Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.75. Welch eine Pflanze trägt im Frühling ihren Samen, Da ihre Blüten erst hervor im Herbste kamen? Die Zeitlos' ist hierin der Blumen Widerspiel, Daß sie am Anfang ist, wo jene sind am Ziel; Daß sie am Ziel ist, wo am Anfang jene stehn; Drum hat sie die Natur zum Sinnbild ausersehn, Das aus dem Herbste, wo der Sturm das Feld erbeutet, Den kahlen Winter durch, zum Lenz hinüber deutet. Da sie im Sommer nicht zu reifen Zeit gewann, Und nur die Blütenspitz' im Herbste zeigen kann; Jenseit des Frostes tritt, geweckt von Frühlingsluft, Die Samenkapsel samt den Blättern aus der Gruft. Zeitlose heißt sie, weil sie vom Gesetz der Zeit Ist gleichsam losgesagt, der Ewigkeit geweiht. 75. Welch eine Pflanze traͤgt im Fruͤhling ihren Samen, Da ihre Bluͤten erſt hervor im Herbſte kamen? Die Zeitloſ' iſt hierin der Blumen Widerſpiel, Daß ſie am Anfang iſt, wo jene ſind am Ziel; Daß ſie am Ziel iſt, wo am Anfang jene ſtehn; Drum hat ſie die Natur zum Sinnbild auserſehn, Das aus dem Herbſte, wo der Sturm das Feld erbeutet, Den kahlen Winter durch, zum Lenz hinuͤber deutet. Da ſie im Sommer nicht zu reifen Zeit gewann, Und nur die Bluͤtenſpitz' im Herbſte zeigen kann; Jenſeit des Froſtes tritt, geweckt von Fruͤhlingsluft, Die Samenkapſel ſamt den Blaͤttern aus der Gruft. Zeitloſe heißt ſie, weil ſie vom Geſetz der Zeit Iſt gleichſam losgeſagt, der Ewigkeit geweiht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0076" n="66"/> <div n="2"> <head>75.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Welch eine Pflanze traͤgt im Fruͤhling ihren Samen,</l><lb/> <l>Da ihre Bluͤten erſt hervor im Herbſte kamen?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Die Zeitloſ' iſt hierin der Blumen Widerſpiel,</l><lb/> <l>Daß ſie am Anfang iſt, wo jene ſind am Ziel;</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Daß ſie am Ziel iſt, wo am Anfang jene ſtehn;</l><lb/> <l>Drum hat ſie die Natur zum Sinnbild auserſehn,</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Das aus dem Herbſte, wo der Sturm das Feld erbeutet,</l><lb/> <l>Den kahlen Winter durch, zum Lenz hinuͤber deutet.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Da ſie im Sommer nicht zu reifen Zeit gewann,</l><lb/> <l>Und nur die Bluͤtenſpitz' im Herbſte zeigen kann;</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Jenſeit des Froſtes tritt, geweckt von Fruͤhlingsluft,</l><lb/> <l>Die Samenkapſel ſamt den Blaͤttern aus der Gruft.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Zeitloſe heißt ſie, weil ſie vom Geſetz der Zeit</l><lb/> <l>Iſt gleichſam losgeſagt, der Ewigkeit geweiht.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> </body> </text> </TEI> [66/0076]
75.
Welch eine Pflanze traͤgt im Fruͤhling ihren Samen,
Da ihre Bluͤten erſt hervor im Herbſte kamen?
Die Zeitloſ' iſt hierin der Blumen Widerſpiel,
Daß ſie am Anfang iſt, wo jene ſind am Ziel;
Daß ſie am Ziel iſt, wo am Anfang jene ſtehn;
Drum hat ſie die Natur zum Sinnbild auserſehn,
Das aus dem Herbſte, wo der Sturm das Feld erbeutet,
Den kahlen Winter durch, zum Lenz hinuͤber deutet.
Da ſie im Sommer nicht zu reifen Zeit gewann,
Und nur die Bluͤtenſpitz' im Herbſte zeigen kann;
Jenſeit des Froſtes tritt, geweckt von Fruͤhlingsluft,
Die Samenkapſel ſamt den Blaͤttern aus der Gruft.
Zeitloſe heißt ſie, weil ſie vom Geſetz der Zeit
Iſt gleichſam losgeſagt, der Ewigkeit geweiht.
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