Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839.66. Das irdische an dir, Geschöpf, sind deine Glieder, Vom Himmel hast du, sollst du haben dein Gefieder. Dein Vorbild sei, o Mensch, so lang du Raupe bist, Der Schmetterling, der ganz Flügel geworden ist. Die edle Pflanze hat ein Baum sich ausgegliedert, Und oben schwebt das Blatt im Sonnenschein gefiedert. Sei von des Himmels Thau, der Pflanze gleich, begossen, Daß wie an ihr das Blatt, an dir die Flügel sprossen! Ums Haupt der Schönheit wallt dem Laube gleich die Locke, Das Himmelslüfte sie zum Spiel herniederlocke. Und wenn dich selbst es lockt zu spielen mit dem Duft Der Locken, spiele fein mit ihm wie Himmelsluft. Der Lock' ermangelt ein behaarter Thieretroß; Bemähnt ist edel nur der Leu und stolz das Roß. Den Vögeln aber sind die Flügel angeboren, Die Vögel haben sie behalten, wir verloren. 66. Das irdiſche an dir, Geſchoͤpf, ſind deine Glieder, Vom Himmel haſt du, ſollſt du haben dein Gefieder. Dein Vorbild ſei, o Menſch, ſo lang du Raupe biſt, Der Schmetterling, der ganz Fluͤgel geworden iſt. Die edle Pflanze hat ein Baum ſich ausgegliedert, Und oben ſchwebt das Blatt im Sonnenſchein gefiedert. Sei von des Himmels Thau, der Pflanze gleich, begoſſen, Daß wie an ihr das Blatt, an dir die Fluͤgel ſproſſen! Ums Haupt der Schoͤnheit wallt dem Laube gleich die Locke, Das Himmelsluͤfte ſie zum Spiel herniederlocke. Und wenn dich ſelbſt es lockt zu ſpielen mit dem Duft Der Locken, ſpiele fein mit ihm wie Himmelsluft. Der Lock' ermangelt ein behaarter Thieretroß; Bemaͤhnt iſt edel nur der Leu und ſtolz das Roß. Den Voͤgeln aber ſind die Fluͤgel angeboren, Die Voͤgel haben ſie behalten, wir verloren. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0075" n="65"/> <div n="2"> <head>66.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Das irdiſche an dir, Geſchoͤpf, ſind deine Glieder,</l><lb/> <l>Vom Himmel haſt du, ſollſt du haben dein Gefieder.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Dein Vorbild ſei, o Menſch, ſo lang du Raupe biſt,</l><lb/> <l>Der Schmetterling, der ganz Fluͤgel geworden iſt.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Die edle Pflanze hat ein Baum ſich ausgegliedert,</l><lb/> <l>Und oben ſchwebt das Blatt im Sonnenſchein gefiedert.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Sei von des Himmels Thau, der Pflanze gleich, begoſſen,</l><lb/> <l>Daß wie an ihr das Blatt, an dir die Fluͤgel ſproſſen!</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Ums Haupt der Schoͤnheit wallt dem Laube gleich die Locke,</l><lb/> <l>Das Himmelsluͤfte ſie zum Spiel herniederlocke.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und wenn dich ſelbſt es lockt zu ſpielen mit dem Duft</l><lb/> <l>Der Locken, ſpiele fein mit ihm wie Himmelsluft.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Der Lock' ermangelt ein behaarter Thieretroß;</l><lb/> <l>Bemaͤhnt iſt edel nur der Leu und ſtolz das Roß.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Den Voͤgeln aber ſind die Fluͤgel angeboren,</l><lb/> <l>Die Voͤgel haben ſie behalten, wir verloren.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [65/0075]
66.
Das irdiſche an dir, Geſchoͤpf, ſind deine Glieder,
Vom Himmel haſt du, ſollſt du haben dein Gefieder.
Dein Vorbild ſei, o Menſch, ſo lang du Raupe biſt,
Der Schmetterling, der ganz Fluͤgel geworden iſt.
Die edle Pflanze hat ein Baum ſich ausgegliedert,
Und oben ſchwebt das Blatt im Sonnenſchein gefiedert.
Sei von des Himmels Thau, der Pflanze gleich, begoſſen,
Daß wie an ihr das Blatt, an dir die Fluͤgel ſproſſen!
Ums Haupt der Schoͤnheit wallt dem Laube gleich die Locke,
Das Himmelsluͤfte ſie zum Spiel herniederlocke.
Und wenn dich ſelbſt es lockt zu ſpielen mit dem Duft
Der Locken, ſpiele fein mit ihm wie Himmelsluft.
Der Lock' ermangelt ein behaarter Thieretroß;
Bemaͤhnt iſt edel nur der Leu und ſtolz das Roß.
Den Voͤgeln aber ſind die Fluͤgel angeboren,
Die Voͤgel haben ſie behalten, wir verloren.
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