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Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900.

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Erstes Buch. Land, Leute und Technik.
damit stärker zur Voraussicht erzogen. Der Winter ist andererseits im gemäßigten
Klima nicht so lang, die Tage sind noch nicht so kurz wie an den Polen, wo Natur
und Menschen zu einem viele Monate dauernden Winterschlaf gleichsam durch eine
Nacht von Monaten gezwungen sind, der im Sommer ein ebenso langer Tag folgt.
Der große und stete Wechsel der Witterung erzeugt im gemäßigten Klima im ganzen
auch mehr Energie als die in den Tropen meist für Wochen und Monate gleich-
mäßige Witterung. Das gemäßigte Klima regt in seinem kälteren Teile mehr zur
Thätigkeit an, giebt in seinem wärmeren dem Menschen die schönste und leichteste
Existenz. Über die Verschiedenheiten innerhalb des gemäßigten Klimas sei hinzugefügt,
daß die Vegetationszeit der Pflanzen in Europa zwischen 3 und 9, die landwirtschaft-
liche Arbeitszeit zwischen 4 und 11 (in Rußland 4, Ostpreußen 5, Mitteldeutsch-
land 7, Südengland 11) Monaten schwankt. Die nötige Zahl der Arbeiter, der Ge-
spanne, das Wiesen- und Futterareal ist davon abhängig. Der Reinertrag, die Kosten
aller Melioration schwanken entsprechend; von der Länge und Härte des Winters hängt
teilweise Verkehr und Absatz ab. Haxthausen meint, bei gleicher Kultur gebe ein ähn-
liches Gut in Mitteldeutschland die doppelte Rente wie in Rußland.

Die heiße Zone hat nicht sowohl viel heißere Tage als die gemäßigte, wie eine
viel größere Zahl gleichmäßig sich folgender heißer Tage und eine Hitze, welche mit
stärkerer Feuchtigkeit verbunden ist und deshalb auf alles organische Leben ganz
anders wirkt. Ein Winter in unserem Sinne ist nicht vorhanden; man hat nur zwei
oder drei Jahreszeiten; die Regenzeit wird als die kühle empfunden, die Zeit vorher
als die des Erstickens und des Vertrocknens der Pflanzen. Der anregende Wechsel der
Witterung wie die Ungleichheit von Tag und Nacht fehlen oder sind sehr mäßig. In
Brittisch-Indien pflegt man Oktober bis Februar als gemäßigte Jahreszeit zu bezeichnen;
unsere Halmfrüchte, Obstarten und Gemüse gedeihen da und werden im März geerntet;
dann folgt vom März bis Juli die heiße Zeit, welche die südlichen Früchte, Reis, Indigo
und Mais zur Reife bringt; endlich die Regenzeit vom Juli an, welche Abkühlung
schafft, die Vegetation neu belebt. Das Pflanzen- und Tierleben zeigt in der südlich
gemäßigten und subtropischen Zone seinen größten Reichtum und seine höchste Ent-
faltung; aber der Mensch hat im eigentlichen Tropenklima fast nur während der vier
Monate nach der Regenzeit seine Vollkraft; die Regenzeit und die heiße Zeit lähmt ihn,
bedroht seine Gesundheit und seine Energie.

Die Tropen, hat man gesagt, seien die Wiege der Menschheit gewesen, weil sie
das Leben leichter machten; die gemäßigte Zone aber die Wiege der Kultur, weil sie
den Menschen zu größter Entfaltung seiner Kräfte nötigte, ohne ihm das Leben so zu
erschweren wie die kalte Zone mit ihrer Armut an Pflanzen und Tieren.

55. Die geologischen und Bodenverhältnisse sowie die Wasser-
verteilung
. Neben dem Klima sind es die geologischen und Bodenverhältnisse, von
denen die menschliche Wirtschaft in allem einzelnen bedingt ist.

Die Erdoberfläche ist das Ergebnis eines Umbildungs-, Schichtungs- und Ver-
witterungsprozesses, der in Millionen Jahren die Erhebung, Zusammensetzung und
vegetative Kraft, den Quellenreichtum und die Luftbeschaffenheit, die Gesundheit und
Wohnlichkeit derselben in allen ihren einzelnen Teilen bestimmte. Eine Reihe von
geologischen Zeitaltern erzeugte die verschiedenen Schichten, die sich folgten und vom
Urgebirge bis zum heutigen Schwemmland in den einzelnen Gegenden zu Tage treten,
ihr Relief, ihre Erhebung und Beschaffenheit bestimmen. Ein Ergebnis hievon ist
schon die Gestalt der Länder und Kontinente, das ganze Verhältnis von Festland und
Meeren, das wir vorhin erörterten. Damit hängt weiter der auch innerhalb der Länder
hervortretende Gegensatz von Hochgebirge und Hochplateau, Mittelgebirge und Stufen-
land, Tiefebene und Flachland zusammen. Jederman weiß, daß der Hackbau, der
Acker- und Gartenbau in den reicheren Flußthälern und Tiefebenen warmer Länder
entstanden, seit lange aber in die gemäßigte Zone, in die Stufen- und Hügelländer
vorgedrungen ist. Welchen Teil eines Landes aber der landwirtschaftliche Anbau erfassen
könne, das hängt neben dem Klima wesentlich von den geologischen und Bodenverhält-

Erſtes Buch. Land, Leute und Technik.
damit ſtärker zur Vorausſicht erzogen. Der Winter iſt andererſeits im gemäßigten
Klima nicht ſo lang, die Tage ſind noch nicht ſo kurz wie an den Polen, wo Natur
und Menſchen zu einem viele Monate dauernden Winterſchlaf gleichſam durch eine
Nacht von Monaten gezwungen ſind, der im Sommer ein ebenſo langer Tag folgt.
Der große und ſtete Wechſel der Witterung erzeugt im gemäßigten Klima im ganzen
auch mehr Energie als die in den Tropen meiſt für Wochen und Monate gleich-
mäßige Witterung. Das gemäßigte Klima regt in ſeinem kälteren Teile mehr zur
Thätigkeit an, giebt in ſeinem wärmeren dem Menſchen die ſchönſte und leichteſte
Exiſtenz. Über die Verſchiedenheiten innerhalb des gemäßigten Klimas ſei hinzugefügt,
daß die Vegetationszeit der Pflanzen in Europa zwiſchen 3 und 9, die landwirtſchaft-
liche Arbeitszeit zwiſchen 4 und 11 (in Rußland 4, Oſtpreußen 5, Mitteldeutſch-
land 7, Südengland 11) Monaten ſchwankt. Die nötige Zahl der Arbeiter, der Ge-
ſpanne, das Wieſen- und Futterareal iſt davon abhängig. Der Reinertrag, die Koſten
aller Melioration ſchwanken entſprechend; von der Länge und Härte des Winters hängt
teilweiſe Verkehr und Abſatz ab. Haxthauſen meint, bei gleicher Kultur gebe ein ähn-
liches Gut in Mitteldeutſchland die doppelte Rente wie in Rußland.

Die heiße Zone hat nicht ſowohl viel heißere Tage als die gemäßigte, wie eine
viel größere Zahl gleichmäßig ſich folgender heißer Tage und eine Hitze, welche mit
ſtärkerer Feuchtigkeit verbunden iſt und deshalb auf alles organiſche Leben ganz
anders wirkt. Ein Winter in unſerem Sinne iſt nicht vorhanden; man hat nur zwei
oder drei Jahreszeiten; die Regenzeit wird als die kühle empfunden, die Zeit vorher
als die des Erſtickens und des Vertrocknens der Pflanzen. Der anregende Wechſel der
Witterung wie die Ungleichheit von Tag und Nacht fehlen oder ſind ſehr mäßig. In
Brittiſch-Indien pflegt man Oktober bis Februar als gemäßigte Jahreszeit zu bezeichnen;
unſere Halmfrüchte, Obſtarten und Gemüſe gedeihen da und werden im März geerntet;
dann folgt vom März bis Juli die heiße Zeit, welche die ſüdlichen Früchte, Reis, Indigo
und Mais zur Reife bringt; endlich die Regenzeit vom Juli an, welche Abkühlung
ſchafft, die Vegetation neu belebt. Das Pflanzen- und Tierleben zeigt in der ſüdlich
gemäßigten und ſubtropiſchen Zone ſeinen größten Reichtum und ſeine höchſte Ent-
faltung; aber der Menſch hat im eigentlichen Tropenklima faſt nur während der vier
Monate nach der Regenzeit ſeine Vollkraft; die Regenzeit und die heiße Zeit lähmt ihn,
bedroht ſeine Geſundheit und ſeine Energie.

Die Tropen, hat man geſagt, ſeien die Wiege der Menſchheit geweſen, weil ſie
das Leben leichter machten; die gemäßigte Zone aber die Wiege der Kultur, weil ſie
den Menſchen zu größter Entfaltung ſeiner Kräfte nötigte, ohne ihm das Leben ſo zu
erſchweren wie die kalte Zone mit ihrer Armut an Pflanzen und Tieren.

55. Die geologiſchen und Bodenverhältniſſe ſowie die Waſſer-
verteilung
. Neben dem Klima ſind es die geologiſchen und Bodenverhältniſſe, von
denen die menſchliche Wirtſchaft in allem einzelnen bedingt iſt.

Die Erdoberfläche iſt das Ergebnis eines Umbildungs-, Schichtungs- und Ver-
witterungsprozeſſes, der in Millionen Jahren die Erhebung, Zuſammenſetzung und
vegetative Kraft, den Quellenreichtum und die Luftbeſchaffenheit, die Geſundheit und
Wohnlichkeit derſelben in allen ihren einzelnen Teilen beſtimmte. Eine Reihe von
geologiſchen Zeitaltern erzeugte die verſchiedenen Schichten, die ſich folgten und vom
Urgebirge bis zum heutigen Schwemmland in den einzelnen Gegenden zu Tage treten,
ihr Relief, ihre Erhebung und Beſchaffenheit beſtimmen. Ein Ergebnis hievon iſt
ſchon die Geſtalt der Länder und Kontinente, das ganze Verhältnis von Feſtland und
Meeren, das wir vorhin erörterten. Damit hängt weiter der auch innerhalb der Länder
hervortretende Gegenſatz von Hochgebirge und Hochplateau, Mittelgebirge und Stufen-
land, Tiefebene und Flachland zuſammen. Jederman weiß, daß der Hackbau, der
Acker- und Gartenbau in den reicheren Flußthälern und Tiefebenen warmer Länder
entſtanden, ſeit lange aber in die gemäßigte Zone, in die Stufen- und Hügelländer
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könne, das hängt neben dem Klima weſentlich von den geologiſchen und Bodenverhält-

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[132/0148] Erſtes Buch. Land, Leute und Technik. damit ſtärker zur Vorausſicht erzogen. Der Winter iſt andererſeits im gemäßigten Klima nicht ſo lang, die Tage ſind noch nicht ſo kurz wie an den Polen, wo Natur und Menſchen zu einem viele Monate dauernden Winterſchlaf gleichſam durch eine Nacht von Monaten gezwungen ſind, der im Sommer ein ebenſo langer Tag folgt. Der große und ſtete Wechſel der Witterung erzeugt im gemäßigten Klima im ganzen auch mehr Energie als die in den Tropen meiſt für Wochen und Monate gleich- mäßige Witterung. Das gemäßigte Klima regt in ſeinem kälteren Teile mehr zur Thätigkeit an, giebt in ſeinem wärmeren dem Menſchen die ſchönſte und leichteſte Exiſtenz. Über die Verſchiedenheiten innerhalb des gemäßigten Klimas ſei hinzugefügt, daß die Vegetationszeit der Pflanzen in Europa zwiſchen 3 und 9, die landwirtſchaft- liche Arbeitszeit zwiſchen 4 und 11 (in Rußland 4, Oſtpreußen 5, Mitteldeutſch- land 7, Südengland 11) Monaten ſchwankt. Die nötige Zahl der Arbeiter, der Ge- ſpanne, das Wieſen- und Futterareal iſt davon abhängig. Der Reinertrag, die Koſten aller Melioration ſchwanken entſprechend; von der Länge und Härte des Winters hängt teilweiſe Verkehr und Abſatz ab. Haxthauſen meint, bei gleicher Kultur gebe ein ähn- liches Gut in Mitteldeutſchland die doppelte Rente wie in Rußland. Die heiße Zone hat nicht ſowohl viel heißere Tage als die gemäßigte, wie eine viel größere Zahl gleichmäßig ſich folgender heißer Tage und eine Hitze, welche mit ſtärkerer Feuchtigkeit verbunden iſt und deshalb auf alles organiſche Leben ganz anders wirkt. Ein Winter in unſerem Sinne iſt nicht vorhanden; man hat nur zwei oder drei Jahreszeiten; die Regenzeit wird als die kühle empfunden, die Zeit vorher als die des Erſtickens und des Vertrocknens der Pflanzen. Der anregende Wechſel der Witterung wie die Ungleichheit von Tag und Nacht fehlen oder ſind ſehr mäßig. In Brittiſch-Indien pflegt man Oktober bis Februar als gemäßigte Jahreszeit zu bezeichnen; unſere Halmfrüchte, Obſtarten und Gemüſe gedeihen da und werden im März geerntet; dann folgt vom März bis Juli die heiße Zeit, welche die ſüdlichen Früchte, Reis, Indigo und Mais zur Reife bringt; endlich die Regenzeit vom Juli an, welche Abkühlung ſchafft, die Vegetation neu belebt. Das Pflanzen- und Tierleben zeigt in der ſüdlich gemäßigten und ſubtropiſchen Zone ſeinen größten Reichtum und ſeine höchſte Ent- faltung; aber der Menſch hat im eigentlichen Tropenklima faſt nur während der vier Monate nach der Regenzeit ſeine Vollkraft; die Regenzeit und die heiße Zeit lähmt ihn, bedroht ſeine Geſundheit und ſeine Energie. Die Tropen, hat man geſagt, ſeien die Wiege der Menſchheit geweſen, weil ſie das Leben leichter machten; die gemäßigte Zone aber die Wiege der Kultur, weil ſie den Menſchen zu größter Entfaltung ſeiner Kräfte nötigte, ohne ihm das Leben ſo zu erſchweren wie die kalte Zone mit ihrer Armut an Pflanzen und Tieren. 55. Die geologiſchen und Bodenverhältniſſe ſowie die Waſſer- verteilung. Neben dem Klima ſind es die geologiſchen und Bodenverhältniſſe, von denen die menſchliche Wirtſchaft in allem einzelnen bedingt iſt. Die Erdoberfläche iſt das Ergebnis eines Umbildungs-, Schichtungs- und Ver- witterungsprozeſſes, der in Millionen Jahren die Erhebung, Zuſammenſetzung und vegetative Kraft, den Quellenreichtum und die Luftbeſchaffenheit, die Geſundheit und Wohnlichkeit derſelben in allen ihren einzelnen Teilen beſtimmte. Eine Reihe von geologiſchen Zeitaltern erzeugte die verſchiedenen Schichten, die ſich folgten und vom Urgebirge bis zum heutigen Schwemmland in den einzelnen Gegenden zu Tage treten, ihr Relief, ihre Erhebung und Beſchaffenheit beſtimmen. Ein Ergebnis hievon iſt ſchon die Geſtalt der Länder und Kontinente, das ganze Verhältnis von Feſtland und Meeren, das wir vorhin erörterten. Damit hängt weiter der auch innerhalb der Länder hervortretende Gegenſatz von Hochgebirge und Hochplateau, Mittelgebirge und Stufen- land, Tiefebene und Flachland zuſammen. Jederman weiß, daß der Hackbau, der Acker- und Gartenbau in den reicheren Flußthälern und Tiefebenen warmer Länder entſtanden, ſeit lange aber in die gemäßigte Zone, in die Stufen- und Hügelländer vorgedrungen iſt. Welchen Teil eines Landes aber der landwirtſchaftliche Anbau erfaſſen könne, das hängt neben dem Klima weſentlich von den geologiſchen und Bodenverhält-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Grundriß der Allgemeinen Volkswirtschaftslehre. Bd. 1. Leipzig, 1900, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_grundriss01_1900/148>, abgerufen am 26.04.2024.