negertrupp von achtzehn-
jährigen in 7 oder 14 Jahren aufzubrauchen, to use up. Die barbarische Strenge ist auf
diesem Standpunkte so richtig und konsequent wie das strenge gesetzliche Verbot jedes
Unterrichtes an die Sklaven. Haben doch noch englische Manchesterleute den Schul-
unterricht der Arbeiterkinder als einen Verstoß gegen die Arbeitsteilung bezeichnet.

Alle Sklaverei, die ältere milde und die spätere harte, leidet an dem Grundfehler,
daß der Arbeitende gar kein Interesse an dem Erfolge der Arbeit hat, was um so mehr
sich geltend machen mußte, als ein Selbstbewußtsein in diesen Kreisen erwachte. Als
vollends der innere Kampf und die Erbitterung sich immer weiter steigerten, mußte die
Erkenntnis erwachen, daß das System ebensoviel wirtschaftlichen wie sittlich-politischen
Schaden stifte. Es trat teils eine successive Milderung, teils eine plötzliche Aufhebung ein,
wie ja auch schon während des Bestehens der Sklaverei stets Hunderte und Tausende der
höher stehenden Sklaven durch Freilassung in eine bessere Lage übergingen, freie Arbeiter,
Kleinunternehmer oder was sonst wurden. Die langsame Umbildung der antiken Sklaverei
durch die kaiserliche, von Stoa und Christentum beeinflußte Gesetzgebung in den Kolonat
und andere Mischformen der Unfreiheit, die Fortsetzung dieses Prozesses durch die Kirche
des älteren Mittelalters ist eine der anziehendsten socialen historischen Erscheinungen.
Wir haben sie so wenig wie die modernen Aufhebungen der Sklaverei hier darzustellen,
wohl aber zu betonen, daß auch im günstigsten Falle als die Nachwirkung des älteren
Zustandes eines übrig bleibt: die tief in allen Gewohnheiten und Sitten des wirtschaft-
lichen und socialen Lebens wurzelnde Thatsache, daß eine Minorität von höher Gebildeten
und Besitzenden die mechanische Arbeit der weniger Gebildeten und Besitzenden leitet, so
sehr auch der Gegensatz gemildert, die Rechtsformen des Verhältnisses verbessert sind.

b) Die verschiedenen Formen der Halbfreiheit, welche begrifflich
zwischen der Sklaverei und der freien Arbeit liegen, historisch oftmals auch vor ihr und
neben ihr entstanden, werden gewöhnlich unter dem Begriffe der Hörigkeit zusammengefaßt.
Sie haben einen dreifachen Ursprung: 1. kriegerische Unterwerfung ganzer Stämme und
Einverleibung solcher zahlreicher stammfremder Elemente in das Gemeinwesen zu minderem
Rechte, 2. die Emporhebung früherer Sklaven und ganz Unfreier zu einer besseren
Rechtsstellung, wie im antiken Kolonat, und 3. die Herabdrückung früher freier Volks-
genossen zu minderem Rechte, wie im Mittelalter die der zahlreichen freien Bauern zu
Vogtei- und Zinsleuten. Die erstgenannte Ursache ist in älterer Zeit die am allgemeinsten
vorkommende: die griechischen Heloten und Periöken, die ganze bäuerliche Bevölkerung
in den Provinzen des römischen Reiches, die deutschen Liten waren dieser Art. Wo
das wirtschaftliche Leben wenigstens bis zu seßhaftem, geordnetem Ackerbau gekommen
ist, wo ganze Stämme, Landschaften und Länder erobert und unterworfen werden, wo
gar Sprach- und Rassenverwandtschaft zwischen Siegern und Besiegten besteht, da können
die Unterworfenen nicht alle zu Sklaven gemacht, den Hauswirtschaften der Sieger ein-
verleibt werden; man läßt ihnen ihren Ackerbesitz, ihre selbständige Hauswirtschaft; die
Sieger nehmen nur teils für die Staatsgewalt, teils für die einzelnen eine Art Ober-
eigentum am Besitz und ein Recht auf gewisse Abgaben und Dienste der Halbfreien in
Anspruch. Der Halbfreie entbehrt der politischen Rechte, darf häufig keine Waffen
führen, ist in der Wahl des Aufenthaltes und Berufes häufig beschränkt, als Ackerbauer
zum Teil an die Scholle gefesselt; aber er ist strafrechtlich gegen Unrecht, oft auch
gegen Überlastung mit Abgaben und Diensten geschützt, er hat das Recht der Familien-
gründung und ein beschränktes Eigentumsrecht, kann Prozesse führen, hat an halbfreien
Gemeinden, Gilden und Vereinen vielfach einen Rückhalt; er ist von den staatlichen

Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft.

Die Sklaverei, wie ſie in der ſpäteren römiſchen Republik und im Anfange des
Principats, neuerdings in den Sklavenplantagen der europäiſchen Handelsvölker beſtand,
war die härteſte Form der Arbeitsteilung und das höchſte Maß von ausbeutender
Herrſchaft des Menſchen über den Menſchen. Ohne jedes Eigentum, oft ohne jede
Familienfreude, ohne jede Ausſicht auf die Zukunft, ohne jeden ſtrafrechtlichen Schutz,
oft ſchlechter als das Vieh ernährt und behauſt, wurde der Sklave gerade ſo viel
geſchlagen und zur härteſten Arbeit gezwungen, wie man rechnete, den größten Gewinn
mit ihm zu machen. Man kalkulierte, ob es billiger ſei, einen Negertrupp von achtzehn-
jährigen in 7 oder 14 Jahren aufzubrauchen, to use up. Die barbariſche Strenge iſt auf
dieſem Standpunkte ſo richtig und konſequent wie das ſtrenge geſetzliche Verbot jedes
Unterrichtes an die Sklaven. Haben doch noch engliſche Mancheſterleute den Schul-
unterricht der Arbeiterkinder als einen Verſtoß gegen die Arbeitsteilung bezeichnet.

Alle Sklaverei, die ältere milde und die ſpätere harte, leidet an dem Grundfehler,
daß der Arbeitende gar kein Intereſſe an dem Erfolge der Arbeit hat, was um ſo mehr
ſich geltend machen mußte, als ein Selbſtbewußtſein in dieſen Kreiſen erwachte. Als
vollends der innere Kampf und die Erbitterung ſich immer weiter ſteigerten, mußte die
Erkenntnis erwachen, daß das Syſtem ebenſoviel wirtſchaftlichen wie ſittlich-politiſchen
Schaden ſtifte. Es trat teils eine ſucceſſive Milderung, teils eine plötzliche Aufhebung ein,
wie ja auch ſchon während des Beſtehens der Sklaverei ſtets Hunderte und Tauſende der
höher ſtehenden Sklaven durch Freilaſſung in eine beſſere Lage übergingen, freie Arbeiter,
Kleinunternehmer oder was ſonſt wurden. Die langſame Umbildung der antiken Sklaverei
durch die kaiſerliche, von Stoa und Chriſtentum beeinflußte Geſetzgebung in den Kolonat
und andere Miſchformen der Unfreiheit, die Fortſetzung dieſes Prozeſſes durch die Kirche
des älteren Mittelalters iſt eine der anziehendſten ſocialen hiſtoriſchen Erſcheinungen.
Wir haben ſie ſo wenig wie die modernen Aufhebungen der Sklaverei hier darzuſtellen,
wohl aber zu betonen, daß auch im günſtigſten Falle als die Nachwirkung des älteren
Zuſtandes eines übrig bleibt: die tief in allen Gewohnheiten und Sitten des wirtſchaft-
lichen und ſocialen Lebens wurzelnde Thatſache, daß eine Minorität von höher Gebildeten
und Beſitzenden die mechaniſche Arbeit der weniger Gebildeten und Beſitzenden leitet, ſo
ſehr auch der Gegenſatz gemildert, die Rechtsformen des Verhältniſſes verbeſſert ſind.

b) Die verſchiedenen Formen der Halbfreiheit, welche begrifflich
zwiſchen der Sklaverei und der freien Arbeit liegen, hiſtoriſch oftmals auch vor ihr und
neben ihr entſtanden, werden gewöhnlich unter dem Begriffe der Hörigkeit zuſammengefaßt.
Sie haben einen dreifachen Urſprung: 1. kriegeriſche Unterwerfung ganzer Stämme und
Einverleibung ſolcher zahlreicher ſtammfremder Elemente in das Gemeinweſen zu minderem
Rechte, 2. die Emporhebung früherer Sklaven und ganz Unfreier zu einer beſſeren
Rechtsſtellung, wie im antiken Kolonat, und 3. die Herabdrückung früher freier Volks-
genoſſen zu minderem Rechte, wie im Mittelalter die der zahlreichen freien Bauern zu
Vogtei- und Zinsleuten. Die erſtgenannte Urſache iſt in älterer Zeit die am allgemeinſten
vorkommende: die griechiſchen Heloten und Periöken, die ganze bäuerliche Bevölkerung
in den Provinzen des römiſchen Reiches, die deutſchen Liten waren dieſer Art. Wo
das wirtſchaftliche Leben wenigſtens bis zu ſeßhaftem, geordnetem Ackerbau gekommen
iſt, wo ganze Stämme, Landſchaften und Länder erobert und unterworfen werden, wo
gar Sprach- und Raſſenverwandtſchaft zwiſchen Siegern und Beſiegten beſteht, da können
die Unterworfenen nicht alle zu Sklaven gemacht, den Hauswirtſchaften der Sieger ein-
verleibt werden; man läßt ihnen ihren Ackerbeſitz, ihre ſelbſtändige Hauswirtſchaft; die
Sieger nehmen nur teils für die Staatsgewalt, teils für die einzelnen eine Art Ober-
eigentum am Beſitz und ein Recht auf gewiſſe Abgaben und Dienſte der Halbfreien in
Anſpruch. Der Halbfreie entbehrt der politiſchen Rechte, darf häufig keine Waffen
führen, iſt in der Wahl des Aufenthaltes und Berufes häufig beſchränkt, als Ackerbauer
zum Teil an die Scholle gefeſſelt; aber er iſt ſtrafrechtlich gegen Unrecht, oft auch
gegen Überlaſtung mit Abgaben und Dienſten geſchützt, er hat das Recht der Familien-
gründung und ein beſchränktes Eigentumsrecht, kann Prozeſſe führen, hat an halbfreien
Gemeinden, Gilden und Vereinen vielfach einen Rückhalt; er iſt von den ſtaatlichen

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[340/0356] Zweites Buch. Die geſellſchaftliche Verfaſſung der Volkswirtſchaft. Die Sklaverei, wie ſie in der ſpäteren römiſchen Republik und im Anfange des Principats, neuerdings in den Sklavenplantagen der europäiſchen Handelsvölker beſtand, war die härteſte Form der Arbeitsteilung und das höchſte Maß von ausbeutender Herrſchaft des Menſchen über den Menſchen. Ohne jedes Eigentum, oft ohne jede Familienfreude, ohne jede Ausſicht auf die Zukunft, ohne jeden ſtrafrechtlichen Schutz, oft ſchlechter als das Vieh ernährt und behauſt, wurde der Sklave gerade ſo viel geſchlagen und zur härteſten Arbeit gezwungen, wie man rechnete, den größten Gewinn mit ihm zu machen. Man kalkulierte, ob es billiger ſei, einen Negertrupp von achtzehn- jährigen in 7 oder 14 Jahren aufzubrauchen, to use up. Die barbariſche Strenge iſt auf dieſem Standpunkte ſo richtig und konſequent wie das ſtrenge geſetzliche Verbot jedes Unterrichtes an die Sklaven. Haben doch noch engliſche Mancheſterleute den Schul- unterricht der Arbeiterkinder als einen Verſtoß gegen die Arbeitsteilung bezeichnet. Alle Sklaverei, die ältere milde und die ſpätere harte, leidet an dem Grundfehler, daß der Arbeitende gar kein Intereſſe an dem Erfolge der Arbeit hat, was um ſo mehr ſich geltend machen mußte, als ein Selbſtbewußtſein in dieſen Kreiſen erwachte. Als vollends der innere Kampf und die Erbitterung ſich immer weiter ſteigerten, mußte die Erkenntnis erwachen, daß das Syſtem ebenſoviel wirtſchaftlichen wie ſittlich-politiſchen Schaden ſtifte. Es trat teils eine ſucceſſive Milderung, teils eine plötzliche Aufhebung ein, wie ja auch ſchon während des Beſtehens der Sklaverei ſtets Hunderte und Tauſende der höher ſtehenden Sklaven durch Freilaſſung in eine beſſere Lage übergingen, freie Arbeiter, Kleinunternehmer oder was ſonſt wurden. Die langſame Umbildung der antiken Sklaverei durch die kaiſerliche, von Stoa und Chriſtentum beeinflußte Geſetzgebung in den Kolonat und andere Miſchformen der Unfreiheit, die Fortſetzung dieſes Prozeſſes durch die Kirche des älteren Mittelalters iſt eine der anziehendſten ſocialen hiſtoriſchen Erſcheinungen. Wir haben ſie ſo wenig wie die modernen Aufhebungen der Sklaverei hier darzuſtellen, wohl aber zu betonen, daß auch im günſtigſten Falle als die Nachwirkung des älteren Zuſtandes eines übrig bleibt: die tief in allen Gewohnheiten und Sitten des wirtſchaft- lichen und ſocialen Lebens wurzelnde Thatſache, daß eine Minorität von höher Gebildeten und Beſitzenden die mechaniſche Arbeit der weniger Gebildeten und Beſitzenden leitet, ſo ſehr auch der Gegenſatz gemildert, die Rechtsformen des Verhältniſſes verbeſſert ſind. b) Die verſchiedenen Formen der Halbfreiheit, welche begrifflich zwiſchen der Sklaverei und der freien Arbeit liegen, hiſtoriſch oftmals auch vor ihr und neben ihr entſtanden, werden gewöhnlich unter dem Begriffe der Hörigkeit zuſammengefaßt. Sie haben einen dreifachen Urſprung: 1. kriegeriſche Unterwerfung ganzer Stämme und Einverleibung ſolcher zahlreicher ſtammfremder Elemente in das Gemeinweſen zu minderem Rechte, 2. die Emporhebung früherer Sklaven und ganz Unfreier zu einer beſſeren Rechtsſtellung, wie im antiken Kolonat, und 3. die Herabdrückung früher freier Volks- genoſſen zu minderem Rechte, wie im Mittelalter die der zahlreichen freien Bauern zu Vogtei- und Zinsleuten. Die erſtgenannte Urſache iſt in älterer Zeit die am allgemeinſten vorkommende: die griechiſchen Heloten und Periöken, die ganze bäuerliche Bevölkerung in den Provinzen des römiſchen Reiches, die deutſchen Liten waren dieſer Art. Wo das wirtſchaftliche Leben wenigſtens bis zu ſeßhaftem, geordnetem Ackerbau gekommen iſt, wo ganze Stämme, Landſchaften und Länder erobert und unterworfen werden, wo gar Sprach- und Raſſenverwandtſchaft zwiſchen Siegern und Beſiegten beſteht, da können die Unterworfenen nicht alle zu Sklaven gemacht, den Hauswirtſchaften der Sieger ein- verleibt werden; man läßt ihnen ihren Ackerbeſitz, ihre ſelbſtändige Hauswirtſchaft; die Sieger nehmen nur teils für die Staatsgewalt, teils für die einzelnen eine Art Ober- eigentum am Beſitz und ein Recht auf gewiſſe Abgaben und Dienſte der Halbfreien in Anſpruch. Der Halbfreie entbehrt der politiſchen Rechte, darf häufig keine Waffen führen, iſt in der Wahl des Aufenthaltes und Berufes häufig beſchränkt, als Ackerbauer zum Teil an die Scholle gefeſſelt; aber er iſt ſtrafrechtlich gegen Unrecht, oft auch gegen Überlaſtung mit Abgaben und Dienſten geſchützt, er hat das Recht der Familien- gründung und ein beſchränktes Eigentumsrecht, kann Prozeſſe führen, hat an halbfreien Gemeinden, Gilden und Vereinen vielfach einen Rückhalt; er iſt von den ſtaatlichen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/356>, abgerufen am 26.04.2024.