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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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ßern Sinnlichkeit und den rüstigeren Neigungen
des Herzens empfangen und gebohren ist. Die
schwärmerische Nonne, wenn sie sich im Geist --
mit dem Bräutigam ihrer Seele vermählt, und
der zärtliche Verliebte, wenn er den süßen Brief
seiner Göttin ans Herz drückt, sinken in thatlo-
ses, schmachtendes Entzücken hin; der Soldat,
dem sein Hauptmann mehr, als den Sold, giebt,
und der lebhafte Jüngling, der eine sehr angeneh-
me Erlaubniß erhält, jubeln.

Sechs und zwanzigste Unterhaltung.
Ueber die
Traurigkeit.

Diejenige Stimmung des Gemüths, welche
aus dem Gefühl des gehemmten Spiels der Ge-
müthskräfte entsteht, wird mit dem allgemeinen
Namen Traurigkeit bezeichnet. Jch bin trau-
rig, sagt das Kind, wenn man ihm sein Spiel-
zeug genommen hat, und es nun nicht weiß, wie
es die Zeit angenehm zubringen soll. Dasjenige,
welches sein Gemüth in einer unterhaltenden Be-
wegung erhielt, ist ihm genommen; was es auch
anfängt, so begegnet ihm immerfort der Gedanke
an sein gestörtes Vergnügen, und hemmt den
ebenmäßigen Gang seiner Vorstellungen und Phan-

tasien,

ßern Sinnlichkeit und den ruͤſtigeren Neigungen
des Herzens empfangen und gebohren iſt. Die
ſchwaͤrmeriſche Nonne, wenn ſie ſich im Geiſt —
mit dem Braͤutigam ihrer Seele vermaͤhlt, und
der zaͤrtliche Verliebte, wenn er den ſuͤßen Brief
ſeiner Goͤttin ans Herz druͤckt, ſinken in thatlo-
ſes, ſchmachtendes Entzuͤcken hin; der Soldat,
dem ſein Hauptmann mehr, als den Sold, giebt,
und der lebhafte Juͤngling, der eine ſehr angeneh-
me Erlaubniß erhaͤlt, jubeln.

Sechs und zwanzigſte Unterhaltung.
Ueber die
Traurigkeit.

Diejenige Stimmung des Gemuͤths, welche
aus dem Gefuͤhl des gehemmten Spiels der Ge-
muͤthskraͤfte entſteht, wird mit dem allgemeinen
Namen Traurigkeit bezeichnet. Jch bin trau-
rig, ſagt das Kind, wenn man ihm ſein Spiel-
zeug genommen hat, und es nun nicht weiß, wie
es die Zeit angenehm zubringen ſoll. Dasjenige,
welches ſein Gemuͤth in einer unterhaltenden Be-
wegung erhielt, iſt ihm genommen; was es auch
anfaͤngt, ſo begegnet ihm immerfort der Gedanke
an ſein geſtoͤrtes Vergnuͤgen, und hemmt den
ebenmaͤßigen Gang ſeiner Vorſtellungen und Phan-

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[603/0319] ßern Sinnlichkeit und den ruͤſtigeren Neigungen des Herzens empfangen und gebohren iſt. Die ſchwaͤrmeriſche Nonne, wenn ſie ſich im Geiſt — mit dem Braͤutigam ihrer Seele vermaͤhlt, und der zaͤrtliche Verliebte, wenn er den ſuͤßen Brief ſeiner Goͤttin ans Herz druͤckt, ſinken in thatlo- ſes, ſchmachtendes Entzuͤcken hin; der Soldat, dem ſein Hauptmann mehr, als den Sold, giebt, und der lebhafte Juͤngling, der eine ſehr angeneh- me Erlaubniß erhaͤlt, jubeln. Sechs und zwanzigſte Unterhaltung. Ueber die Traurigkeit. Diejenige Stimmung des Gemuͤths, welche aus dem Gefuͤhl des gehemmten Spiels der Ge- muͤthskraͤfte entſteht, wird mit dem allgemeinen Namen Traurigkeit bezeichnet. Jch bin trau- rig, ſagt das Kind, wenn man ihm ſein Spiel- zeug genommen hat, und es nun nicht weiß, wie es die Zeit angenehm zubringen ſoll. Dasjenige, welches ſein Gemuͤth in einer unterhaltenden Be- wegung erhielt, iſt ihm genommen; was es auch anfaͤngt, ſo begegnet ihm immerfort der Gedanke an ſein geſtoͤrtes Vergnuͤgen, und hemmt den ebenmaͤßigen Gang ſeiner Vorſtellungen und Phan- taſien,

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 603. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/319>, abgerufen am 27.04.2024.