Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 1. Schaffhausen, 1861.XX. Ueber die Entwicklung des Völkerrechtes als des alle Menschen und Völker als gleichberechtigt anerkennenden Rechtes. In so weit die Ideen und die Grundsätze der Freimaurerei wahr sind, müssen sie in dem gesammten Leben der Menschen und der Völker erkennbar sein, dort ihre Geschichte haben, weil, wie der Naturwelt, dem Weltall, so auch der Menschenwelt, überall nur dieselben grossen Gesetze zu Grunde liegen und liegen können. Das Leben des Menschen und der Menschen, d. h. der Menschheit oder der Völker und Staaten, hat nur ein und dasselbe Ziel, nur ein und dasselbe Gesetz, wenn sie äusserlich auch noch so verschieden und abweichend erscheinen möchten; wer daher das Leben verstehen will, muss in dem Verschiedenen die Einheit, in dem Wechselnden das Bleibende aufsuchen und nachweisen. Hat also die Freimauerei die Aufgabe, den Menschen als Menschen zu bilden und alle Menschen als Kinder des einen grossen Gottes anzuerkennen, zu achten und zu lieben, so muss das Leben der Völker und Staaten, der Menschheit dieselbe Aufgabe haben; die Gesetze, nach welchen die Freimaurer unter sich zu leben haben, müssen auch die Gesetze sein, nach welchen die Völker und Staaten ihr gegenseitiges Leben einrichten. Die Gesetze, nach welchen die Völker und Staaten sich gegenseitig verhalten, werden das Völkerrecht genannt, und die Geschichte dieses Völkerrechtes muss im Wesentlichen daher mit der Geschichte der Freimaurerei zusammentreffen, oder das Völkerrecht und die Freimaurerei müssen die gleiche Geschichte haben. Diese gleiche Geschichte des Völkerrechtes und der Freimaurerei in raschen Zügen während des Mittelalters zu zeichnen, will ich versuchen. 1. Das Alterthum. Im ganzen Alterthum ist der Grundsatz, dass alle Staaten als nur verschiedene Verwirklichungen der einen Rechtsidee anzusehen und daher mit ihren Angehörigen als gleichberechtigt wie der eigene Staat und die eigenen Staatsangehörigen zu behandeln seien, niemals zur Anerkennung im Völkerleben gelangt, und in diesem Sinne XX. Ueber die Entwicklung des Völkerrechtes als des alle Menschen und Völker als gleichberechtigt anerkennenden Rechtes. In so weit die Ideen und die Grundsätze der Freimaurerei wahr sind, müssen sie in dem gesammten Leben der Menschen und der Völker erkennbar sein, dort ihre Geschichte haben, weil, wie der Naturwelt, dem Weltall, so auch der Menschenwelt, überall nur dieselben grossen Gesetze zu Grunde liegen und liegen können. Das Leben des Menschen und der Menschen, d. h. der Menschheit oder der Völker und Staaten, hat nur ein und dasselbe Ziel, nur ein und dasselbe Gesetz, wenn sie äusserlich auch noch so verschieden und abweichend erscheinen möchten; wer daher das Leben verstehen will, muss in dem Verschiedenen die Einheit, in dem Wechselnden das Bleibende aufsuchen und nachweisen. Hat also die Freimauerei die Aufgabe, den Menschen als Menschen zu bilden und alle Menschen als Kinder des einen grossen Gottes anzuerkennen, zu achten und zu lieben, so muss das Leben der Völker und Staaten, der Menschheit dieselbe Aufgabe haben; die Gesetze, nach welchen die Freimaurer unter sich zu leben haben, müssen auch die Gesetze sein, nach welchen die Völker und Staaten ihr gegenseitiges Leben einrichten. Die Gesetze, nach welchen die Völker und Staaten sich gegenseitig verhalten, werden das Völkerrecht genannt, und die Geschichte dieses Völkerrechtes muss im Wesentlichen daher mit der Geschichte der Freimaurerei zusammentreffen, oder das Völkerrecht und die Freimaurerei müssen die gleiche Geschichte haben. Diese gleiche Geschichte des Völkerrechtes und der Freimaurerei in raschen Zügen während des Mittelalters zu zeichnen, will ich versuchen. 1. Das Alterthum. Im ganzen Alterthum ist der Grundsatz, dass alle Staaten als nur verschiedene Verwirklichungen der einen Rechtsidee anzusehen und daher mit ihren Angehörigen als gleichberechtigt wie der eigene Staat und die eigenen Staatsangehörigen zu behandeln seien, niemals zur Anerkennung im Völkerleben gelangt, und in diesem Sinne <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0309" n="293"/><lb/> <head>XX.<lb/> Ueber die Entwicklung des Völkerrechtes als des alle Menschen und Völker als gleichberechtigt anerkennenden Rechtes.</head><lb/> <p>In so weit die Ideen und die Grundsätze der Freimaurerei wahr sind, müssen sie in dem gesammten Leben der Menschen und der Völker erkennbar sein, dort ihre Geschichte haben, weil, wie der Naturwelt, dem Weltall, so auch der Menschenwelt, überall nur dieselben grossen Gesetze zu Grunde liegen und liegen können. Das Leben des Menschen und der Menschen, d. h. der Menschheit oder der Völker und Staaten, hat nur ein und dasselbe Ziel, nur ein und dasselbe Gesetz, wenn sie äusserlich auch noch so verschieden und abweichend erscheinen möchten; wer daher das Leben verstehen will, muss in dem Verschiedenen die Einheit, in dem Wechselnden das Bleibende aufsuchen und nachweisen. Hat also die Freimauerei die Aufgabe, den Menschen als Menschen zu bilden und alle Menschen als Kinder des einen grossen Gottes anzuerkennen, zu achten und zu lieben, so muss das Leben der Völker und Staaten, der Menschheit dieselbe Aufgabe haben; die Gesetze, nach welchen die Freimaurer unter sich zu leben haben, müssen auch die Gesetze sein, nach welchen die Völker und Staaten ihr gegenseitiges Leben einrichten. Die Gesetze, nach welchen die Völker und Staaten sich gegenseitig verhalten, werden das Völkerrecht genannt, und die Geschichte dieses Völkerrechtes muss im Wesentlichen daher mit der Geschichte der Freimaurerei zusammentreffen, oder das Völkerrecht und die Freimaurerei müssen die gleiche Geschichte haben. Diese gleiche Geschichte des Völkerrechtes und der Freimaurerei in raschen Zügen während des Mittelalters zu zeichnen, will ich versuchen.</p> <div n="2"> <head>1. Das Alterthum.</head><lb/> <p> Im ganzen Alterthum ist der Grundsatz, dass alle Staaten als nur verschiedene Verwirklichungen der einen Rechtsidee anzusehen und daher mit ihren Angehörigen als gleichberechtigt wie der eigene Staat und die eigenen Staatsangehörigen zu behandeln seien, niemals zur Anerkennung im Völkerleben gelangt, und in diesem Sinne </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [293/0309]
XX.
Ueber die Entwicklung des Völkerrechtes als des alle Menschen und Völker als gleichberechtigt anerkennenden Rechtes.
In so weit die Ideen und die Grundsätze der Freimaurerei wahr sind, müssen sie in dem gesammten Leben der Menschen und der Völker erkennbar sein, dort ihre Geschichte haben, weil, wie der Naturwelt, dem Weltall, so auch der Menschenwelt, überall nur dieselben grossen Gesetze zu Grunde liegen und liegen können. Das Leben des Menschen und der Menschen, d. h. der Menschheit oder der Völker und Staaten, hat nur ein und dasselbe Ziel, nur ein und dasselbe Gesetz, wenn sie äusserlich auch noch so verschieden und abweichend erscheinen möchten; wer daher das Leben verstehen will, muss in dem Verschiedenen die Einheit, in dem Wechselnden das Bleibende aufsuchen und nachweisen. Hat also die Freimauerei die Aufgabe, den Menschen als Menschen zu bilden und alle Menschen als Kinder des einen grossen Gottes anzuerkennen, zu achten und zu lieben, so muss das Leben der Völker und Staaten, der Menschheit dieselbe Aufgabe haben; die Gesetze, nach welchen die Freimaurer unter sich zu leben haben, müssen auch die Gesetze sein, nach welchen die Völker und Staaten ihr gegenseitiges Leben einrichten. Die Gesetze, nach welchen die Völker und Staaten sich gegenseitig verhalten, werden das Völkerrecht genannt, und die Geschichte dieses Völkerrechtes muss im Wesentlichen daher mit der Geschichte der Freimaurerei zusammentreffen, oder das Völkerrecht und die Freimaurerei müssen die gleiche Geschichte haben. Diese gleiche Geschichte des Völkerrechtes und der Freimaurerei in raschen Zügen während des Mittelalters zu zeichnen, will ich versuchen.
1. Das Alterthum.
Im ganzen Alterthum ist der Grundsatz, dass alle Staaten als nur verschiedene Verwirklichungen der einen Rechtsidee anzusehen und daher mit ihren Angehörigen als gleichberechtigt wie der eigene Staat und die eigenen Staatsangehörigen zu behandeln seien, niemals zur Anerkennung im Völkerleben gelangt, und in diesem Sinne
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