Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

schwingen könnten; zu kalt, um das Göttliche zu
fühlen, zu schwach, es zu erreichen.



Eyfersucht schleicht sich sehr leicht in das Herz
des Liebenden. Er will ganz allein im Besitz und
Genuß des geliebten Gegenstandes seyn, und
fürchtet von jeder Mine, jedem Blick, jeder Be-
wegung, Einschränkung seines Besitzes, Störung
seines Genusses. Ein deutlicher Beweis, wie
mich dünkt, daß der Liebe das edle Selbstgefühl,
der feste Glaube an sich selbst, welche mit einer
edlen Seele unzertrennlich verbunden sind, fehlen.
Liebe, möchte ich daher sagen, entsteht aus dem
Gefühl selbsteigner Schwäche und Unvollkommen-
heit. Der Liebende muß sich mit etwas verein-
baren, wenn er sich als Etwas fühlen soll: er ist,
wie das Zero (Nulle), das für sich keinen Werth
hat, sondern denselben erst durch eine mit ihm
verbundene andere Zahl erhält. Daher vergißt
auch der Liebende sich selbst ganz, und, indem
Freunde ihr Herz mit einander theilen, giebt je-
ner sein ganzes Herz dem Geliebten. Wenn er
nur Hofnung hat, diesen durch Etwas sich näher
zu bringen, und fester an sich zu schließen, dann
hat er keine Pflichten mehr gegen sich selbst. Er
vergißt es, daß er Nahrung, Bedeckung und
Bequemlichkeit bedarf, berechnet seine Einnahme

und

ſchwingen koͤnnten; zu kalt, um das Goͤttliche zu
fuͤhlen, zu ſchwach, es zu erreichen.



Eyferſucht ſchleicht ſich ſehr leicht in das Herz
des Liebenden. Er will ganz allein im Beſitz und
Genuß des geliebten Gegenſtandes ſeyn, und
fuͤrchtet von jeder Mine, jedem Blick, jeder Be-
wegung, Einſchraͤnkung ſeines Beſitzes, Stoͤrung
ſeines Genuſſes. Ein deutlicher Beweis, wie
mich duͤnkt, daß der Liebe das edle Selbſtgefuͤhl,
der feſte Glaube an ſich ſelbſt, welche mit einer
edlen Seele unzertrennlich verbunden ſind, fehlen.
Liebe, moͤchte ich daher ſagen, entſteht aus dem
Gefuͤhl ſelbſteigner Schwaͤche und Unvollkommen-
heit. Der Liebende muß ſich mit etwas verein-
baren, wenn er ſich als Etwas fuͤhlen ſoll: er iſt,
wie das Zero (Nulle), das fuͤr ſich keinen Werth
hat, ſondern denſelben erſt durch eine mit ihm
verbundene andere Zahl erhaͤlt. Daher vergißt
auch der Liebende ſich ſelbſt ganz, und, indem
Freunde ihr Herz mit einander theilen, giebt je-
ner ſein ganzes Herz dem Geliebten. Wenn er
nur Hofnung hat, dieſen durch Etwas ſich naͤher
zu bringen, und feſter an ſich zu ſchließen, dann
hat er keine Pflichten mehr gegen ſich ſelbſt. Er
vergißt es, daß er Nahrung, Bedeckung und
Bequemlichkeit bedarf, berechnet ſeine Einnahme

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0268" n="552"/>
&#x017F;chwingen ko&#x0364;nnten; zu kalt, um das Go&#x0364;ttliche zu<lb/>
fu&#x0364;hlen, zu &#x017F;chwach, es zu erreichen.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Eyfer&#x017F;ucht &#x017F;chleicht &#x017F;ich &#x017F;ehr leicht in das Herz<lb/>
des Liebenden. Er will ganz allein im Be&#x017F;itz und<lb/>
Genuß des geliebten Gegen&#x017F;tandes &#x017F;eyn, und<lb/>
fu&#x0364;rchtet von jeder Mine, jedem Blick, jeder Be-<lb/>
wegung, Ein&#x017F;chra&#x0364;nkung &#x017F;eines Be&#x017F;itzes, Sto&#x0364;rung<lb/>
&#x017F;eines Genu&#x017F;&#x017F;es. Ein deutlicher Beweis, wie<lb/>
mich du&#x0364;nkt, daß der Liebe das edle Selb&#x017F;tgefu&#x0364;hl,<lb/>
der fe&#x017F;te Glaube an &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, welche mit einer<lb/>
edlen Seele unzertrennlich verbunden &#x017F;ind, fehlen.<lb/>
Liebe, mo&#x0364;chte ich daher &#x017F;agen, ent&#x017F;teht aus dem<lb/>
Gefu&#x0364;hl &#x017F;elb&#x017F;teigner Schwa&#x0364;che und Unvollkommen-<lb/>
heit. Der Liebende muß &#x017F;ich mit etwas verein-<lb/>
baren, wenn er &#x017F;ich als Etwas fu&#x0364;hlen &#x017F;oll: er i&#x017F;t,<lb/>
wie das Zero (Nulle), das fu&#x0364;r &#x017F;ich keinen Werth<lb/>
hat, &#x017F;ondern den&#x017F;elben er&#x017F;t durch eine mit ihm<lb/>
verbundene andere Zahl erha&#x0364;lt. Daher vergißt<lb/>
auch der Liebende &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t ganz, und, indem<lb/>
Freunde ihr Herz mit einander <hi rendition="#b">theilen</hi>, giebt je-<lb/>
ner &#x017F;ein <hi rendition="#b">ganzes</hi> Herz dem Geliebten. Wenn er<lb/>
nur Hofnung hat, die&#x017F;en durch Etwas &#x017F;ich na&#x0364;her<lb/>
zu bringen, und fe&#x017F;ter an &#x017F;ich zu &#x017F;chließen, dann<lb/>
hat er keine Pflichten mehr gegen &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. Er<lb/>
vergißt es, daß er Nahrung, Bedeckung und<lb/>
Bequemlichkeit bedarf, berechnet &#x017F;eine Einnahme<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[552/0268] ſchwingen koͤnnten; zu kalt, um das Goͤttliche zu fuͤhlen, zu ſchwach, es zu erreichen. Eyferſucht ſchleicht ſich ſehr leicht in das Herz des Liebenden. Er will ganz allein im Beſitz und Genuß des geliebten Gegenſtandes ſeyn, und fuͤrchtet von jeder Mine, jedem Blick, jeder Be- wegung, Einſchraͤnkung ſeines Beſitzes, Stoͤrung ſeines Genuſſes. Ein deutlicher Beweis, wie mich duͤnkt, daß der Liebe das edle Selbſtgefuͤhl, der feſte Glaube an ſich ſelbſt, welche mit einer edlen Seele unzertrennlich verbunden ſind, fehlen. Liebe, moͤchte ich daher ſagen, entſteht aus dem Gefuͤhl ſelbſteigner Schwaͤche und Unvollkommen- heit. Der Liebende muß ſich mit etwas verein- baren, wenn er ſich als Etwas fuͤhlen ſoll: er iſt, wie das Zero (Nulle), das fuͤr ſich keinen Werth hat, ſondern denſelben erſt durch eine mit ihm verbundene andere Zahl erhaͤlt. Daher vergißt auch der Liebende ſich ſelbſt ganz, und, indem Freunde ihr Herz mit einander theilen, giebt je- ner ſein ganzes Herz dem Geliebten. Wenn er nur Hofnung hat, dieſen durch Etwas ſich naͤher zu bringen, und feſter an ſich zu ſchließen, dann hat er keine Pflichten mehr gegen ſich ſelbſt. Er vergißt es, daß er Nahrung, Bedeckung und Bequemlichkeit bedarf, berechnet ſeine Einnahme und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/268
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 552. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/268>, abgerufen am 27.04.2024.