Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838.113. Wer sich als Menschen fühlt, und tief in sich empfindet, Daß mit der Menschheit ihn die Menschlichkeit verbindet, Der wird nicht wollen, wird nicht können auch, die Leiden Und Freuden des Geschlechts von seinen eignen scheiden. Wes irgend einer vom Geschlecht sich freut' und litt, Mitfreuen wird es ihn, und leiden wird ers mit. Doch Freud' ist Geistesthat, zur Freud' ist er berufen; Ein Thor nur glaubt, daß ihn zum Leiden Götter schufen. Vernunft will freie That; wer ihre Stimme hört, Räumt freudig weg, was ihm Freiheit und Freude stört, Räumt weg die Leidenschaft, und mit ihr seine Leiden; Wird er nun auch darum den Anblick fremder meiden? Ja, wenn er, dumpf genug, nicht fühlt, was er nicht sieht, Auch der Vorstellung mit dem Anblick sich entzieht. Viel lieber kämpfen wird er mit des Geistes Waffen, Vom Leiden frei wie sich auch andere zu schaffen. 113. Wer ſich als Menſchen fuͤhlt, und tief in ſich empfindet, Daß mit der Menſchheit ihn die Menſchlichkeit verbindet, Der wird nicht wollen, wird nicht koͤnnen auch, die Leiden Und Freuden des Geſchlechts von ſeinen eignen ſcheiden. Wes irgend einer vom Geſchlecht ſich freut' und litt, Mitfreuen wird es ihn, und leiden wird ers mit. Doch Freud' iſt Geiſtesthat, zur Freud' iſt er berufen; Ein Thor nur glaubt, daß ihn zum Leiden Goͤtter ſchufen. Vernunft will freie That; wer ihre Stimme hoͤrt, Raͤumt freudig weg, was ihm Freiheit und Freude ſtoͤrt, Raͤumt weg die Leidenſchaft, und mit ihr ſeine Leiden; Wird er nun auch darum den Anblick fremder meiden? Ja, wenn er, dumpf genug, nicht fuͤhlt, was er nicht ſieht, Auch der Vorſtellung mit dem Anblick ſich entzieht. Viel lieber kaͤmpfen wird er mit des Geiſtes Waffen, Vom Leiden frei wie ſich auch andere zu ſchaffen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0087" n="77"/> <div n="2"> <head>113.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Wer ſich als Menſchen fuͤhlt, und tief in ſich empfindet,</l><lb/> <l>Daß mit der Menſchheit ihn die Menſchlichkeit verbindet,</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Der wird nicht wollen, wird nicht koͤnnen auch, die Leiden</l><lb/> <l>Und Freuden des Geſchlechts von ſeinen eignen ſcheiden.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wes irgend einer vom Geſchlecht ſich freut' und litt,</l><lb/> <l>Mitfreuen wird es ihn, und leiden wird ers mit.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Doch Freud' iſt Geiſtesthat, zur Freud' iſt er berufen;</l><lb/> <l>Ein Thor nur glaubt, daß ihn zum Leiden Goͤtter ſchufen.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Vernunft will freie That; wer ihre Stimme hoͤrt,</l><lb/> <l>Raͤumt freudig weg, was ihm Freiheit und Freude ſtoͤrt,</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Raͤumt weg die Leidenſchaft, und mit ihr ſeine Leiden;</l><lb/> <l>Wird er nun auch darum den Anblick fremder meiden?</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Ja, wenn er, dumpf genug, nicht fuͤhlt, was er nicht ſieht,</l><lb/> <l>Auch der Vorſtellung mit dem Anblick ſich entzieht.</l> </lg><lb/> <lg n="8"> <l>Viel lieber kaͤmpfen wird er mit des Geiſtes Waffen,</l><lb/> <l>Vom Leiden frei wie ſich auch andere zu ſchaffen.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [77/0087]
113.
Wer ſich als Menſchen fuͤhlt, und tief in ſich empfindet,
Daß mit der Menſchheit ihn die Menſchlichkeit verbindet,
Der wird nicht wollen, wird nicht koͤnnen auch, die Leiden
Und Freuden des Geſchlechts von ſeinen eignen ſcheiden.
Wes irgend einer vom Geſchlecht ſich freut' und litt,
Mitfreuen wird es ihn, und leiden wird ers mit.
Doch Freud' iſt Geiſtesthat, zur Freud' iſt er berufen;
Ein Thor nur glaubt, daß ihn zum Leiden Goͤtter ſchufen.
Vernunft will freie That; wer ihre Stimme hoͤrt,
Raͤumt freudig weg, was ihm Freiheit und Freude ſtoͤrt,
Raͤumt weg die Leidenſchaft, und mit ihr ſeine Leiden;
Wird er nun auch darum den Anblick fremder meiden?
Ja, wenn er, dumpf genug, nicht fuͤhlt, was er nicht ſieht,
Auch der Vorſtellung mit dem Anblick ſich entzieht.
Viel lieber kaͤmpfen wird er mit des Geiſtes Waffen,
Vom Leiden frei wie ſich auch andere zu ſchaffen.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 4. Leipzig, 1838, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane04_1838/87>, abgerufen am 22.02.2025. |