Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814.

Bild:
<< vorherige Seite
2.
Entstehung des positiven Rechts.

Wir befragen zuerst die Geschichte, wie sich bey
Völkern edler Stämme das Recht wirklich entwickelt
hat: dem Urtheil, was hieran gut, vielleicht nothwen-
dig, oder aber tadelnswerth seyn möge, ist damit
keinesweges vorgegriffen.

Wo wir zuerst urkundliche Geschichte finden, hat
das bürgerliche Recht schon einen bestimmten Cha-
racter, dem Volk eigenthümlich, so wie seine Sprache,
Sitte, Verfassung. Ja diese Erscheinungen haben kein
abgesondertes Daseyn, es sind nur einzelne Kräfte
und Thätigkeiten des einen Volkes, in der Natur un-
trennbar verbunden, und nur unsrer Betrachtung als
besondere Eigenschaften erscheinend. Was sie zu ei-
nem Ganzen verknüpft, ist die gemeinsame Ueberzeu-
gung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Noth-
wendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und
willkührliche Entstehung ausschließt.

Wie diese eigenthümlichen Functionen der Völ-
ker, wodurch sie selbst erst zu Individuen werden,
entstanden sind, diese Frage ist auf geschichtlichem
Wege nicht zu beantworten. In neueren Zeiten ist
die Ansicht herrschend gewesen, daß alles zuerst in

2.
Entſtehung des poſitiven Rechts.

Wir befragen zuerſt die Geſchichte, wie ſich bey
Völkern edler Stämme das Recht wirklich entwickelt
hat: dem Urtheil, was hieran gut, vielleicht nothwen-
dig, oder aber tadelnswerth ſeyn möge, iſt damit
keinesweges vorgegriffen.

Wo wir zuerſt urkundliche Geſchichte finden, hat
das bürgerliche Recht ſchon einen beſtimmten Cha-
racter, dem Volk eigenthümlich, ſo wie ſeine Sprache,
Sitte, Verfaſſung. Ja dieſe Erſcheinungen haben kein
abgeſondertes Daſeyn, es ſind nur einzelne Kräfte
und Thätigkeiten des einen Volkes, in der Natur un-
trennbar verbunden, und nur unſrer Betrachtung als
beſondere Eigenſchaften erſcheinend. Was ſie zu ei-
nem Ganzen verknüpft, iſt die gemeinſame Ueberzeu-
gung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Noth-
wendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und
willkührliche Entſtehung ausſchließt.

Wie dieſe eigenthümlichen Functionen der Völ-
ker, wodurch ſie ſelbſt erſt zu Individuen werden,
entſtanden ſind, dieſe Frage iſt auf geſchichtlichem
Wege nicht zu beantworten. In neueren Zeiten iſt
die Anſicht herrſchend geweſen, daß alles zuerſt in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0018" n="8"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">2.<lb/><hi rendition="#g">Ent&#x017F;tehung des po&#x017F;itiven Rechts</hi>.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p><hi rendition="#in">W</hi>ir befragen zuer&#x017F;t die Ge&#x017F;chichte, wie &#x017F;ich bey<lb/>
Völkern edler Stämme das Recht wirklich entwickelt<lb/>
hat: dem Urtheil, was hieran gut, vielleicht nothwen-<lb/>
dig, oder aber tadelnswerth &#x017F;eyn möge, i&#x017F;t damit<lb/>
keinesweges vorgegriffen.</p><lb/>
        <p>Wo wir zuer&#x017F;t urkundliche Ge&#x017F;chichte finden, hat<lb/>
das bürgerliche Recht &#x017F;chon einen be&#x017F;timmten Cha-<lb/>
racter, dem Volk eigenthümlich, &#x017F;o wie &#x017F;eine Sprache,<lb/>
Sitte, Verfa&#x017F;&#x017F;ung. Ja die&#x017F;e Er&#x017F;cheinungen haben kein<lb/>
abge&#x017F;ondertes Da&#x017F;eyn, es &#x017F;ind nur einzelne Kräfte<lb/>
und Thätigkeiten des einen Volkes, in der Natur un-<lb/>
trennbar verbunden, und nur un&#x017F;rer Betrachtung als<lb/>
be&#x017F;ondere Eigen&#x017F;chaften er&#x017F;cheinend. Was &#x017F;ie zu ei-<lb/>
nem Ganzen verknüpft, i&#x017F;t die gemein&#x017F;ame Ueberzeu-<lb/>
gung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Noth-<lb/>
wendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und<lb/>
willkührliche Ent&#x017F;tehung aus&#x017F;chließt.</p><lb/>
        <p>Wie die&#x017F;e eigenthümlichen Functionen der Völ-<lb/>
ker, wodurch &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t er&#x017F;t zu Individuen werden,<lb/>
ent&#x017F;tanden &#x017F;ind, die&#x017F;e Frage i&#x017F;t auf ge&#x017F;chichtlichem<lb/>
Wege nicht zu beantworten. In neueren Zeiten i&#x017F;t<lb/>
die An&#x017F;icht herr&#x017F;chend gewe&#x017F;en, daß alles zuer&#x017F;t in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0018] 2. Entſtehung des poſitiven Rechts. Wir befragen zuerſt die Geſchichte, wie ſich bey Völkern edler Stämme das Recht wirklich entwickelt hat: dem Urtheil, was hieran gut, vielleicht nothwen- dig, oder aber tadelnswerth ſeyn möge, iſt damit keinesweges vorgegriffen. Wo wir zuerſt urkundliche Geſchichte finden, hat das bürgerliche Recht ſchon einen beſtimmten Cha- racter, dem Volk eigenthümlich, ſo wie ſeine Sprache, Sitte, Verfaſſung. Ja dieſe Erſcheinungen haben kein abgeſondertes Daſeyn, es ſind nur einzelne Kräfte und Thätigkeiten des einen Volkes, in der Natur un- trennbar verbunden, und nur unſrer Betrachtung als beſondere Eigenſchaften erſcheinend. Was ſie zu ei- nem Ganzen verknüpft, iſt die gemeinſame Ueberzeu- gung des Volkes, das gleiche Gefühl innerer Noth- wendigkeit, welches allen Gedanken an zufällige und willkührliche Entſtehung ausſchließt. Wie dieſe eigenthümlichen Functionen der Völ- ker, wodurch ſie ſelbſt erſt zu Individuen werden, entſtanden ſind, dieſe Frage iſt auf geſchichtlichem Wege nicht zu beantworten. In neueren Zeiten iſt die Anſicht herrſchend geweſen, daß alles zuerſt in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/18
Zitationshilfe: Savigny, Friedrich Carl von: Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. Heidelberg, 1814, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/savigny_gesetzgebung_1814/18>, abgerufen am 22.12.2024.