Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
der Staatsgewalt untergeordnet (d). Die weltumfassende Natur des Christenthums schließt diese rein nationelle Be- handlung aus. Im Mittelalter versuchte die Kirche, die Staaten selbst sich unterzuordnen und zu beherrschen. Wir können die verschiedenen christlichen Kirchen nur betrach- ten als neben dem Staate, aber in mannichfaltiger und inniger Berührung mit demselben, stehend. Daher ist uns das Kirchenrecht ein für sich bestehendes Rechtsgebiet, das weder dem öffentlichen noch dem Privatrecht untergeordnet werden darf.
§. 10. Abweichende Meynungen über den Staat.
Es fehlt aber viel, daß die hier aufgestellte Ansicht von der Entstehung und dem Wesen des Staats allgemein Anerkennung fände.
Zuvörderst ist es auch hier wieder der unbestimmte Begriff einer Menge überhaupt, abstrahirt von der Volks- einheit, welcher häufig als Subject des Staats gedacht wird. Dieser Behauptung aber widerspricht vor Allem die Thatsache, daß es zu allen Zeiten Völker waren, welche in der organischen Gestalt von Staaten aufgetreten sind, und wo auch der Versuch im Großen gemacht worden ist, Massen von Menschen ohne Rücksicht auf gänzliche Stamm- verschiedenheit willkührlich zusammen zu bringen, wie in den Amerikanischen Sklavenstaaten, da ist der Erfolg sehr unglücklich gewesen, und es haben sich der Staatenbildung
(d)L. 1. §. 2. de just. et jure (I. 1.).
Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
der Staatsgewalt untergeordnet (d). Die weltumfaſſende Natur des Chriſtenthums ſchließt dieſe rein nationelle Be- handlung aus. Im Mittelalter verſuchte die Kirche, die Staaten ſelbſt ſich unterzuordnen und zu beherrſchen. Wir können die verſchiedenen chriſtlichen Kirchen nur betrach- ten als neben dem Staate, aber in mannichfaltiger und inniger Berührung mit demſelben, ſtehend. Daher iſt uns das Kirchenrecht ein für ſich beſtehendes Rechtsgebiet, das weder dem öffentlichen noch dem Privatrecht untergeordnet werden darf.
§. 10. Abweichende Meynungen über den Staat.
Es fehlt aber viel, daß die hier aufgeſtellte Anſicht von der Entſtehung und dem Weſen des Staats allgemein Anerkennung fände.
Zuvörderſt iſt es auch hier wieder der unbeſtimmte Begriff einer Menge überhaupt, abſtrahirt von der Volks- einheit, welcher häufig als Subject des Staats gedacht wird. Dieſer Behauptung aber widerſpricht vor Allem die Thatſache, daß es zu allen Zeiten Völker waren, welche in der organiſchen Geſtalt von Staaten aufgetreten ſind, und wo auch der Verſuch im Großen gemacht worden iſt, Maſſen von Menſchen ohne Rückſicht auf gänzliche Stamm- verſchiedenheit willkührlich zuſammen zu bringen, wie in den Amerikaniſchen Sklavenſtaaten, da iſt der Erfolg ſehr unglücklich geweſen, und es haben ſich der Staatenbildung
(d)L. 1. §. 2. de just. et jure (I. 1.).
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbn="28"facs="#f0084"/><fwtype="header"place="top">Buch <hirendition="#aq">I.</hi> Quellen. Kap. <hirendition="#aq">II.</hi> Allg. Natur der Quellen.</fw><lb/>
der Staatsgewalt untergeordnet <noteplace="foot"n="(d)"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">L.</hi> 1. §. 2. <hirendition="#i">de just. et jure</hi> (I. 1.).</hi></note>. Die weltumfaſſende<lb/>
Natur des Chriſtenthums ſchließt dieſe rein nationelle Be-<lb/>
handlung aus. Im Mittelalter verſuchte die Kirche, die<lb/>
Staaten ſelbſt ſich unterzuordnen und zu beherrſchen. Wir<lb/>
können die verſchiedenen chriſtlichen Kirchen nur betrach-<lb/>
ten als neben dem Staate, aber in mannichfaltiger und<lb/>
inniger Berührung mit demſelben, ſtehend. Daher iſt uns<lb/>
das Kirchenrecht ein für ſich beſtehendes Rechtsgebiet, das<lb/>
weder dem öffentlichen noch dem Privatrecht untergeordnet<lb/>
werden darf.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 10.<lb/><hirendition="#g">Abweichende Meynungen über den Staat</hi>.</head><lb/><p>Es fehlt aber viel, daß die hier aufgeſtellte Anſicht<lb/>
von der Entſtehung und dem Weſen des Staats allgemein<lb/>
Anerkennung fände.</p><lb/><p>Zuvörderſt iſt es auch hier wieder der unbeſtimmte<lb/>
Begriff einer Menge überhaupt, abſtrahirt von der Volks-<lb/>
einheit, welcher häufig als Subject des Staats gedacht<lb/>
wird. Dieſer Behauptung aber widerſpricht vor Allem<lb/>
die Thatſache, daß es zu allen Zeiten Völker waren, welche<lb/>
in der organiſchen Geſtalt von Staaten aufgetreten ſind,<lb/>
und wo auch der Verſuch im Großen gemacht worden iſt,<lb/>
Maſſen von Menſchen ohne Rückſicht auf gänzliche Stamm-<lb/>
verſchiedenheit willkührlich zuſammen zu bringen, wie in<lb/>
den Amerikaniſchen Sklavenſtaaten, da iſt der Erfolg ſehr<lb/>
unglücklich geweſen, und es haben ſich der Staatenbildung<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[28/0084]
Buch I. Quellen. Kap. II. Allg. Natur der Quellen.
der Staatsgewalt untergeordnet (d). Die weltumfaſſende
Natur des Chriſtenthums ſchließt dieſe rein nationelle Be-
handlung aus. Im Mittelalter verſuchte die Kirche, die
Staaten ſelbſt ſich unterzuordnen und zu beherrſchen. Wir
können die verſchiedenen chriſtlichen Kirchen nur betrach-
ten als neben dem Staate, aber in mannichfaltiger und
inniger Berührung mit demſelben, ſtehend. Daher iſt uns
das Kirchenrecht ein für ſich beſtehendes Rechtsgebiet, das
weder dem öffentlichen noch dem Privatrecht untergeordnet
werden darf.
§. 10.
Abweichende Meynungen über den Staat.
Es fehlt aber viel, daß die hier aufgeſtellte Anſicht
von der Entſtehung und dem Weſen des Staats allgemein
Anerkennung fände.
Zuvörderſt iſt es auch hier wieder der unbeſtimmte
Begriff einer Menge überhaupt, abſtrahirt von der Volks-
einheit, welcher häufig als Subject des Staats gedacht
wird. Dieſer Behauptung aber widerſpricht vor Allem
die Thatſache, daß es zu allen Zeiten Völker waren, welche
in der organiſchen Geſtalt von Staaten aufgetreten ſind,
und wo auch der Verſuch im Großen gemacht worden iſt,
Maſſen von Menſchen ohne Rückſicht auf gänzliche Stamm-
verſchiedenheit willkührlich zuſammen zu bringen, wie in
den Amerikaniſchen Sklavenſtaaten, da iſt der Erfolg ſehr
unglücklich geweſen, und es haben ſich der Staatenbildung
(d) L. 1. §. 2. de just. et jure (I. 1.).
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Savigny, Friedrich Carl von: System des heutigen Römischen Rechts. Bd. 1. Berlin, 1840, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_system01_1840/84>, abgerufen am 03.03.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.