Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831.

Bild:
<< vorherige Seite

I.
Was Raphael vor allen neueren Künstlern
auszeichnet
.

Obwohl seit etwa dreihundert Jahren in den gestaltenden
Künsten verlockende Theorieen und blendende Erscheinungen
unablässig die eine die andere verdrängt haben, nirgend ein
sicherer Geschmack gegen die vorwaltende Neigung zum Neuen
und Wechselnden sich behaupten konnte, so erhielt sich den-
noch im Verlaufe dieser Zeit eine gewisse unentschiedene Mei-
nung von dem überlegenen Verdienste Raphaels, wurden seine
Werke von denen, welche vom Copiren sich Nutzen versprechen,
stets als besonders musterhaft anempfohlen. In diesem Be-
ginnen der ästhetischen Praxis liegt ein Widerspruch, welcher
allein aus dem Kampfe des Gefühls gegen den machtvollen
Einfluß theoretischer Richtungen zu erklären ist.

Diesen letzten hielt bey den Alten das lebendigste, rich-
tigste Gefühl völlig die Wage. Die neuere Bildung hinge-
gen begünstigt in Dingen des Geschmackes den Einfluß jeg-
licher, den Anschein eines methodischen Fortschreitens bewah-

1 *

I.
Was Raphael vor allen neueren Künſtlern
auszeichnet
.

Obwohl ſeit etwa dreihundert Jahren in den geſtaltenden
Kuͤnſten verlockende Theorieen und blendende Erſcheinungen
unablaͤſſig die eine die andere verdraͤngt haben, nirgend ein
ſicherer Geſchmack gegen die vorwaltende Neigung zum Neuen
und Wechſelnden ſich behaupten konnte, ſo erhielt ſich den-
noch im Verlaufe dieſer Zeit eine gewiſſe unentſchiedene Mei-
nung von dem uͤberlegenen Verdienſte Raphaels, wurden ſeine
Werke von denen, welche vom Copiren ſich Nutzen verſprechen,
ſtets als beſonders muſterhaft anempfohlen. In dieſem Be-
ginnen der aͤſthetiſchen Praxis liegt ein Widerſpruch, welcher
allein aus dem Kampfe des Gefuͤhls gegen den machtvollen
Einfluß theoretiſcher Richtungen zu erklaͤren iſt.

Dieſen letzten hielt bey den Alten das lebendigſte, rich-
tigſte Gefuͤhl voͤllig die Wage. Die neuere Bildung hinge-
gen beguͤnſtigt in Dingen des Geſchmackes den Einfluß jeg-
licher, den Anſchein eines methodiſchen Fortſchreitens bewah-

1 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0025" n="[3]"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I</hi>.<lb/><hi rendition="#g">Was <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphael</persName> vor allen neueren Kün&#x017F;tlern<lb/>
auszeichnet</hi>.</hi> </head><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <p><hi rendition="#in">O</hi>bwohl &#x017F;eit etwa dreihundert Jahren in den ge&#x017F;taltenden<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;ten verlockende Theorieen und blendende Er&#x017F;cheinungen<lb/>
unabla&#x0364;&#x017F;&#x017F;ig die eine die andere verdra&#x0364;ngt haben, nirgend ein<lb/>
&#x017F;icherer Ge&#x017F;chmack gegen die vorwaltende Neigung zum Neuen<lb/>
und Wech&#x017F;elnden &#x017F;ich behaupten konnte, &#x017F;o erhielt &#x017F;ich den-<lb/>
noch im Verlaufe die&#x017F;er Zeit eine gewi&#x017F;&#x017F;e unent&#x017F;chiedene Mei-<lb/>
nung von dem u&#x0364;berlegenen Verdien&#x017F;te <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName>, wurden &#x017F;eine<lb/>
Werke von denen, welche vom Copiren &#x017F;ich Nutzen ver&#x017F;prechen,<lb/>
&#x017F;tets als be&#x017F;onders mu&#x017F;terhaft anempfohlen. In die&#x017F;em Be-<lb/>
ginnen der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Praxis liegt ein Wider&#x017F;pruch, welcher<lb/>
allein aus dem Kampfe des Gefu&#x0364;hls gegen den machtvollen<lb/>
Einfluß theoreti&#x017F;cher Richtungen zu erkla&#x0364;ren i&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;en letzten hielt bey den Alten das lebendig&#x017F;te, rich-<lb/>
tig&#x017F;te Gefu&#x0364;hl vo&#x0364;llig die Wage. Die neuere Bildung hinge-<lb/>
gen begu&#x0364;n&#x017F;tigt in Dingen des Ge&#x017F;chmackes den Einfluß jeg-<lb/>
licher, den An&#x017F;chein eines methodi&#x017F;chen Fort&#x017F;chreitens bewah-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[3]/0025] I. Was Raphael vor allen neueren Künſtlern auszeichnet. Obwohl ſeit etwa dreihundert Jahren in den geſtaltenden Kuͤnſten verlockende Theorieen und blendende Erſcheinungen unablaͤſſig die eine die andere verdraͤngt haben, nirgend ein ſicherer Geſchmack gegen die vorwaltende Neigung zum Neuen und Wechſelnden ſich behaupten konnte, ſo erhielt ſich den- noch im Verlaufe dieſer Zeit eine gewiſſe unentſchiedene Mei- nung von dem uͤberlegenen Verdienſte Raphaels, wurden ſeine Werke von denen, welche vom Copiren ſich Nutzen verſprechen, ſtets als beſonders muſterhaft anempfohlen. In dieſem Be- ginnen der aͤſthetiſchen Praxis liegt ein Widerſpruch, welcher allein aus dem Kampfe des Gefuͤhls gegen den machtvollen Einfluß theoretiſcher Richtungen zu erklaͤren iſt. Dieſen letzten hielt bey den Alten das lebendigſte, rich- tigſte Gefuͤhl voͤllig die Wage. Die neuere Bildung hinge- gen beguͤnſtigt in Dingen des Geſchmackes den Einfluß jeg- licher, den Anſchein eines methodiſchen Fortſchreitens bewah- 1 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/25
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 3. Berlin u. a., 1831, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen03_1831/25>, abgerufen am 18.11.2024.