Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


Käficht, wüthet er desto heftiger im Jnnern,
und verschwört sich zur Zerstörung des Menschen
mit den Affekten des Aergers, des Verdrusses
und der verhaltenen Wuth oder des Grimms.
Das mit den schrecklichsten und widrigsten Farben
gezeichnete Gesicht, und die von dem Kopf bis
auf die Füße verwirrte Kleidung des Zornigen,
zeugen von dem Aufruhr der Kräfte, die sich,
weil sie von dem Gegenstande des Zorns zurückge-
halten werden, gegen sich selbst kehren.

Da also der Zorn die Schaale seiner quälen-
den Gefühle über das Haupt des Beleidigers aus-
zugießen wünscht, um diesen durch die Empfin-
dung der bittern Folgen seiner Beleidigung fürs
Künftige zu warnen; so scheint er sich nur gegen
vernünftige, wenigstens nur gegen empfindende
Wesen kehren zu können. Aber, ohne an den
Xerxes erinnern zu dürfen, der in dem Gedan-
ken, Herr der ganzen Schöpfung zu seyn, den
Hellespont in Fesseln legen, mit Ruthen züchti-
gen und brandmarken ließ, weil die Flotte seiner
Persischen Allmacht auf demselben nicht sicher
hatte segeln können*); und ohne der amerikani-
schen Wilden zu gedenken, die, wenn sie an einen
Stein stoßen, denselben zerschmettern möchten,
und, wenn sie in einem Gefechte mit einem Pfei-
le verwundet werden, ihn aus der Wunde reißen,

zer-
*) Herod. 7. B.


Kaͤficht, wuͤthet er deſto heftiger im Jnnern,
und verſchwoͤrt ſich zur Zerſtoͤrung des Menſchen
mit den Affekten des Aergers, des Verdruſſes
und der verhaltenen Wuth oder des Grimms.
Das mit den ſchrecklichſten und widrigſten Farben
gezeichnete Geſicht, und die von dem Kopf bis
auf die Fuͤße verwirrte Kleidung des Zornigen,
zeugen von dem Aufruhr der Kraͤfte, die ſich,
weil ſie von dem Gegenſtande des Zorns zuruͤckge-
halten werden, gegen ſich ſelbſt kehren.

Da alſo der Zorn die Schaale ſeiner quaͤlen-
den Gefuͤhle uͤber das Haupt des Beleidigers aus-
zugießen wuͤnſcht, um dieſen durch die Empfin-
dung der bittern Folgen ſeiner Beleidigung fuͤrs
Kuͤnftige zu warnen; ſo ſcheint er ſich nur gegen
vernuͤnftige, wenigſtens nur gegen empfindende
Weſen kehren zu koͤnnen. Aber, ohne an den
Xerxes erinnern zu duͤrfen, der in dem Gedan-
ken, Herr der ganzen Schoͤpfung zu ſeyn, den
Helleſpont in Feſſeln legen, mit Ruthen zuͤchti-
gen und brandmarken ließ, weil die Flotte ſeiner
Perſiſchen Allmacht auf demſelben nicht ſicher
hatte ſegeln koͤnnen*); und ohne der amerikani-
ſchen Wilden zu gedenken, die, wenn ſie an einen
Stein ſtoßen, denſelben zerſchmettern moͤchten,
und, wenn ſie in einem Gefechte mit einem Pfei-
le verwundet werden, ihn aus der Wunde reißen,

zer-
*) Herod. 7. B.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0351" n="635"/><lb/>
Ka&#x0364;ficht, wu&#x0364;thet er de&#x017F;to heftiger im Jnnern,<lb/>
und ver&#x017F;chwo&#x0364;rt &#x017F;ich zur Zer&#x017F;to&#x0364;rung des Men&#x017F;chen<lb/>
mit den Affekten des Aergers, des Verdru&#x017F;&#x017F;es<lb/>
und der verhaltenen Wuth oder des Grimms.<lb/>
Das mit den &#x017F;chrecklich&#x017F;ten und widrig&#x017F;ten Farben<lb/>
gezeichnete Ge&#x017F;icht, und die von dem Kopf bis<lb/>
auf die Fu&#x0364;ße verwirrte Kleidung des Zornigen,<lb/>
zeugen von dem Aufruhr der Kra&#x0364;fte, die &#x017F;ich,<lb/>
weil &#x017F;ie von dem Gegen&#x017F;tande des Zorns zuru&#x0364;ckge-<lb/>
halten werden, gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t kehren.</p><lb/>
        <p>Da al&#x017F;o der Zorn die Schaale &#x017F;einer qua&#x0364;len-<lb/>
den Gefu&#x0364;hle u&#x0364;ber das Haupt des Beleidigers aus-<lb/>
zugießen wu&#x0364;n&#x017F;cht, um die&#x017F;en durch die Empfin-<lb/>
dung der bittern Folgen &#x017F;einer Beleidigung fu&#x0364;rs<lb/>
Ku&#x0364;nftige zu warnen; &#x017F;o &#x017F;cheint er &#x017F;ich nur gegen<lb/>
vernu&#x0364;nftige, wenig&#x017F;tens nur gegen empfindende<lb/>
We&#x017F;en kehren zu ko&#x0364;nnen. Aber, ohne an den<lb/><hi rendition="#b">Xerxes</hi> erinnern zu du&#x0364;rfen, der in dem Gedan-<lb/>
ken, Herr der ganzen Scho&#x0364;pfung zu &#x017F;eyn, den<lb/>
Helle&#x017F;pont in Fe&#x017F;&#x017F;eln legen, mit Ruthen zu&#x0364;chti-<lb/>
gen und brandmarken ließ, weil die Flotte &#x017F;einer<lb/>
Per&#x017F;i&#x017F;chen Allmacht auf dem&#x017F;elben nicht &#x017F;icher<lb/>
hatte &#x017F;egeln ko&#x0364;nnen<note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq">Herod</hi>. 7. B.</note>; und ohne der amerikani-<lb/>
&#x017F;chen Wilden zu gedenken, die, wenn &#x017F;ie an einen<lb/>
Stein &#x017F;toßen, den&#x017F;elben zer&#x017F;chmettern mo&#x0364;chten,<lb/>
und, wenn &#x017F;ie in einem Gefechte mit einem Pfei-<lb/>
le verwundet werden, ihn aus der Wunde reißen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zer-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[635/0351] Kaͤficht, wuͤthet er deſto heftiger im Jnnern, und verſchwoͤrt ſich zur Zerſtoͤrung des Menſchen mit den Affekten des Aergers, des Verdruſſes und der verhaltenen Wuth oder des Grimms. Das mit den ſchrecklichſten und widrigſten Farben gezeichnete Geſicht, und die von dem Kopf bis auf die Fuͤße verwirrte Kleidung des Zornigen, zeugen von dem Aufruhr der Kraͤfte, die ſich, weil ſie von dem Gegenſtande des Zorns zuruͤckge- halten werden, gegen ſich ſelbſt kehren. Da alſo der Zorn die Schaale ſeiner quaͤlen- den Gefuͤhle uͤber das Haupt des Beleidigers aus- zugießen wuͤnſcht, um dieſen durch die Empfin- dung der bittern Folgen ſeiner Beleidigung fuͤrs Kuͤnftige zu warnen; ſo ſcheint er ſich nur gegen vernuͤnftige, wenigſtens nur gegen empfindende Weſen kehren zu koͤnnen. Aber, ohne an den Xerxes erinnern zu duͤrfen, der in dem Gedan- ken, Herr der ganzen Schoͤpfung zu ſeyn, den Helleſpont in Feſſeln legen, mit Ruthen zuͤchti- gen und brandmarken ließ, weil die Flotte ſeiner Perſiſchen Allmacht auf demſelben nicht ſicher hatte ſegeln koͤnnen *); und ohne der amerikani- ſchen Wilden zu gedenken, die, wenn ſie an einen Stein ſtoßen, denſelben zerſchmettern moͤchten, und, wenn ſie in einem Gefechte mit einem Pfei- le verwundet werden, ihn aus der Wunde reißen, zer- *) Herod. 7. B.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/351
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/351>, abgerufen am 26.04.2024.