Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite
Elftes Kapitel.
Der Alte in der Heidenhöhle.


Der Rest des Winters ging auf dem hohen Twiel einförmig, darum
schnell vorüber. Sie beteten und arbeiteten, lasen Virgil und studirten
Grammatik, wie es die Zeit brachte. Frau Hadwig stellte keine ver-
fänglichen Fragen mehr.

In der Faschingszeit kamen die benachbarten Großen, der Herzogin
ihren Besuch abzustatten, die von der Nellenburg und von Veringen,
der alte Graf im Argengau mit seinen Töchtern, die sieben Welfen
von Ravensburg überm See und manch Anderer.135) Da wurde viel
geschmaust und noch mehr getrunken.

Dann ward's wieder einsam oben.

Der März kam heran, schwere Stürme sausten über's Land, in
der ersten klaren Sternennacht stand ein Komet am Himmel,136) und
der Storch, der auf der Burg Dachfirst wohlgemuth hauste, war acht
Tage nach seiner Rückkunft wieder von dannen geflogen: die Leute
schüttelten den Kopf. Dann trieb ein Schäfer von Engen seine Heerde
am Berg vorüber, der erzählte, daß er dem Heerwurm137) begegnet:
das bedeutet Krieg.

Unheimliche Stimmung lagerte sich über die Gemüther. Drohendes
Erdbeben wird auch in weiter Entfernung vorausgespürt, hier Aus-
bleiben einer Quelle, dort scheuer Vogelflug: ebenso ahnt sich Gefahr
des Krieges.

Herr Spazzo, der im Februar tapfer hinter den Weinkrügen tur-
niert hatte, ging jetzo tiefsinnig umher. Ihr sollt mir einen Dienst
erweisen, sprach er eines Abends zu Ekkehard. Ich hab' im Traum
einen todten Fisch gesehen, der auf dem Rücken schwamm. Ich will
mein Testament machen. Die Welt ist alt geworden und steht nur
noch auf einem Bein, das wird nächstens auch zusammen knacken.

9*
Elftes Kapitel.
Der Alte in der Heidenhöhle.


Der Reſt des Winters ging auf dem hohen Twiel einförmig, darum
ſchnell vorüber. Sie beteten und arbeiteten, laſen Virgil und ſtudirten
Grammatik, wie es die Zeit brachte. Frau Hadwig ſtellte keine ver-
fänglichen Fragen mehr.

In der Faſchingszeit kamen die benachbarten Großen, der Herzogin
ihren Beſuch abzuſtatten, die von der Nellenburg und von Veringen,
der alte Graf im Argengau mit ſeinen Töchtern, die ſieben Welfen
von Ravensburg überm See und manch Anderer.135) Da wurde viel
geſchmaust und noch mehr getrunken.

Dann ward's wieder einſam oben.

Der März kam heran, ſchwere Stürme ſausten über's Land, in
der erſten klaren Sternennacht ſtand ein Komet am Himmel,136) und
der Storch, der auf der Burg Dachfirſt wohlgemuth hauste, war acht
Tage nach ſeiner Rückkunft wieder von dannen geflogen: die Leute
ſchüttelten den Kopf. Dann trieb ein Schäfer von Engen ſeine Heerde
am Berg vorüber, der erzählte, daß er dem Heerwurm137) begegnet:
das bedeutet Krieg.

Unheimliche Stimmung lagerte ſich über die Gemüther. Drohendes
Erdbeben wird auch in weiter Entfernung vorausgeſpürt, hier Aus-
bleiben einer Quelle, dort ſcheuer Vogelflug: ebenſo ahnt ſich Gefahr
des Krieges.

Herr Spazzo, der im Februar tapfer hinter den Weinkrügen tur-
niert hatte, ging jetzo tiefſinnig umher. Ihr ſollt mir einen Dienſt
erweiſen, ſprach er eines Abends zu Ekkehard. Ich hab' im Traum
einen todten Fiſch geſehen, der auf dem Rücken ſchwamm. Ich will
mein Teſtament machen. Die Welt iſt alt geworden und ſteht nur
noch auf einem Bein, das wird nächſtens auch zuſammen knacken.

9*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0153" n="131"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Elftes Kapitel</hi>.<lb/>
Der Alte in der Heidenhöhle.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Der Re&#x017F;t des Winters ging auf dem hohen Twiel einförmig, darum<lb/>
&#x017F;chnell vorüber. Sie beteten und arbeiteten, la&#x017F;en Virgil und &#x017F;tudirten<lb/>
Grammatik, wie es die Zeit brachte. Frau Hadwig &#x017F;tellte keine ver-<lb/>
fänglichen Fragen mehr.</p><lb/>
        <p>In der Fa&#x017F;chingszeit kamen die benachbarten Großen, der Herzogin<lb/>
ihren Be&#x017F;uch abzu&#x017F;tatten, die von der Nellenburg und von Veringen,<lb/>
der alte Graf im Argengau mit &#x017F;einen Töchtern, die &#x017F;ieben Welfen<lb/>
von Ravensburg überm See und manch Anderer.<note xml:id="ed135" next="#edt135" place="end" n="135)"/> Da wurde viel<lb/>
ge&#x017F;chmaust und noch mehr getrunken.</p><lb/>
        <p>Dann ward's wieder ein&#x017F;am oben.</p><lb/>
        <p>Der März kam heran, &#x017F;chwere Stürme &#x017F;austen über's Land, in<lb/>
der er&#x017F;ten klaren Sternennacht &#x017F;tand ein Komet am Himmel,<note xml:id="ed136" next="#edt136" place="end" n="136)"/> und<lb/>
der Storch, der auf der Burg Dachfir&#x017F;t wohlgemuth hauste, war acht<lb/>
Tage nach &#x017F;einer Rückkunft wieder von dannen geflogen: die Leute<lb/>
&#x017F;chüttelten den Kopf. Dann trieb ein Schäfer von Engen &#x017F;eine Heerde<lb/>
am Berg vorüber, der erzählte, daß er dem Heerwurm<note xml:id="ed137" next="#edt137" place="end" n="137)"/> begegnet:<lb/>
das bedeutet Krieg.</p><lb/>
        <p>Unheimliche Stimmung lagerte &#x017F;ich über die Gemüther. Drohendes<lb/>
Erdbeben wird auch in weiter Entfernung vorausge&#x017F;pürt, hier Aus-<lb/>
bleiben einer Quelle, dort &#x017F;cheuer Vogelflug: eben&#x017F;o ahnt &#x017F;ich Gefahr<lb/>
des Krieges.</p><lb/>
        <p>Herr Spazzo, der im Februar tapfer hinter den Weinkrügen tur-<lb/>
niert hatte, ging jetzo tief&#x017F;innig umher. Ihr &#x017F;ollt mir einen Dien&#x017F;t<lb/>
erwei&#x017F;en, &#x017F;prach er eines Abends zu Ekkehard. Ich hab' im Traum<lb/>
einen todten Fi&#x017F;ch ge&#x017F;ehen, der auf dem Rücken &#x017F;chwamm. Ich will<lb/>
mein Te&#x017F;tament machen. Die Welt i&#x017F;t alt geworden und &#x017F;teht nur<lb/>
noch auf einem Bein, das wird näch&#x017F;tens auch zu&#x017F;ammen knacken.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">9*</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0153] Elftes Kapitel. Der Alte in der Heidenhöhle. Der Reſt des Winters ging auf dem hohen Twiel einförmig, darum ſchnell vorüber. Sie beteten und arbeiteten, laſen Virgil und ſtudirten Grammatik, wie es die Zeit brachte. Frau Hadwig ſtellte keine ver- fänglichen Fragen mehr. In der Faſchingszeit kamen die benachbarten Großen, der Herzogin ihren Beſuch abzuſtatten, die von der Nellenburg und von Veringen, der alte Graf im Argengau mit ſeinen Töchtern, die ſieben Welfen von Ravensburg überm See und manch Anderer. ¹³⁵⁾ Da wurde viel geſchmaust und noch mehr getrunken. Dann ward's wieder einſam oben. Der März kam heran, ſchwere Stürme ſausten über's Land, in der erſten klaren Sternennacht ſtand ein Komet am Himmel, ¹³⁶⁾ und der Storch, der auf der Burg Dachfirſt wohlgemuth hauste, war acht Tage nach ſeiner Rückkunft wieder von dannen geflogen: die Leute ſchüttelten den Kopf. Dann trieb ein Schäfer von Engen ſeine Heerde am Berg vorüber, der erzählte, daß er dem Heerwurm ¹³⁷⁾ begegnet: das bedeutet Krieg. Unheimliche Stimmung lagerte ſich über die Gemüther. Drohendes Erdbeben wird auch in weiter Entfernung vorausgeſpürt, hier Aus- bleiben einer Quelle, dort ſcheuer Vogelflug: ebenſo ahnt ſich Gefahr des Krieges. Herr Spazzo, der im Februar tapfer hinter den Weinkrügen tur- niert hatte, ging jetzo tiefſinnig umher. Ihr ſollt mir einen Dienſt erweiſen, ſprach er eines Abends zu Ekkehard. Ich hab' im Traum einen todten Fiſch geſehen, der auf dem Rücken ſchwamm. Ich will mein Teſtament machen. Die Welt iſt alt geworden und ſteht nur noch auf einem Bein, das wird nächſtens auch zuſammen knacken. 9*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/153
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/153>, abgerufen am 22.12.2024.