Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.28. Die Zunge geht dahin, wo weh der Zahn dir thut, Und mehret so den Schmerz, den sie will machen gut. Wie oft hat so die Zung' auch weh statt wohl gethan Bei Schmerzen tiefern als aus einem holen Zahn. 29. Die Sinne, welchen Gott die obre Stelle gab, Sehn auf die untere mit zuviel Stolz herab. Sie sehn vor lauter Stolz nicht ein auf hohem Pfühl, Daß sie nichts sind als ein besondertes Gefühl. Das Auge fühlt das Licht, und sieht, vom Licht berührt; Und durch Erschüttrung wird der Schall ins Ohr geführt. Die Nase riecht den Ruch, es schmeckt den Schmack der Mund; Empfindlich spüren sie, was sich vom Ding thut kund. Wenn tastend Aug' und Ohr ausgreifen in die Ferne, Mag alles Nas' und Mund in sich hineinziehn gerne. 28. Die Zunge geht dahin, wo weh der Zahn dir thut, Und mehret ſo den Schmerz, den ſie will machen gut. Wie oft hat ſo die Zung' auch weh ſtatt wohl gethan Bei Schmerzen tiefern als aus einem holen Zahn. 29. Die Sinne, welchen Gott die obre Stelle gab, Sehn auf die untere mit zuviel Stolz herab. Sie ſehn vor lauter Stolz nicht ein auf hohem Pfuͤhl, Daß ſie nichts ſind als ein beſondertes Gefuͤhl. Das Auge fuͤhlt das Licht, und ſieht, vom Licht beruͤhrt; Und durch Erſchuͤttrung wird der Schall ins Ohr gefuͤhrt. Die Naſe riecht den Ruch, es ſchmeckt den Schmack der Mund; Empfindlich ſpuͤren ſie, was ſich vom Ding thut kund. Wenn taſtend Aug' und Ohr ausgreifen in die Ferne, Mag alles Naſ' und Mund in ſich hineinziehn gerne. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0034" n="24"/> <div n="2"> <head>28.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Zunge geht dahin, wo weh der Zahn dir thut,</l><lb/> <l>Und mehret ſo den Schmerz, den ſie will machen gut.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Wie oft hat ſo die Zung' auch weh ſtatt wohl gethan</l><lb/> <l>Bei Schmerzen tiefern als aus einem holen Zahn.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>29.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Die Sinne, welchen Gott die obre Stelle gab,</l><lb/> <l>Sehn auf die untere mit zuviel Stolz herab.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Sie ſehn vor lauter Stolz nicht ein auf hohem Pfuͤhl,</l><lb/> <l>Daß ſie nichts ſind als ein beſondertes Gefuͤhl.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Das Auge fuͤhlt das Licht, und ſieht, vom Licht beruͤhrt;</l><lb/> <l>Und durch Erſchuͤttrung wird der Schall ins Ohr gefuͤhrt.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Die Naſe riecht den Ruch, es ſchmeckt den Schmack der Mund;</l><lb/> <l>Empfindlich ſpuͤren ſie, was ſich vom Ding thut kund.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Wenn taſtend Aug' und Ohr ausgreifen in die Ferne,</l><lb/> <l>Mag alles Naſ' und Mund in ſich hineinziehn gerne.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [24/0034]
28.
Die Zunge geht dahin, wo weh der Zahn dir thut,
Und mehret ſo den Schmerz, den ſie will machen gut.
Wie oft hat ſo die Zung' auch weh ſtatt wohl gethan
Bei Schmerzen tiefern als aus einem holen Zahn.
29.
Die Sinne, welchen Gott die obre Stelle gab,
Sehn auf die untere mit zuviel Stolz herab.
Sie ſehn vor lauter Stolz nicht ein auf hohem Pfuͤhl,
Daß ſie nichts ſind als ein beſondertes Gefuͤhl.
Das Auge fuͤhlt das Licht, und ſieht, vom Licht beruͤhrt;
Und durch Erſchuͤttrung wird der Schall ins Ohr gefuͤhrt.
Die Naſe riecht den Ruch, es ſchmeckt den Schmack der Mund;
Empfindlich ſpuͤren ſie, was ſich vom Ding thut kund.
Wenn taſtend Aug' und Ohr ausgreifen in die Ferne,
Mag alles Naſ' und Mund in ſich hineinziehn gerne.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/34>, abgerufen am 04.07.2024. |