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Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785.

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II.

Der Gedanke, nicht nur meinen Körper,
sondern noch mehr, meine Verstandeskraefte,
in einem hohen Grade geschwaecht zu haben,
foltert mich unaufhörlich, und bringt mich
beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer-
den Sie denken, wenn ich Ihnen sage, dass
ich, ungeachtet der Begehung dieses Lasters,
dennoch in allen Klassen immer für einen der
vorzüglichsten Schüler gehalten wurde? Es
fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt-
nissen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de-
nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieses
verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn
ich denke, ich will nicht sagen welcher ge-
lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich
durch Bebauung meiner natürlichen Talente
haette werden, wie viel Gutes ich haette stif-
ten können, auch in meiner Familie, und wie
nun das alles so gaenzlich vorbey ist, wie die
vergangene Minute, o! dann, dann fühl' ich
Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft,
diese Quelle alles Schönen, ist vertrocknet;
mein Gedaechtniss ist geschwaecht, und mein
Geist, zu alle dem, was eine ununterbroche-
ne Anstrengung erfodert, und zu den ernsten

Wis-
(Von heimlichen Saunden.) (F)
II.

Der Gedanke, nicht nur meinen Körper,
ſondern noch mehr, meine Verſtandeskræfte,
in einem hohen Grade geſchwæcht zu haben,
foltert mich unaufhörlich, und bringt mich
beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer-
den Sie denken, wenn ich Ihnen ſage, daſs
ich, ungeachtet der Begehung dieſes Laſters,
dennoch in allen Klaſſen immer für einen der
vorzüglichſten Schüler gehalten wurde? Es
fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt-
niſſen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de-
nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieſes
verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn
ich denke, ich will nicht ſagen welcher ge-
lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich
durch Bebauung meiner natürlichen Talente
hætte werden, wie viel Gutes ich hætte ſtif-
ten können, auch in meiner Familie, und wie
nun das alles ſo gænzlich vorbey iſt, wie die
vergangene Minute, o! dann, dann fühl’ ich
Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft,
dieſe Quelle alles Schönen, iſt vertrocknet;
mein Gedæchtniſs iſt geſchwæcht, und mein
Geiſt, zu alle dem, was eine ununterbroche-
ne Anſtrengung erfodert, und zu den ernſten

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[81/0091] II. Der Gedanke, nicht nur meinen Körper, ſondern noch mehr, meine Verſtandeskræfte, in einem hohen Grade geſchwæcht zu haben, foltert mich unaufhörlich, und bringt mich beynahe zur Verzweiflung. Denn was wer- den Sie denken, wenn ich Ihnen ſage, daſs ich, ungeachtet der Begehung dieſes Laſters, dennoch in allen Klaſſen immer für einen der vorzüglichſten Schüler gehalten wurde? Es fehlt mir auch jetzt nicht an manchen Kennt- niſſen. Aber wenn ich meine jetzigen mit de- nen vergleiche, die ich, ohne Begehung dieſes verfluchten Verbrechens, haben würde, wenn ich denke, ich will nicht ſagen welcher ge- lehrte, doch welcher brauchbare Mann, ich durch Bebauung meiner natürlichen Talente hætte werden, wie viel Gutes ich hætte ſtif- ten können, auch in meiner Familie, und wie nun das alles ſo gænzlich vorbey iſt, wie die vergangene Minute, o! dann, dann fühl’ ich Höllenqual. Meine lebhafte Einbildungskraft, dieſe Quelle alles Schönen, iſt vertrocknet; mein Gedæchtniſs iſt geſchwæcht, und mein Geiſt, zu alle dem, was eine ununterbroche- ne Anſtrengung erfodert, und zu den ernſten Wiſ- (Von heimlichen Sûnden.) (F)

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Zitationshilfe: Salzmann, Christian Gotthilf: Ueber die heimlichen Sünden der Jugend. Leipzig, 1785, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/salzmann_suenden_1785/91>, abgerufen am 27.04.2024.