Der Knabe sitzt am See, und taucht die Ruthe drein; Die außen grade war, scheint innen krumm zu seyn.
Er zieht die Ruth' hervor, da ist sie wieder grade, Taucht neu sie drein, und krumm ist sie im Wellenbade.
So oft er ein sie taucht, ist sie auch wieder krumm, Und grade, wenn er sie hervorholt wiederum.
Der Knabe spricht: du scheinst so lauter, es ist Schade, Daß du so falsch doch bist, dein Sinn ist nicht gerade.
Das Grade machst du krumm; geh weg, du bist ein Wicht. Da hört der Knabe, wie der See mit Rauschen spricht:
Daß ohne Falsch ich bin und lauter bis zum Grund, Thut dir dein eignes Bild und das der Sonne kund.
Denk, eh du schlimmes denkst, dein Aug' ist nur nicht fein Genug, das Grade recht zu sehn im schiefen Schein.
52.
Der Knabe ſitzt am See, und taucht die Ruthe drein; Die außen grade war, ſcheint innen krumm zu ſeyn.
Er zieht die Ruth' hervor, da iſt ſie wieder grade, Taucht neu ſie drein, und krumm iſt ſie im Wellenbade.
So oft er ein ſie taucht, iſt ſie auch wieder krumm, Und grade, wenn er ſie hervorholt wiederum.
Der Knabe ſpricht: du ſcheinſt ſo lauter, es iſt Schade, Daß du ſo falſch doch biſt, dein Sinn iſt nicht gerade.
Das Grade machſt du krumm; geh weg, du biſt ein Wicht. Da hoͤrt der Knabe, wie der See mit Rauſchen ſpricht:
Daß ohne Falſch ich bin und lauter bis zum Grund, Thut dir dein eignes Bild und das der Sonne kund.
Denk, eh du ſchlimmes denkſt, dein Aug' iſt nur nicht fein Genug, das Grade recht zu ſehn im ſchiefen Schein.
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0063"n="53"/><divn="2"><head>52.</head><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l>Der Knabe ſitzt am See, und taucht die Ruthe drein;</l><lb/><l>Die außen grade war, ſcheint innen krumm zu ſeyn.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Er zieht die Ruth' hervor, da iſt ſie wieder grade,</l><lb/><l>Taucht neu ſie drein, und krumm iſt ſie im Wellenbade.</l></lg><lb/><lgn="3"><l>So oft er ein ſie taucht, iſt ſie auch wieder krumm,</l><lb/><l>Und grade, wenn er ſie hervorholt wiederum.</l></lg><lb/><lgn="4"><l>Der Knabe ſpricht: du ſcheinſt ſo lauter, es iſt Schade,</l><lb/><l>Daß du ſo falſch doch biſt, dein Sinn iſt nicht gerade.</l></lg><lb/><lgn="5"><l>Das Grade machſt du krumm; geh weg, du biſt ein Wicht.</l><lb/><l>Da hoͤrt der Knabe, wie der See mit Rauſchen ſpricht:</l></lg><lb/><lgn="6"><l>Daß ohne Falſch ich bin und lauter bis zum Grund,</l><lb/><l>Thut dir dein eignes Bild und das der Sonne kund.</l></lg><lb/><lgn="7"><l>Denk, eh du ſchlimmes denkſt, dein Aug' iſt nur nicht fein</l><lb/><l>Genug, das Grade recht zu ſehn im ſchiefen Schein.</l></lg><lb/></lg></div><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[53/0063]
52.
Der Knabe ſitzt am See, und taucht die Ruthe drein;
Die außen grade war, ſcheint innen krumm zu ſeyn.
Er zieht die Ruth' hervor, da iſt ſie wieder grade,
Taucht neu ſie drein, und krumm iſt ſie im Wellenbade.
So oft er ein ſie taucht, iſt ſie auch wieder krumm,
Und grade, wenn er ſie hervorholt wiederum.
Der Knabe ſpricht: du ſcheinſt ſo lauter, es iſt Schade,
Daß du ſo falſch doch biſt, dein Sinn iſt nicht gerade.
Das Grade machſt du krumm; geh weg, du biſt ein Wicht.
Da hoͤrt der Knabe, wie der See mit Rauſchen ſpricht:
Daß ohne Falſch ich bin und lauter bis zum Grund,
Thut dir dein eignes Bild und das der Sonne kund.
Denk, eh du ſchlimmes denkſt, dein Aug' iſt nur nicht fein
Genug, das Grade recht zu ſehn im ſchiefen Schein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 5. Leipzig, 1839, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane05_1839/63>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.