Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837.11. Was ist der Vorzug wol der menschlichen Vernunft Vor allen Trieben, die besitzt der Thiere Zunft? Thuts nicht der menschlichen in allen Stücken gleich Naturvernunft und Kunst, an Wunderwerken reich? Der Mensch kann feiner als der Seidenwurm nicht spinnen, Und künstlicher nicht baun als Immen goldne Zinnen. Und nicht gelernt ist das, geerbt ists vom Geschlecht; Der jüngste Biber baut gleich wie der ält'ste recht. Die uranfängliche Naturvollkommenheit Ist nie vollkommener geworden durch die Zeit. Und dieses ist, was der Vollkommenheit gebricht; Vollkommnungsfähigkeit fehlt nur dem Menschen nicht. Die junge Spinne spinnt nur wie die alte spann, Indes der Menschensinn stets neu Geweb ersann. 11. Was iſt der Vorzug wol der menſchlichen Vernunft Vor allen Trieben, die beſitzt der Thiere Zunft? Thuts nicht der menſchlichen in allen Stuͤcken gleich Naturvernunft und Kunſt, an Wunderwerken reich? Der Menſch kann feiner als der Seidenwurm nicht ſpinnen, Und kuͤnſtlicher nicht baun als Immen goldne Zinnen. Und nicht gelernt iſt das, geerbt iſts vom Geſchlecht; Der juͤngſte Biber baut gleich wie der aͤlt'ſte recht. Die uranfaͤngliche Naturvollkommenheit Iſt nie vollkommener geworden durch die Zeit. Und dieſes iſt, was der Vollkommenheit gebricht; Vollkommnungsfaͤhigkeit fehlt nur dem Menſchen nicht. Die junge Spinne ſpinnt nur wie die alte ſpann, Indes der Menſchenſinn ſtets neu Geweb erſann. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0020" n="10"/> <div n="2"> <head>11.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Was iſt der Vorzug wol der menſchlichen Vernunft</l><lb/> <l>Vor allen Trieben, die beſitzt der Thiere Zunft?</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Thuts nicht der menſchlichen in allen Stuͤcken gleich</l><lb/> <l>Naturvernunft und Kunſt, an Wunderwerken reich?</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Der Menſch kann feiner als der Seidenwurm nicht ſpinnen,</l><lb/> <l>Und kuͤnſtlicher nicht baun als Immen goldne Zinnen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Und nicht gelernt iſt das, geerbt iſts vom Geſchlecht;</l><lb/> <l>Der juͤngſte Biber baut gleich wie der aͤlt'ſte recht.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Die uranfaͤngliche Naturvollkommenheit</l><lb/> <l>Iſt nie vollkommener geworden durch die Zeit.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und dieſes iſt, was der Vollkommenheit gebricht;</l><lb/> <l>Vollkommnungsfaͤhigkeit fehlt nur dem Menſchen nicht.</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Die junge Spinne ſpinnt nur wie die alte ſpann,</l><lb/> <l>Indes der Menſchenſinn ſtets neu Geweb erſann.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [10/0020]
11.
Was iſt der Vorzug wol der menſchlichen Vernunft
Vor allen Trieben, die beſitzt der Thiere Zunft?
Thuts nicht der menſchlichen in allen Stuͤcken gleich
Naturvernunft und Kunſt, an Wunderwerken reich?
Der Menſch kann feiner als der Seidenwurm nicht ſpinnen,
Und kuͤnſtlicher nicht baun als Immen goldne Zinnen.
Und nicht gelernt iſt das, geerbt iſts vom Geſchlecht;
Der juͤngſte Biber baut gleich wie der aͤlt'ſte recht.
Die uranfaͤngliche Naturvollkommenheit
Iſt nie vollkommener geworden durch die Zeit.
Und dieſes iſt, was der Vollkommenheit gebricht;
Vollkommnungsfaͤhigkeit fehlt nur dem Menſchen nicht.
Die junge Spinne ſpinnt nur wie die alte ſpann,
Indes der Menſchenſinn ſtets neu Geweb erſann.
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Zitationshilfe: | Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 3. Leipzig, 1837, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rueckert_brahmane03_1837/20>, abgerufen am 25.07.2024. |